Mittwoch, November 27

Am Samstag kehren die vier «Kolonisten» nach 378 Tagen von einer analogen Mars-Mission in den Erdalltag zurück. Die Nasa will herausfinden, wie viel Essen künftige Mars-Astronauten brauchen und wie sie glücklich bleiben.

Vier Fremde leben 378 Tage auf 160 Quadratmetern, eingesperrt, ohne Fenster. Und sie werden vollständig überwacht.

Klingt nach «Big Brother», ist aber ein ernsthaftes wissenschaftliches Experiment – durchgeführt von der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa.

Mehr als zwölf Monate verbrachten vier Freiwillige des Chapea-Programms (Crew Health and Performance Exploration Analog) auf einem Mars-Simulationsgelände in Houston, Texas. Am Samstag kehren sie «auf die Erde» zurück. Die Nasa will herausfinden, ob und wie Menschen es auf dem Mars aushalten könnten.

Der Mars ist lebensfeindlich und weit, weit weg

Die Umweltbedingungen auf dem Mars gelten als lebensfeindlich: Der Boden ist giftig, die Atmosphäre dünn. Die Weltraumstrahlung, die den Organismus schädigen kann, ist sehr hoch.

Zudem ist in der Realität die Reisezeit lang: Eine Mission würde idealerweise auf dem Mars ankommen, wenn der Planet auf seiner elliptischen Bahn der Erde am nächsten kommt. Das verkürzt die Reisezeit. Das nächste Zeitfenster dafür ist 2033.

Die Nasa glaubt daran, dass eine bemannte Marsmission möglich ist. Sie bemüht sich derzeit darum, erstmals Proben vom Mars zurückzuführen – eine grosse Herausforderung, da Kritiker eine Kontamination mit tödlichen Keimen für möglich halten.

Bei dem Chapea-Experiment mit den vier Analog-Astronauten geht es aber in erster Linie nicht um technische Hürden, sondern um die Frage, wie Menschen die lange Isolation auf dem Weg zum kargen Mars und zurück psychologisch aushalten.

Die Nasa-Managerin Grace Douglas sagte beim Einzug der vier Bewohner im Juni 2023: «Das Wissen, das wir hier sammeln werden, wird uns ermöglichen, irgendwann Menschen zum Mars und sicher wieder nach Hause zu bringen.»

Eine künftige Besatzung auf einer Expedition zum Mars wird damit leben müssen, dass sie über Monate die isoliertesten Menschen sein werden. Sollten ihre Kinder oder Ehepartner auf der Erde krank werden, gibt es keine Möglichkeit, ihnen beizustehen. Sollte man seine Mitastronauten nicht ausstehen können, gibt es keinen Rückzugsraum. Die Astronauten wären vollständig aufeinander angewiesen. Der Wunsch, zum Mars zu fliegen, muss grösser sein als alles andere.

Die vier Freiwilligen in Houston haben zumindest ihren Wunsch, auf dem simulierten Mars zu leben, über ihr Erdenleben gestellt.

Ein Teilnehmer ist der Arzt Nathan Jones aus Illinois. Jones ist Vater von drei Kindern. Der Nasa hatte er laut der «New York Times» im Vorfeld mitgeteilt, er wolle auf der Mission so beschäftigt sein wie möglich, damit er nicht zu viel Zeit dafür habe, um seine Frau und die Jungs besorgt zu sein. Jones’ Umgebung reagierte besorgt, manche hielten ihn gar für verrückt. Seine Frau sagte gegenüber der «New York Times», dass sie sich als Mutter nicht vorstellen könne, die Kinder ein Jahr lang zu verlassen. Doch am Ende habe sie der Enthusiasmus ihres Mannes für das Projekt überzeugt.

Auch bei den anderen drei Teilnehmern handelt es sich um Freiwillige, die in ihrem normalen Leben völlig anderen Aufgaben nachgehen. Die Nasa stellte nur wenige Bedingungen: Die Freiwilligen sollten gesund sein, zwischen 30 und 55 Jahre alt sein, nicht rauchen. Zudem sollten sie ein naturwissenschaftliches Fach studiert und mindestens tausend Flugstunden absolviert haben.

Ausgewählt wurden neben Nathan Jones der Betriebsleiter Ross Brockwell, die Biologin Kelly Haston und die Mikrobiologin Anca Selariu.

