Samstag, Oktober 5

Obwohl die demokratische Mongolei Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag ist, sehen die Behörden von einer Verhaftung des angeklagten Kriegstreibers ab. Putin hält ein wirksames Pfand in der Hand.

Wie gross die Abhängigkeit der demokratischen Mongolei von Russland noch immer ist, zeigte sich einmal mehr beim Staatsbesuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag. Obschon das 3,4-Millionen-Einwohner-Land, gelegen zwischen den Grossmächten Russland und China, 2002 dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beitrat, verzichteten die örtlichen Behörden auf eine Festnahme des russischen Präsidenten.

Putin war am späten Montagabend in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar eingetroffen und mit militärischen Ehren empfangen worden.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte Putin im vergangenen Jahr wegen der mutmasslichen Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland angeklagt. Kurz vor der Abreise des russischen Präsidenten wies der Strafgerichtshof darauf hin, dass die mongolischen Behörden verpflichtet seien, Putin festzunehmen. Einen Sanktionsmechanismus gegenüber Ländern, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, gibt es allerdings nicht.

Die Ukraine reagiert empört

Erwartungsgemäss reagierte die ukrainische Regierung empört auf die Tatenlosigkeit der mongolischen Behörden. Ein Sprecher des Aussenministeriums der Ukraine sagte am Montag, die Weigerung der Mongolei, den russischen Präsidenten festzunehmen, sei ein «schwerer Schlag gegen den Internationalen Strafgerichtshof und das System der internationalen Strafgesetze».

Auf Telegram schrieb der Sprecher weiter: «Die Mongolei hilft einem angeklagten Kriminellen, das Recht zu umgehen. Damit trägt die Mongolei einen Teil der Verantwortung für die Kriegsverbrechen.»

Für Putin ist der Besuch in Ulaanbaatar indes ein Triumph. Zum einen zeigt er, wie gross Russlands Einfluss auf den einst engen Verbündeten der damaligen Sowjetunion noch immer ist. Zum anderen legt die ausgebliebene Verhaftung die Machtlosigkeit westlicher Länder gegenüber dem Kriegstreiber aus Moskau offen.

Strom und Treibstoff aus Russland

Die Gründe für die Tatenlosigkeit der mongolischen Behörden liegen auf der Hand – Moskau kann Ulaanbaatar erpressen. So bezieht die Mongolei nahezu einhundert Prozent ihres Benzins und Diesels aus Russland. Ausserdem gehören Russland fünfzig Prozent des mongolischen Eisenbahnsystems.

Darüber hinaus liefert der grosse Nachbar im Norden in grossem Umfang Elektrizität. Landesweit beträgt der Anteil zwischen zwanzig und dreissig Prozent; in manchen Gegenden im Westen bezieht die Mongolei sogar ihren gesamten Strom aus Russland. In der Vergangenheit haben russische Energieversorger bei politischen Verstimmungen der Mongolei immer wieder einmal den Strom abgestellt.

Die mongolische Regierung fürchtet zudem, Russland könnte im kommenden Winter die Versorgung der Mongolei mit Energie drosseln, weil das Land diese für seine kriegerischen Aktivitäten in der Ukraine benötigen könnte.

Gedenkfeier zum 85. Jahrestag der Schlacht bei Khalkhin Gol

Offizieller Anlass der Mongolei-Visite Putins ist die Gedenkfeier zum 85. Jahrestag der Schlacht bei Khalkhin Gol im Zweiten Weltkrieg. Dabei hatte eine sowjetisch-mongolische Allianz vorrückende japanische Truppen besiegt. Zuletzt hatte Putin die Mongolei im Jahr 2019 besucht, zur Gedenkfeier des 80. Jahrestags der Schlacht.

Die geografische Lage der Mongolei, eingebettet zwischen Russland und China, stellt Ulaanbaatar vor enorme Herausforderungen. So muss das demokratische Land bei seiner Aussenpolitik stets Rücksicht auf die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von den beiden grossen Nachbarn nehmen.

So geht einer grosser Teil der mongolischen Rohstoffe nach China. Die Lieferungen stellen die staatlichen Einnahmen des Landes, das über keinen Zugang zum Meer verfügt, sicher. Insgesamt nimmt die Volksrepublik der Mongolei rund neunzig Prozent ihrer Ausfuhren ab.

Die immer enger werdende Allianz zwischen Peking und Moskau nutzt ihre wirtschaftlich vorteilhafte Position gnadenlos aus und versucht, die Mongolei nach Kräften in ihre Bemühungen zur Schaffung einer alternativen internationalen Ordnung einzubinden.

Die «Politik des dritten Nachbarn»

Ulaanbaatar hingegen versucht im Rahmen der sogenannten «Politik des dritten Nachbarn» die Beziehungen zu westlichen Ländern zu vertiefen und so trotz den wirtschaftlichen Abhängigkeiten ein Stück weit Distanz zu Russland und China zu wahren. So hat die mongolische Regierung strategische Partnerschaften mit den USA, Japan, Südkorea und Deutschland abgeschlossen.

In letzter Zeit besuchten der französische Präsident Emmanuel Macron, der amerikanische Aussenminister Antony Blinken und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Mongolei. Anfang August reiste ausserdem die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd zu einem Staatsbesuch nach Ulaanbaatar.

Für die mongolische Regierung ist die Aussenpolitik ein ständiger Drahtseilakt. Auf der einen Seite stehen die Bemühungen, Teil der westlichen Wertegemeinschaft zu sein, zu der auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag gehört. Auf der anderen Seite steht die Notwendigkeit, ein freundschaftliches Verhältnis zu Russland, das im Westen als Paria-Staat gilt, zu erhalten.

Darum schloss die mongolische Regierung 2019 auch mit Russland eine «umfassende strategische Partnerschaft». Im Juli traf der mongolische Präsident Ukhnaagiin Khurelsukh am Gipfel der Shanghai Cooperation Organization in der kasachischen Hauptstadt Astana mit Putin zusammen. Die Einladung an Putin, die Mongolei zu besuchen, sprach Khurelsukh bereits im vergangenen Jahr aus – bei seinem Staatsbesuch in Moskau.

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