Mittwoch, November 27

Die Welt verändert sich politisch und wirtschaftlich rasant. Die Handelsströme verschieben sich. Die zwei Machtpole USA und China umwerben die neutralen Staaten des globalen Südens. Die meisten Anlagedepots beruhen dagegen auf dem alten unipolaren Modell mit Zentrum USA. Es ist Zeit für eine Neuausrichtung.

Die Welt ist immer noch ganz simpel und unipolar, wenn man einer einfachen Gewichtung nach Börsenwert folgt: Die USA sind darin der absolute Gigant. 64% des MSCI All Country World Index ist in amerikanischen Aktien alloziert. Danach kommt Japan mit 5% und die grösseren europäischen Märkte mit je 2 bis 3% Gewichtung. Alles in allem sind 80% in westlichen Industrieländern inklusive Japan angelegt, davon folglich mehr als drei Viertel in den USA.

Blickt man jedoch auf den heutigen Globus, so ist diese amerikazentrische Weltsicht der Börsen total obsolet. Der Anteil der USA an der Weltwirtschaft beläuft sich trotz starkem Dollar auf 25%, kaufkraftbereinigt sogar nur noch auf 15%. Eine Gewichtung von 64% USA wie im Weltindex impliziert, dass die US-Unternehmen angeführt von den Tech-Giganten bis in alle Ewigkeit rund zwei Drittel aller Unternehmensgewinne der Welt einfahren werden.

Das war allenfalls noch theoretisch denkbar in einer globalisierten Welt ohne Handelsschranken und politische Rivalitäten. Doch die aktuelle Welt verändert sich dramatisch: Handelsschranken werden hochgezogen, Sanktionen verhängt, mit Krieg gedroht, aus «Outsourcing» wird «Friendshoring». Neue Machtblöcke formieren sich um die beiden Pole USA und China.

Der zweite Kalte Krieg hat nach Überzeugung prominenter Historiker wie Niall Ferguson schon längst begonnen. Die Herausforderung besteht nun darin, dass daraus nicht der Dritte Weltkrieg wird, sondern dass es wie beim letzten Mal bei einem «Gleichgewicht des Schreckens» bleibt.

Bleiben wir jedoch bei der wirtschaftlichen Seite dieser epochalen Veränderungen. Entsprechend dem alten Diktum überqueren derzeit zum Glück noch Handelsgüter die Grenzen, nicht Armeen und Raketen. Gemäss den Statistiken der Welthandelsorganisation WTO nimmt das Handelsvolumen wie auch der Wert der gehandelten Güter seit der Covid-Delle wieder zu.

Es ist folglich falsch, von einer Deglobalisierung zu sprechen, trotz steigenden Handelsschranken. Was effektiv stattfindet, ist eine Repolarisierung des Welthandels. China handelt inzwischen mehr Güter mit Südostasien als mit den USA. Mit der einst glücklichen Handelssymbiose «Chimerika» ist es definitiv vorbei. Immer mehr Chinesische Güter, neuerdings sogar umweltfreundliche Solarpanels und Elektroautos, werden an der US-Grenze mit Zöllen abgeblockt. Das wird mit ziemlicher Sicherheit so bleiben, egal, wer von den beiden bekennenden Protektionisten dieses Jahr die Wahlen ins Weisse Haus gewinnt.

Während sich die Amerikaner im «Friendshoring» der Lieferketten in verlässlichere Partnerländer üben, erlebt China einen sagenhaften Exportboom, trotz der fallenden Nachfrage aus den USA. Der monatliche Handelsbilanzüberschuss der Volksrepublik ist auf noch nie dagewesene 70 Mrd. $ gestiegen. Das ist fast doppelt so viel, wie die einstigen Exportweltmeister Deutschland und Japan zu ihren besten Zeiten zusammen erzielen konnten.

Solche riesigen Überschüsse werden erzielt, weil China längst nicht mehr mit billigem Plastikplunder und einfacher Elektronik handelt, sondern in den letzten Jahren einen gigantischen Schritt vorwärts in der Wertschöpfungskette gemacht hat. Seit dem Platzen der heimischen Immobilienblase hat sich dieser Prozess sogar noch beschleunigt, weil nun mehr Ersparnisse der Chinesen über das Bankensystem in den Ausbau der Exportindustrie fliessen.

Der weltgrösste Exporteur von Automobilen ist deshalb seit kurzem die Volksrepublik China, welche die langjährigen Dominatoren Deutschland und Japan in Rekordtempo überholt hat.

