Mittwoch, Oktober 30

Auf der einen Seite steht das Arbeitsrecht, auf der anderen die Denkmalpflege. Gibt es eine Lösung?

Rolltreppen sind an der Zürcher Bahnhofstrasse eine vom Aussterben bedrohte Art. An der Einkaufsmeile ist das Zeitalter der Büros angebrochen, und Büros verlangen nach Liften.

Im ehemaligen Manor-Warenhaus sind die Rolltreppen bereits herausgerissen geworden. In jenem von Jelmoli braucht es sie künftig ebenfalls nur noch bedingt, im Grieder-Haus am Paradeplatz wohl gar nicht. Und nun beugen sich auch die Eigentümer des Modissa-Hauses den Zeichen der Zeit.

Die Bequemlichkeit der Menschen hat ein neues Niveau erreicht. Vorbei die Zeiten, als sich die Massen zum Einkaufen begeistert in die oberen Stockwerke befördern liessen. Laut Marktbeobachtern sind seit Jahren jenseits des ersten Obergeschosses immer weniger Konsumentinnen und Konsumenten anzutreffen. Entsprechend schwierig ist es geworden, solche Verkaufsflächen zu vermieten.

Die Familie Gablinger, der das auffällige Modissa-Haus an bester Lage gehört, hat es zwei Jahre lang trotzdem versucht. Und ist gescheitert. Seit sie den Betrieb ihres traditionsreichen Modegeschäfts an der Bahnhofstrasse 74 eingestellt hat, folgt dort eine Zwischennutzung auf die nächste. Die Obergeschosse stehen leer.

Der einzige ernsthafte Interessent war dem Vernehmen nach ein Sportartikelhändler, der zur in Konkurs gegangenen Signa-Gruppe von René Benko gehörte. Dass dieser Deal nicht zustande kam, dürfte rückblickend als Glücksfall gewertet werden.

Die Eigentümer des Hauses ziehen nun die Konsequenzen: Sie wollen die Obergeschosse zu Büroräumen umbauen lassen, wie die «Handelszeitung» berichtet hat. Gemäss dem Baugesuch sollen zu diesem Zweck erstens die Rolltreppen entfernt und zweitens die Verglasung der Fassade angepasst werden.

Dieser zweite Punkt – die Verglasung – klingt wie ein beiläufiges Detail, aber er ist zentral. Denn das Gebäude aus den 1970er Jahren steht unter Denkmalschutz. Und dies gilt insbesondere für seine markante, mit bronzenen Elementen verkleidete Fassade.

Brannhof, Jelmoli, Grieder: Alle haben genug Fenster für Büros

Bei anderen prägenden Häusern an der Bahnhofstrasse, deren Obergeschosse in Büroflächen verwandelt wurden oder noch werden, ist der Denkmalschutz mit Bezug auf die Aussenwirkung ein geringeres Hindernis. Denn sie alle sind zwar geschützt, verfügen aber über ein entscheidendes Element, das dem Modissa-Haus fehlt: durchgehende Fenster. Und diese sind für Büros wichtig.

Arbeitsrechtlich sind ständige Arbeitsplätze ohne Tageslicht nur in Ausnahmefällen zulässig – dann, wenn die Sicht ins Freie und eine natürliche Beleuchtung mit baulichen Massnahmen nachweislich nicht realisiert werden können.

Im Fall der anderen prominenten Umnutzungen stellte sich diese Frage kaum. Beim ehemalige Manor-Warenhaus, heute Brannhof, das von der Eigentümerin Swiss Life umgebaut wurde, konnte ein alter Innenhof wieder freigelegt werden. Dadurch leiden die Büros in den Obergeschossen, wo etwa der japanische Versicherungskonzern Sompo eingezogen ist, nicht unter Lichtmangel.

Dies wird auch kein Problem sein, wenn Swiss Prime Site ab kommendem Jahr das Jelmoli-Warenhaus umbauen lässt. 2027 soll dort Manor einziehen, aber nur im Erdgeschoss sowie in den beiden Geschossen darüber und darunter. Weiter oben entstehen Büros – und diese werden davon profitieren, dass das Warenhaus Ende des 19. Jahrhunderts als Glaspalast entworfen wurde.