Mars-Gelände aus dem 3-D-Drucker

Die vier Freiwilligen lebten das vergangene Jahr auf dem «Mars Dune Alpha»-Gelände. Die Nasa hat es mit einem 3-D-Drucker erstellt, nach dem Vorbild, wie sich die Nasa künftige Mars-Missionen vorstellt. Vorerst ist es jedoch noch ein 1700 Quadratmeter grosses Gelände in einem Lagerhaus im Johnson Space Center in Texas.

Sneak Peek at Simulated Mars Habitat at NASA’s Johnson Space Center

Die Tage in der analogen Marsmission waren streng strukturiert. Die Freiwilligen begannen ihren Tag um 6 Uhr morgens. Sie mussten sich täglich wiegen, damit wertvolle Daten zu ihrem Gesundheitszustand gesammelt werden konnten. Die Nasa will unter anderem herausfinden, ob eine Mars-Besatzung über Monate von salzarmer Astronautennahrung leben kann, ohne an Gewicht und Lebensfreude zu verlieren.

Es geht um die praktische Frage, wie viel Nahrung ein Mensch auf einer Mars-Mission braucht. Die Teilnehmer durften in einem Indoor-Garten Gemüse selbst anpflanzen. Das Gärtnern soll gut für die Psyche sein und Abwechslung in den Speiseplan bringen. Immerhin.

Nach dem Frühstück besprachen die Teilnehmer, wie der Tag ablaufen sollte. Abwechslung versprachen die Tage, an denen die Teilnehmer sogenannte extravehikuläre Aktivitäten (Evas) auf der simulierten Marsoberfläche unternahmen. Jeweils zwei Teilnehmer durften, in Raumanzügen und mit Werkzeug, durch Schleusen die Station verlassen. Sie durften auf dem «Mars» herumlaufen und Aufgaben ausführen, von denen man annimmt, dass sie notwendig sein werden, um eine Mars-Basis zu bewirtschaften. Die zurückgebliebenen Astronauten erteilten Anweisungen.

Einen Monat nach Beginn der Mission fragte die Nasa die Teilnehmerin Kelly Haston nach ihrer Stimmung. Es überwogen der Enthusiasmus und die Aufregung. Noch. Als Herausforderung empfanden die Teilnehmer vor allem die Kommunikation mit ihren Angehörigen. Zeitverzögerung und Datenbeschränkungen bedeuteten, dass die Übermittlung von Nachrichten länger brauchte, als sie es erwartet hatten.

Die Kommunikation geschah in Mars-Zeit, so dass beispielsweise das Übermitteln einer kurzen SMS schon über zwanzig Minuten dauerte. Allein der Austausch der Frage «Wie geht’s?» und der Antwort «Gut» würde so fast eine Dreiviertelstunde dauern – sofern nicht andere Daten in der Warteschlange sind.

In der Mitte des Experiments gab es einen dreiwöchigen Zeitraum, in dem keinerlei Kontakt zur «Erde» bestanden hat. So, wie es auch bei einer wirklichen Mars-Mission sein würde, wenn die weiteste Entfernung zwischen den beiden Planeten erreicht ist.

«Hi Seas» und «Mars 500» testeten bereits Mars-Simulationen

Die Nasa hat bereits mit früheren Tests erste Erfahrungen und Daten für eine Mars-Simulation gesammelt. Etwa bei den «Hi Seas»-Missionen auf Hawaii. Eine der Teilnehmerinnen beschrieb danach ihre Erfahrungen und sprach von «Langeweile» und «Isolation». Irgendwann sei ihre «mentale Müdigkeit zum Grundzustand» geworden, wird sie von der «New York Times» zitiert. Die ständige Überwachung habe die Besatzung gestört, sie hätten unter Schlafstörungen gelitten.

Die Raumfahrtbehörden Europas, Russlands und Chinas nahmen vor rund fünfzehn Jahren am «Mars 500»-Projekt teil. Es war das bisher längste Isolationsprojekt: Sechs Teilnehmer simulierten 520 Tage lang einen Mars-Flug. Der chinesische Teilnehmer verlor während der Mission zehn Kilogramm an Gewicht und jede Menge Haare. Über seine Stimmung sagte er gegenüber der «China Daily»: «Es ist unmöglich, die ganze Zeit glücklich zu sein. Schliesslich bin ich ein Mensch und kein Roboter.»

Wie die Teilnehmer der jüngsten Mars-Simulation ihre Erfahrungen bewerten, ist noch nicht bekannt. Die Nasa hat bereits zwei weitere Missionen geplant, die nächste startet im Frühjahr 2025.

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