Ein Ende der chinesischen Dominanz ist nicht absehbar. Das Land bietet inzwischen qualitativ ordentliche Autos für 10‘000 Dollar an – ob Verbrenner oder elektrisch –, welche verständlicherweise in Emerging Markets auf grossen Anklang stossen. Schotten sich die USA und nun auch Europa mit Strafzöllen ab, so wird China den Rest der Welt umso mehr mit billigen Autos überschwemmen.

Doch auch bei anderen hochwertigeren Industriegütern wie Maschinen, Traktoren und Baggern, Lokomotiven, Computern und sogar den von den USA sanktionierten Chips hat China dramatisch zugelegt und an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Am extremsten zeigt sich die chinesische Export-Übermacht bei Solarzellen. Wie das «Wall Street Journal» vorrechnet, hat das Reich der Mitte letztes Jahr 450 Gigawatt an Solarzellen produziert, jedoch nur 220 Gigawatt im eigenen Land verbaut. Dieses Jahr soll der Produktionsüberschuss für den Exportmarkt auf rund 500 Gigawatt steigen. Im ganzen Rest der Welt wurden 2023 jedoch nur etwa 150 Gigawatt Solaranlagen installiert. Westliche Produzenten haben gegen diese Flut aus billigen Solarzellen Made in China keine Chance.

Der steigende Protektionismus des Westens gegen die industrielle Übermacht Chinas hat zwei gravierende Konsequenzen: Erstens werden dadurch die Güter im Westen teurer und die Inflation weiter angeheizt. Geld wird ja deswegen nicht weniger gedruckt. Zweitens verkümmert die eigene Industrie hinter den Zollmauern und verliert an globaler Wettbewerbsfähigkeit, wo die produktiveren chinesischen Exporteure weiter Marktanteile gewinnen. Der Anteil der westlichen Industriestaaten an der Weltwirtschaft ist bereits auf unter 50% gefallen und wird wegen der tieferen Wachstumsraten weiter abnehmen.

Dem Westen droht damit das Schicksal des Osmanischen Reiches im 15. Jahrhundert: Wie Louis-Vincent Gave von Gavekal Research pointiert ausführt, konnten die Osmanen nach Erlangung der totalen Kontrolle über den Orienthandel nur kurze Zeit triumphieren. Die Blockade der Handelsströme nach Westen führte dazu, dass die portugiesischen und spanischen Seefahrer den Weg nach Indien um Afrika und rund um den Globus herum suchten und schliesslich fanden. Nebenbei wurde noch die Neue Welt entdeckt. Der Schwerpunkt des Handels verschob sich in den Atlantik und das osmanisch dominierte östliche Mittelmeer wurde immer unbedeutender. «Die Rache des Osmanischen Reiches» wäre es gemäss Louis-Vincent Gave, wenn der Westen sich nun im Sog von Strafzöllen gegen China und Sanktionen gegen Russland so stark vom Rest der Welt abschottet, dass die Fortsetzung der Globalisierung ohne ihn stattfindet.

Eine Variante davon wäre die Bildung von zwei grossen Handelsblöcken um die Pole USA und China. Womöglich mit einer jeweils eigenen Handelswährung und völlig unabhängigen Finanzsystemen. China baut jedenfalls zusammen mit Russland mit Hochdruck an einer solchen Lösung. Ein Forum dafür sind die rasch wachsenden Mitglieder der BRICS-Staaten. Die Pole driften dabei wirtschaftlich wie auch politisch immer weiter auseinander. Das Zentrum der Schwerkraft im Welthandel verschiebt sich damit auch vom Pazifik und Atlantik in Richtung des Indischen Ozeans mit neuen, intermediären Finanzzentren wie Singapur, Mumbai oder Dubai. Aus diesen Überlegungen sehen wir folgende mögliche Konsequenzen für die Anlagewelt:

