Sonntag, Oktober 27

Kehrt mit der Krawatte die traditionelle Männlichkeit zurück? So einfach ist es nicht.

Totgeglaubte haben es an sich, dass sie nur für tot gehalten werden, es aber nicht wirklich sind und im Moment ihrer Rückkehr einen ordentlichen Schrecken erzeugen. Nein, gemeint ist nicht Donald Trump, sondern die Krawatte, bis vor 15 Jahren das Erkennungszeichen eines jeden ernstzunehmenden Geschäftsmannes.

Die Krawatte verlor 2008 diesen Sonderstatus, als Lehman Brothers nicht nur das globale Bankenwesen erschütterte, sondern auch das weltweite Vertrauen in Geschäftsleute mit Anzug und Schlips in den Abgrund riss. Seither zeigten sich jene, die für voll genommen werden wollten, bevorzugt ohne den traditionellen Langbinder. Das Geschäft mit den Accessoires brach um über 90 Prozent ein.

Die Corona-Pandemie sorgte für den Rest. Zu Hause im Home-Office brauchte niemand mehr eine Krawatte. 2019 verlieh das Deutsche Krawatteninstitut in Krefeld letztmals den Titel eines «Krawattenmannes des Jahres» – es war der Trompeter Till Brönner. Danach war Schluss. Die im 17. Jahrhundert von kroatischen Söldnern in Frankreich als Regimentsschmuck «erfundene» Krawatte verschwand nach 350 Jahren fast ganz aus den Sortimenten der Herrenausstatter.

Sweatshirt-Schlendrian zu Ende

Doch nun dreht der Wind. Denn inzwischen ist eine Generation von Männern herangewachsen, die nie einen Krawattenzwang kannte. Für diese um die Jahrtausendwende oder kurz danach geborenen Männer ist der Schlips ein exotisches und irgendwie reizvolles Accessoire: Er berichtet in nostalgischer Weise von vergangenen Zeiten. Sie tragen die Krawatte darum gerne wieder, wenn es um besondere Momente geht, etwa zu einer Party oder einem Auftritt in der Öffentlichkeit, bei dem man auffallen möchte.

Damit ist die Krawatte vom Symbol des braven Angepassten zum Mittel der feinen Provokation mutiert. Ein Mann trägt die Krawatte heute, weil er es möchte, und nicht, weil er muss. Wer cool ist, trägt das Symbol der einst Uncoolen zur Schau.

Die Mode hat diesen Wandel registriert und zeigt die Krawatte wieder auf dem Laufsteg. Bei den Designer-Schauen für den kommenden Herbst war sie ein grosses Thema, etwa bei Prada, wo man etwas vollmundig das Ende der Home-Office-Ära ausrief. Nach Jahren des kollektiven Sweatshirt-Schlendrians sei es wieder an der Zeit, sich «ordentlich» angezogen ins Büro zu begeben, fand das Design-Duo Miuccia Prada und Raf Simons. Es verlieh der Forderung Nachdruck, indem es das Publikum der Show auf Bürostühlen sitzen liess. Als Einladung zur Präsentation verschickte Prada – was sonst? – eine seidene Krawatte.

Bei Valentino wurden fast alle Looks mit schmalen schwarzen Krawatten gezeigt. Zudem sass praktisch die ganze erste Reihe berühmter Persönlichkeiten mit Krawatten da, Männer wie Frauen. Bei Balmain gab es Krawatten, die ganzflächig mit Punkten gemustert waren. Bei Gucci waren die Krawatten zu sehr schmalen und langen Halstüchern verlängert, die teilweise bis zu den Knien reichten.

Nicht nur die traditionellen Labels propagieren den Schlips, auch die Avantgardisten mögen ihn wieder. Bei Wooyoungmi in Paris wurden schmale Klubkrawatten zu Jeans und sportlichen Blousons kombiniert, früher ein absoluter Fauxpas. Sogar beim Oversize-König Hed Mayner wird neuerdings ein Langbinder getragen, und der chinesische Überflieger Sean Suen stattete fast jeden seiner Looks damit aus.

Auch Frauen steht sie: Madonna trugt schon 1978 eine Krawatte, die Sängerin Billie Eilish machte es ihr diesen Januar nach.

Von Madonna bis Billie Eilish

Auch in der Pop-Kultur meldet sich die Krawatte wieder. Der kanadische Rapper Alexander L. Gumuchian, besser bekannt als «bbno$», trägt gerne auffällige Vintage-Krawatten, ähnlich wie es der Schweizer Pop-Musiker Alexander Frei alias Crimer oft tut. Das dürfen ruhig auch die breiten Dinger sein, die man Ende der 1980er Jahre zuletzt sah.

Harry Styles holte sie schon vor drei Jahren wieder aus der Schublade. Jaden Smith kombiniert die Krawatte zur Perlenkette, Lil Uzi Vert lässt sie offen um seinen Hals baumeln. Und es sind nicht nur die jungen Männer, welche die Krawatte wieder würdigen. Auch Billie Eilish trägt sie neuerdings gerne – wie es Madonna schon vor einigen Jahrzehnten vormachte.

Die «Vogue» frohlockt angesichts dieser Schlips-Welle: «Der Mann ist zurück! Mit Anzügen und Krawatten empfiehlt der kommende Herbst eine Rückkehr zur traditionellen Maskulinität.» Das ist nur bedingt richtig, denn obwohl die Krawatte gemeinhin als konservativstes Element der männlichen Garderobe gilt, wird sie nun nicht im «alten» Stil getragen, sondern neu interpretiert.

Sie ist mal jung, mal schräg, mal subversiv, genderfluid oder romantisch. Sie ist aber selten einfach das Accessoire zu einem gewöhnlichen Anzug. In diesem Sinne lässt sich bestätigen: Ja, alles kommt irgendwann zurück – aber nie in der gleichen Form wie früher.

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