Donnerstag, Oktober 3

Die bisher vernachlässigten Sektoren Grundstoffe, Energie und Real Estate werden von der Hausse erfasst. Damit hat an den Aktienmärkten die produktivste Phase begonnen.

Eine nur annähernd so positive Marktverfassung wie derzeit haben wir seit Januar 2018 nicht mehr erlebt.

Die Qualität dieser Marktphase erkennt man daran, dass immer wieder zurückgebliebene Segmente entdeckt werden. Deren Kurse steigen, ohne dass die bisherigen Gewinner namhaft verlieren. Dadurch nimmt die Marktbreite zu.

Die Marktbreite ist eine Quelle der Erkenntnis

Mittlerweile liegt die Marktbreite global bei 77%, gegenüber 58% Ende 2023.

Das zeigt, dass Populationen, die mit ihren diversen Ansätzen die Chancen am Aktienmarkt bisher eher skeptisch beurteilt haben, sich in das Lager der Bullen bewegt haben.

Die besten Marktphasen liegen dann vor, wenn unterschiedliche Ansätze zu übereinstimmenden Erwartungen führen. Dass genau das geschieht, lässt die starke Zunahme der Marktbreite vermuten. Diese Annahme wird auch dadurch gestützt, dass der iShares Edge MSCI World Multifactor ETF zu einem relativ starken Produkt mutiert ist, nachdem er zuvor lange relativ schwach war, die relative Schwäche aber über längere Zeit abgenommen hat. Im März hat er mit dem über lange Zeit relativ stärksten Produkt dieser Familie, Momentum, gleichgezogen. In der Tat waren die Edge-MSCI-Produkte mit Volatilität, Momentum, Value, Size und Multifactor erstmals seit langem gleich stark.

Neuerdings haben Populationen, die in der stark Momentum-getriebenen Phase ihre Mühe hatten, ihre Exponierung im Aktienmarkt zu erhöhen, drei Sektoren entdeckt, die die Hausse der letzten Monate nur halbherzig bis gar nicht mitgemacht haben: MSCI Materials, Real Estate und Energy.

Der Maverick hat sich dem Mainstream angeschlossen

In meinem Beitrag vom 14. März habe ich den MSCI Materials als aufmüpfigen Maverick bezeichnet.

Gold und Goldminenaktien haben die Aufmüpfigkeit angefeuert. Die neu erwachte Dynamik im Goldpreis hat mittlerweile die Anzeichen für eine nachhaltige Goldhausse bestätigt und sich selbstverständlich auf die Goldminen ausgeweitet. Als erste angesprungen sind kanadische Goldminen, die ausserhalb Kanadas wenig beachtet werden, und hier spreche ich von den sogenannten Penny-Stocks, die oft zu einstelligen Kursen gehandelt werden, wie z.B. SolGold, die im März mit einem Kursanstieg von etwas mehr als 60% vorangegangen ist.

Aktien dieser Kategorie setze ich seit Jahrzehnten als meine «Aufklärungsdrohnen» ein. Sie werden vorwiegend von Leuten gehandelt, die mit dem Goldmarkt sehr vertraut sind. Wenn sich die Kurse solcher Aktien rudelweise in eine Richtung bewegen, folgen Gold und namhafte Goldminen in der Regel nach.

Metals & Mining strahlt im Glanz des Goldes

Goldminen sind in der Industrie Metals & Mining im MSCI Materials zu finden. Sie stellen darin nicht die einzige positive Gruppe dar. Immer mehr Rohstoff- und Stahlaktien fallen in dieser Industrie positiv auf.

Die bislang besten Industrien des Sektors, Construction Materials und Containers & Packaging, halten ihre hohe relative Stärke aufrecht. Immerhin gehört Construction Materials mit dem achten Platz auf der Liste der Top-15-Industrien aus allen Sektoren zu den besten Anlagesegmenten im globalen Aktienmarkt.