  1. Eine simple Aufteilung des Anlagevermögens nach Marktkapitalisierung macht in der neuen multipolaren Welt keinen Sinn. 80% des Aktienanteils und 90% der Festverzinslichen nur in westlichen Industrieländern und davon vorwiegend der USA anzulegen, erscheint geradezu gefährlich. Mehr Sinn macht eine breitere Diversifikation der Anlagen. Aufgrund des Risikos von Sanktionen und totalen Handelssperren meinen wir damit nicht den Kauf von chinesischen oder russischen Wertpapieren, sondern den verstärkten Einbezug möglichst neutraler Staaten, denen es gelingen sollte, mit beiden Blöcken im Geschäft zu bleiben: Länder wie Mexiko, Brasilien, Indien, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate, Südafrika, Singapur, Malaysia oder Indonesien. Aktien von Firmen aus diesen Ländern oder westlichen Unternehmen, welche in diesen Märkten stark sind, erachten wir als am besten gewappnet für die multipolare Anlagewelt.
  2. Wie lange noch werden deutsche Luxusautos, französische Cognacs oder amerikanische iPhones nach China verkauft werden können? Mit chinesischen Gegenmassnahmen gegen die westlichen Strafzölle ist zu rechnen. Aktien von Firmen, welche viel nach China exportieren, sind gefährdet. Auch Aktien von Unternehmen wie Apple oder Nvidia, welche einen Grossteil ihrer Güter in Taiwan und China herstellen lassen, sind anfällig für plötzliche politische Schocks.
  3. Mittelfristig droht den westlichen Unternehmen der Verlust von Absatzmärkten wie auch von Konkurrenzfähigkeit, da man nur noch im protegierten Garten des Binnenmarkts aktiv ist. Vor allem Industriekonzerne, die jetzt laut nach Schutzzöllen rufen, haben auf dem Weltmarkt keine Chance. Schon jetzt kaufen Emerging Markets ihre Kapitalgüter für ihre Industrialisierung immer mehr in China statt im Westen.
  4. Aktien von Firmen, welche vom Boom in Emerging Markets profitieren und mit China konkurrenzfähig sind, bleiben langfristig hoch attraktiv. Typischerweise sind dies eher Konsumgüterhersteller als Industriefirmen. Idealerweise produzieren sie einen Grossteil ihrer Produkte auch vor Ort. Aus unseren Fonds-Portfolios wären das Titel wie Unilever, AB InBev, InterContinental Hotels, British American Tobacco oder Indofood.
  5. Rohstoffe wie Kakao, Weizen, Öl, Kupfer und natürlich Gold sind naturgemäss ebenfalls «blockfrei» und werden von beiden Seiten begehrt – ob in einem Handelskrieg oder einem echten Krieg. Ein direktes Investment in Rohstoff-Futures und Gold erachten wir deshalb nicht nur als historisch bewährten Inflationsschutz fürs Portfolio, sondern auch als einen gewissen Schutz gegen geopolitische Risiken. Bei Aktien von Rohstoffproduzenten ist dagegen immer Vorsicht geboten, da je nach Standort Enteignungen oder Sanktionen drohen könnten.
  6. Bei den Anleihen erachten wir eine breitere Diversifikation nach Ländern und Währungen als noch wichtiger als bei den Aktien. 90% der Anleihen-Indizes sind marktgewichtet in westlichen Papieren angelegt – eine höchst gefährliche Konzentration. Festverzinsliche Anlagen sind am meisten verwundbar, wenn die Inflation wegen steigender Staatsausgaben, Aufrüstung und Handelsschranken wieder anziehen sollte. Aufgrund der bisher angeführten Punkte sind die Anleihen hoch verschuldeter westlicher Staaten viel mehr gefährdet als die aus Schwellenländern. Wie die untenstehende Grafik zeigt, haben Anleger in Staatsanleihen Deutschlands und der USA in den vergangenen vier Jahren massive Verluste erleiden müssen, während alle Papiere aus gewichtigen Emerging Markets einen positiven Gesamtertrag brachten – dank einer Kombination aus höheren Zinsen und stärkeren Währungen.

Dass Anleihen aus Brasilien, Mexiko, Indonesien oder Indien in Dollar umgerechnet über Jahre besser performen als die «sicherer Industrieländer» ist wohl noch gewöhnungsbedürftig. Es macht aber mit Blick auf die volkswirtschaftlichen Fundamentaldaten durchaus Sinn. Im Fall einer Eskalation zu einem grösseren Krieg würde sich dieser Trend noch beschleunigen. Historisch sind die Anleihen von Kriegsverlierern immer eine Katastrophe und selbst die Papiere der Gewinner leiden unter der unvermeidbaren Inflation. Staatsanleihen von blockfreien Staaten dürften in einem solchen Extremumfeld eindeutig am besten abschneiden.

Peter Frech

Der studierte Psychologe Peter Frech ist Value-Investor aus Überzeugung und Leidenschaft. Seit 2007 arbeitet er als Fondsmanager beim Schweizer Vermögensverwalter Quantex in Zürich und ist für den Global Value und den Strategic Precious Metal Fund verantwortlich. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Geschichte, Strategiespielen und dem Piano.

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