Montag, September 30

Aktivisten versuchen, einen neuen Migros-Geflügelschlachthof in Saint-Aubin zu verhindern. Dabei kommt die Produktion kaum nach – und selbst die neue Lebensmittelpyramide macht sich für das Pouletbrüstli stark.

Wunsch und Wirklichkeit prallen in einem kleinen Freiburger Dorf beim Neuenburgersee aufeinander. In der 2000-Seelen-Gemeinde Saint-Aubin sollen künftig 30 Millionen Hühner pro Jahr geschlachtet werden. Die Migros-Tochter Micarna plant hier einen neuen Schlachthof für Geflügel, um ihren alten im nahe gelegenen Courtepin zu ersetzen.

Angeführt von der Organisation Greenpeace, versuchen Umweltaktivisten den Bau zu verhindern. Über tausend Einsprachen gingen ein, es laufen Gerichtsprozesse. Argumentiert wird mit vielen lokalen Anliegen: Mehrverkehr, intransparenter Verkaufsprozess, hoher Wasserbedarf.

Im Kern geht es allerdings um etwas anderes: den Fleischkonsum. Er soll sinken.

Doch beim Poulet passiert genau das Gegenteil. Während der Verzehr von rotem Fleisch stagniert oder zurückgeht, erlebt Geflügel seit 20 Jahren einen Boom. So sehr, dass die hiesige Produktion an den Anschlag kommt.

«Wir laufen Gefahr, in der Schweiz in einen Versorgungsengpass hineinzulaufen. Denn die Nachfrage steigt schneller, als wir neue Ställe bauen können», sagt Adrian Waldvogel, Präsident des Schweizer Geflügelproduzentenverbands (SGP) und selbst Masthuhn-Bauer in Stetten (SH).

Masthühner leben anderthalb Monate

Konventionelle Masthühner werden in Gruppen von mehreren tausend Tieren gehalten, die – nach rund anderthalb Monaten Lebenszeit – gleichzeitig geschlachtet werden. Die Branche habe die Produktivität enorm gesteigert, sagt Waldvogel. Früher habe es zwischen zwei Serien zehn bis vierzehn Tage Leerzeit im Stall gegeben. Dieser muss jeweils gereinigt und desinfiziert werden, bevor eine neue Generation einzieht.

«Diese Leerzeiten haben wir auf fünf Tage heruntergebracht. Das bedeutet aber, dass auch samstags und sonntags und teilweise nachts gearbeitet wird», sagt Waldvogel. Nun sei eine Steigerung in den bestehenden Ställen vielerorts nicht mehr möglich.

Allein in diesem Jahr stieg die Inlandproduktion von Poulet bis August um 6 Prozent, gleichzeitig wurden 16 Prozent mehr importiert. Den Bedarf einfach im Ausland zu decken, ist aber auch nicht mehr so einfach. «Der Import aus den klassischen europäischen Exportländern wird schwieriger, da auch dort die eigene Nachfrage steigt und die erhöhten Tierschutzauflagen die Produktion bremsen», sagt Adrian Waldvogel.

Rund 66 Prozent des angebotenen Geflügelfleischs werden hierzulande produziert. 2010 war es erst die Hälfte. Gefragt ist aber ohnehin vor allem Schweizer Poulet. Laut Marktkennern wollen mittlerweile sogar Kantinen, die bisher auf Tiefkühlimporte setzten, eine Schweizer Herkunft. Die Kundinnen und Kunden sind offenbar bereit, den Aufpreis zu zahlen.

Ein Sprecher der Bell-Gruppe, des zu Coop gehörenden Fleischverarbeiters, bestätigt: «Die Nachfrage nach Schweizer Poulet ist heute grösser als das Angebot. Deshalb suchen wir intensiv nach Landwirtinnen und Landwirten für die Pouletmast.» Bell betreibt im luzernischen Zell einen Schlachthof für Geflügel.

Wesentlich getrieben wird die steigende Poulet-Nachfrage von der Generation Z, also den heute 15- bis 30-Jährigen, die langsam, aber sicher auf eigenen Beinen steht und den Markt für Konsumgüter aufmischt. «Mehr Chicken, leichteres Bier, pinkfarbene Drinks: Firmen stellen neue Produkte nach dem Geschmack der Generation Z her», titelte etwa das «Wall Street Journal».

McDonald’s: neun verschiedene Chicken-Burger

Versinnbildlicht wird das durch das Angebot der Fast-Food-Kette McDonald’s. Beschränkte sich früher das Poulet-Angebot auf einen Burger und Nuggets, kann man heute zwischen neun verschiedenen Chicken-Burgern sowie saisonalen Varianten von Nuggets und Chicken-Wings wählen.

«Wir haben in den letzten Jahren unser Angebot im Poulet-Bereich stark ausgebaut – wegen unserer jungen Gäste, doch nicht nur ihretwegen», schreibt McDonald’s Schweiz. Eingekauft werde das Fleisch beim Sarganser Betrieb Ospelt. Doch weil das Angebot an Schweizer Brüstli zu gering sei, würden diese etwa zur Hälfte aus Frankreich, Deutschland und Ungarn importiert.

Poulet ist in der Regel günstiger als andere Fleischsorten. Die junge Generation isst aber vor allem gerne Poulet, weil es im Ruf steht, gesünder und nachhaltiger zu sein als Schwein und Rind. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) gibt ihr recht. Sie hat Mitte Monat die neue Schweizer Ernährungspyramide vorgestellt. Eine der auffälligsten Änderungen: Das Rindsplätzli-Symbol wurde durch eine Pouletbrust ersetzt.

Dass die Nachfrage weiter zunehmen wird, darin sind sich alle Marktteilnehmer einig. Denn im Vergleich zu anderen entwickelten Ländern ist der Poulet-Konsum in der Schweiz eher gering. 2023 lag er bei 14,7 Kilo pro Person. Angeführt wird die Rangliste vom Inselstaat Bahamas mit über 70 Kilo. Die Schweiz hat also etwas aufzuholen. Hinzu kommt die hohe Zuwanderung – oft aus Ländern, wo mehr Geflügel gegessen wird als hier.

Sollte sich Greenpeace angesichts dieser Ausgangslage nicht eher an die Konsumenten wenden statt an die Migros? Die Migros sei mitverantwortlich für den hohen Konsum, entgegnet eine Greenpeace-Vertreterin. «Ihr Marketing und ihre Preispolitik heizen den Fleischkonsum an.»

Aber ob der Poulet-Hunger der Schweizer Bevölkerung nun aus Saint-Aubin gestillt wird oder nicht – gross bleibt er allemal.

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