Freitag, Februar 7

Das Mizmorim-Festival für jüdische Musik und die Basel Composition Competition führen Paul Sachers Gedanken einer lebendigen Musikpflege mustergültig fort. Bei dem Wettbewerb gibt es allerdings Diskussionen um eine Frauenquote.

Ohne Paul Sacher wäre die Kulturstadt Basel ein Irrtum. Wie kaum ein anderer hat der Mäzen und Dirigent Spuren im Kulturleben hinterlassen. Für Sacher war Kunst indes nie etwas Museales, sie sollte lebendig gehalten werden. Mit der Schola Cantorum Basiliensis initiierte er 1944 eine bis heute führende Ausbildungs- und Forschungsstätte für historische Aufführungspraxis. Gleichzeitig förderte er zeitgenössische Musik, nicht zuletzt mit dem von ihm gegründeten Kammerorchester.

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Im Fundus der Paul-Sacher-Stiftung finden sich zahllose Werke und Komponistennachlässe von historischem Rang. Das alles versteht man vor Ort offenbar immer noch als Verpflichtung. Das offenbarte sich am vergangenen Wochenende: Mit dem Kammermusik-Festival «Mizmorim» und der Basel Composition Competition hatte man sogar die Qual der Wahl zwischen zwei mehrtägigen Veranstaltungen, die Sachers Gedanken einer lebendigen Musikpflege fortschreiben.

Lust an brisanten Themen

Der alle zwei Jahre stattfindende Kompositionswettbewerb für Orchestermusik wurde von Christoph Müller initiiert, um die Gegenwartsmusik zu fördern. Die erste Ausgabe 2017 wies die Sacher-Stiftung als Co-Veranstalter aus, heute ist Florian Besthorn, der Direktor der Sacher-Stiftung, Teil der Jury. Seit 2019 wirken neben dem Kammerorchester auch die Basel Sinfonietta und das Sinfonieorchester Basel mit. Drei Orchester mit drei völlig unterschiedlichen Profilen: Das eröffnet den Wettbewerbsteilnehmern vielfältige Möglichkeiten.

Bei «Mizmorim» gibt es eine Zusammenarbeit mit der Sacher-Kuratorin Heidy Zimmermann. In diesem Jahr lautet das Motto dort «Exil». Ob der Krieg in der Ukraine, der Konflikt in Nahost oder die gegenwärtigen Debatten im Deutschen Bundestag rund um die Zuwanderung: Das Thema erscheint aktuell und brisant – so brisant, dass im Vorfeld von einigen Seiten eine Änderung des Themas empfohlen wurde. So berichtet es der Historiker Erik Petry in seiner Eröffnungsrede. Ähnliche Bedenken wurden übrigens auch in Gstaad laut, wo das Sommerfestival das Thema Migration aufgreift.

Doch Exil ist ein zentrales Thema in allen Künsten, und für ein Festival wie «Mizmorim», das 2015 von Michal Lewkowicz gegründet wurde, um die Schicksale jüdischer Künstler und ihr Schaffen zu würdigen, gilt das besonders. So wurden im Programm auch weniger bekannte Lebensläufe und Werke in den Fokus gerückt. Der Komponist Erich Itor Kahn etwa flüchtete über Frankreich nach Amerika, wo er 1943 einen «Trauergesang für die Juden, die in diesem Zeitalter umkamen» für Cello und Klavier schrieb. Eine Entdeckung war auch die späte Violinsonate von Ursula Mamlok aus dem Jahr 1989. Nach ihrer Vertreibung während der Nazi-Zeit kehrte Mamlok im hohen Alter 2006 nach Berlin zurück.

Zu einem Höhepunkt wurde die Uraufführung des Stücks «zwei allein (wohin?)» für Violine und Viola des jungen Residenz-Komponisten Hed Bahack mit Ilya Gringolts und Lawrence Power. Mithilfe von Skordaturen und Mikrotonalität entstehen hier «Ver-Stimmungen», die Entfremdung suggerieren. Diese Musik thematisiert damit auch, wie sich Traumata über Generationen vererben können – ein Thema, das ähnlich bei der israelischen Komponistin Chaya Czernowin präsent ist. Im Januar 2026 dreht sich «Mizmorim» – man hat es dort mit mutigen Themen – um Jerusalem.

Die Frage der Frauenquote

Weniger zielführend und von den Veranstaltern wohl so auch nicht gewollt war ein Thema, das den Kompositionswettbewerb beherrschte, nämlich die Frage nach einer Parität der Geschlechter unter den Ausgezeichneten. Schon im Vorfeld hatte es Diskussionen über eine Frauenquote bei der Preisvergabe gegeben. Von den immerhin 255 eingereichten Partituren mit neuen Orchesterwerken stammten dann rund 20 Prozent von Frauen. Nur eine schaffte es ins Finale: Qianchen Lu. Die Chinesin wurde sogar zur Siegerin gekürt und erhielt auch den erstmals vergebenen Publikumspreis. Die Entscheidung leuchtete nicht allen ein und gab Anlass zu weiteren Mutmassungen über die Vergabekriterien.

Auf Nachfrage betonte dagegen der Gründer und Organisator des Wettbewerbs Christoph Müller, dass einzig die schöpferische Qualität den Ausschlag gebe. Um dies zu gewährleisten, würden die eingereichten Partituren beim Auswahlverfahren anonymisiert. Eine an die Person der Einreichenden gebundene Quote erscheint deshalb schon rein praktisch kaum umsetzbar.

Über die Qualität von Qianchen Lus «Nine Odes to the Night» liess sich aber durchaus streiten. Das Werk reiht postmoderne Klänge recht beliebig aneinander, ohne konzisen Spannungsbogen und eine differenzierte Dynamik. Ganz anders wirkte «The Gaze of Mnemosyne» des zweiten Preisträgers Erqing Wang: In den vier kurzweiligen Sätzen bewies der Chinese virtuose Erfindungsgabe und eine unerhörte Experimentierfreude, von geräuschhaften Klangaktionen bis zum grossflächigen Ausbruch.

Hohes Orchesterniveau

Es ist stets das Musikleben selber, das darüber entscheidet, welche Stücke sich im Konzertalltag behaupten. Dabei soll nun auch eine erstmalige Kooperation des Basler Wettbewerbs mit der Wiener Universal Edition helfen. Sämtliche Stücke, die es in die Finalrunden geschafft haben, werden auf der verlagseigenen Online-Plattform «Scodo» dokumentiert. Die ersten zwei Preisträger dieses Jahres werden zudem in das Verlagsprogramm aufgenommen. Einen Verlag für ihre Werke zu finden, ist nämlich für junge Komponisten immer noch eine entscheidende Hürde.

Was im Verlauf der vielen Aufführungen während der Endrunden besonders auffällt, sind die durchwegs exzellenten Interpretationen. Ob das Kammerorchester Basel unter Tito Ceccherini, die Basel Sinfonietta mit Pablo Rus Broseta am Pult oder das Sinfonieorchester Basel unter Roland Kluttig: Da wird auf einem Niveau musiziert, wie man es selbst bei der führenden «Musica viva»-Reihe für Gegenwartsmusik in München mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks nicht alle Tage erlebt. Die Musikstadt Basel hat sich an diesem dichten Wochenende von ihrer besten Seite gezeigt.

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