Das Grieder-Haus ist ebenfalls üppig gesegnet mit Fenstern. Die Eigentümerin Swatch Group gibt sich zwar bedeckt zur Frage, was ihre Absichten sind, wenn das traditionsreiche Modehaus Grieder – neu: Bongénie – im nächsten Jahr auszieht. Aber auch dort kommt die Architektur einer Büronutzung zugute. Und eine solche ist wahrscheinlich: Im Gebäude wird sich laut der «Handelszeitung» der Luxuskonzern LVMH mit seinen Marken Louis Vuitton und Dior breitmachen, und dieser hat in seinen sieben Läden an der Bahnhofstrasse bisher keinerlei Interesse an Obergeschossen gezeigt.

Das Modissa-Haus ist ein Spezialfall. Der Architekt Werner Gantenbein wollte es ursprünglich rundum verglasen, aber von diesen Plänen kam man wieder ab. Vermutlich, weil sich damals der Konsens durchgesetzt hatte, dass Fenster in den Obergeschossen für den Detailhandel nur ungenutzte Fläche bedeuten. In den alten Verkaufstempeln von Manor und Jelmoli waren sie längst mit Trennwänden zugestellt.

Als Folge dieses Entscheids verfügt das Modissa-Haus heute zwar über ein verglastes Sockelgeschoss und ein ebenfalls verglastes, erkerartig vorspringendes Eckelement. Aber sonst sind drei der vier Obergeschosse komplett geschlossen.

Und genau dies macht laut den Baufachleuten der Stadt den besonderen Reiz dieses Gebäudes aus: das «bewusste Zusammenspiel von Transparenz und Geschlossenheit der Fassadenteile». So steht es im Entscheid des Stadtrates, der das Haus vor zehn Jahren unter Schutz stellen liess.

Die Eigentümer unterzeichneten damals einen Schutzvertrag mit der Stadt, in dem sie sich verpflichteten, die geschützten Bauteile «dauernd und ungeschmälert» zu erhalten. Zu diesen Teilen gehört ausdrücklich die Fassade, genauer das «Prinzip des Zusammenspiels von transparenten, dunklen Verglasungen und geschlossenen Fassadenflächen».

Die Fassade wird mit vertikalen Fensterbändern geöffnet

Die entscheidende Frage wird nun also sein, ob es gelingt, dieses Prinzip zu achten und zugleich das arbeitsrechtlich zwingende Tageslicht ins Gebäude zu bekommen. Die Eigentümer haben gemäss dem Baugesuch vor, zu diesem Zweck die Hälfte der geschlossenen Fassaden mit vertikalen Fensterbändern zu öffnen. Dazu wird ein Teil der Fenster im fünften Obergeschoss nach unten verlängert.

Im fünften Stock gibt es diese Öffnungen übrigens nur deshalb, weil sich dort ursprünglich keine Verkaufsflächen befanden, sondern Arbeitsplätze: unter anderem die Büglerei und die Näherei von Modissa.

Die zusätzlichen Fensterbänder werden den Rhythmus der Fassade verändern – aber verändern sie auch ihren Charakter? Noch gibt es darauf keine Antwort. Die Bewilligung des Baugesuches steht noch aus, und danach sind im Prinzip auch Einsprachen dagegen möglich.

Die städtische Denkmalpflege teilt auf Anfrage der NZZ mit, dass es wegen des Umbauprojekts bereits «intensive Beratungsgespräche» mit der Eigentümerschaft gegeben habe. Zu den Ergebnissen sagt sie nichts, da solche Gespräche vertraulich sind. Die Eigentümer sprechen von einem «konstruktiven Austausch» und geben sich zuversichtlich.

Laut der Denkmalpflege muss der Erhalt geschützter Gebäudeteile nicht bedeuten, dass in solchen Fällen keinerlei Veränderungen an einem Gebäude möglich sind. «Die Denkmalpflege kann und will Umnutzungen nicht verhindern», teilt eine Sprecherin mit. Es gebe immer Spielraum.

Dies habe auch der 2023 abgeschlossene Umbau des Brannhofs bewiesen. Ein anderes Beispiel sei die Umwandlung des Unterwerks Selnau in einen Co-Working-Space. Oder jene der Stadthalle, eines historischen Versammlungslokals an der Morgartenstrasse, in den Hauptsitz von Schweiz Tourismus.

Die Chancen scheinen also nicht schlecht zu stehen, dass das Modissa-Haus bald nicht mehr der prominenteste Leerstand der Bahnhofstrasse ist. Geht alles nach Plan, könnte in den Obergeschossen schon in einem guten Jahr wieder Leben einziehen. Denn anders als für Verkaufsflächen gibt es laut Immobilienvermarktern für Büros an dieser Lage genug Interessenten.

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