Erstmals wirft eine Geologin einen Blick auf Leonardos berühmtestes Bild. Sie will den Ort ausfindig gemacht haben, wo das Werk geschaffen worden sein könnte.

Das Rätselraten um Leonardo da Vincis «Mona Lisa» geht in die nächste Runde. Jetzt glaubt die Kunsthistorikerin und Geologin Ann Pizzorusso herausgefunden zu haben, dass Leonardos Bild in einer Gegend am Comersee entstanden ist. «Ich sah die Topografie rund um Lecco und realisierte: Das ist der Ort.»

Pizzorusso will in der Form des Sees und im grau-weissen Kalkstein erkannt haben, dass es sich dabei um die Landschaft von Lecco handelt. «Alle sprechen von der Brücke, und niemand spricht von der Geologie», sagt sie. Nun ist es für einmal nicht die mittelalterliche Brücke im Hintergrund des Bildes, die immer wieder für Spekulationen über infrage kommende Ortschaften gesorgt hat.

Erst vor einem Jahr hat der italienische Historiker Silvano Vinceti die Brücke in Leonardos Weltlandschaft als die etruskisch-römische Romito-Vierbogenbrücke in Laterina in der Provinz Arezzo in der Toskana ausgemacht. Vor ihm allerdings wurde das Bauwerk auch schon dem Ponte Gobbo in Bobbio bei Piacenza oder dem Ponte Buriano nördlich des toskanischen Städtchens Arezzo zugeordnet.

Die Mutter Natur

Dem rätselhaften Bild, das vor allem so geheimnisvoll wirkt aufgrund dieses Anflugs eines Lächelns um die Mundwinkel der Dargestellten, sind schon zahllose Interpreten erlegen. Versuche der Deutung der Abgebildeten führten wiederholt zu wilden Theorien. So wollte der Leonardo-Biograf Volker Reinhardt in Mona Lisa die Mutter Natur erkannt haben, für die sich der Naturphilosoph Leonardo besonders interessiert haben soll. Im 19. Jahrhundert sah der englische Kulturhistoriker Walter Pater in der Abgebildeten einen Vampir – eine Femme fatale, die Männern durch ihr verführerisches Lächeln den Verstand raubt.

Vor solch verstiegenen Verklärungen und Projektionen dürfte die jüngste Erforscherin von Leonardos Meisterwerk eher gefeit sein. Die Geologin Ann Pizzorusso schaut denn auch ganz nüchtern an der lächelnden Sphinx vorbei in die Landschaft hinter dieser. Allerdings folgt auch sie dem Impuls, unbedingt ein Geheimnis lüften zu müssen. Sie irrt in den Bergformationen und Gestaden des Wasserlaufs umher, ohne den Gedanken zu wagen, dass es sich dabei auch ganz einfach um eine Phantasielandschaft handeln könnte.

Leonardo als Geologe

Jedenfalls will Pizzorusso an einem Geologenkongress in Lecco ihre Forschungsergebnisse präsentieren. Sie sieht im Genie Da Vinci nämlich nicht nur den begnadeten Maler von Frauenporträts, sondern vor allem auch den Wissenschafter und Geologen, der wusste, wie reale Felsen und Gesteinsformationen aussehen. «Immer wenn er einen Stein malte, war das perfekt», sagt sie.

Tatsächlich soll sich Leonardo des Öfteren in der Gegend um Lecco aufgehalten haben. Dort jedenfalls will man schon lange wissen, dass der Renaissance-Meister für seine «Mona Lisa» die bergige Landschaft der Gegend im Auge gehabt haben könnte. Bereits in einem Artikel im Lokalblatt von 2016 wurde darüber spekuliert. Wird nun das idyllische Städtchen an den Gestaden des Comersees bald schon zum Wallfahrtsort für Leonardo-Fans und «Mona-Lisa»-Forscher? Die Einwohner von Lecco würden sich sicher freuen über solchen Kulturtourismus.

Die Spekulationen aber um das berühmteste Kunstwerk der Welt werden wohl nicht abreissen. Denn Mona Lisa wird weiterhin mit diesem allwissenden Lächeln aus dem goldenen Rahmen blicken – und sich ausschweigen darüber, wer sie ist und wo sich die Landschaft hinter ihr befindet. Ist es überhaupt das Bild selber, das alle Welt so fasziniert, oder sind es nicht vielmehr die Geheimnisse, die sich um dieses ranken? Im Geheimnis jedenfalls scheint ein wesentlicher Teil der überragenden Bedeutung dieses Frauenbildnisses begraben zu liegen.

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