Gleichzeitig ist die Breite in der Chemieindustrie gestiegen. Mittlerweile liegt die Marktbreite des Sektors dank der Entwicklung in den einzelnen Industrien bei 70%. Am 14. März lag sie noch bei 50%.

Geduld zahlt sich aus

Energieaktien haben in den letzten sechs Monaten meine Erwartungen nicht erfüllt. Der MSCI Energy und der S&P Global Energy Sector Index haben sich in einer engen Bandbreite seitwärts bewegt:

Das stellte eine überaus lange Konsolidierung des vorangegangenen Aufwärtstrends dar, der in 21 Monaten 251% eingebracht hatte.

Zur Kontrolle, ob ich an den Positionen in diesem Sektor festhalten soll oder nicht, hatte ich die oben abgebildete Einstellung gewählt: Im oberen Fenster das 10-Monate-Bollinger-Band ohne gleitenden Durchschnitt mit 1,9-Standardabweichung, im unteren Fenster den gleitenden Durchschnitt zum MSCI Welt über 50 (grau) und 10 (blau) Monate.

Diese Instrumente stellten die Grenzen meiner Volatilitätstoleranz für Kurse und relative Stärke dar.

Die Wartezeit strapazierte meine Geduld. Die Erfahrung mahnte, diszipliniert zu bleiben, ist doch Disziplin einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren für langfristige Anlagen.

Im März war Energie mit einem Plus von knapp 9% der stärkste Sektor. Der MSCI Welt legte 3% zu. Ein Kursanstieg in dieser Grössenordnung kann positiv, bedeutungslos oder negativ sein, je nach Vorgeschichte. Wenn ich mich nicht irre, ist es in diesem Fall ein positives Signal. In meinem Verständnis haben Öl- und Ölaktien mindestens mittelfristig eine Phase steigender Preise eingeläutet.

Bottom-fishing in Immobilienaktien

Während anderweitig Kursrekorde geschrieben werden, notiert der MSCI Real Estate 23% unter dem Stand vom 31. Dezember 2021. Dass der Sektor immerhin 20% höher als im letzten Oktobers notiert, zeigt, dass das Glas halb voll und nicht halb leer ist. Die Marktbreite liegt bei 53%. In Nordamerika und Europa steht sie sogar auf 67%.

Der Sektor befindet sich immer noch in einer Bodenbildung. Es gibt jedoch etliche Aktien, die auf tiefem Niveau eine Kursdynamik zeigen, die sich im Sektor weiter ausbreiten dürfte. Interessant sind Titel, deren relativer Trend zum MSCI Welt lange negativ war und neuerdings positiv geworden ist.

Passt das alles zum Lauf der Weltwirtschaft?

Auf diese Frage mag es unterschiedliche Antworten geben. Jedenfalls stimmen die Erwartungen von Populationen, die sich nie verständigen werden, welcher Ansatz den besten Erfolg an der Börse bringt, weitgehend überein. Das signalisieren die Zunahme der Marktbreite und die Konvergenz der unterschiedlich konstruierten Faktor-ETFs.

Das spricht dafür, dass die angelaufene Konjunktur im Kapitalgütersektor ihren Fortgang nimmt.

Der globale Aktienmarkt befand sich zwischen Januar und Oktober 2022 in einer Bifurkations-Phase, wie ich damals in mehreren Beiträgen geschrieben habe. Die Weichenstellung begann im November 2022. Sie wurde im Lauf des letzten Jahres vollendet.

Neu befindet sich der Aktienmarkt in der produktivsten Phase eines Trends, bekannt als Lock-in. Die Literatur zu Pfadabhängigkeit stimmt darin überein, dass der Ausgang einer solchen Phase «ineffizient» sein kann, wie es dann zumeist heisst. An der Börse bedeutet das ganz einfach, dass der Markt teuer – oder gar überteuert – ist. Man wird also aufpassen müssen, Wirtschaft und Börse nicht als zwei Seiten der gleichen Münze zu betrachten.

Alfons Cortés

Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.
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