Donnerstag, August 21

Anja Kampmanns Roman «Die Wut ist ein heller Stern» zeichnet die Geschichte der nationalsozialistischen Transformation der Gesellschaft an einem kleinen Schauplatz nach.

Pariser Glanz an der Reeperbahn. Das «Alkazar» hat es wirklich gegeben. Es war ein lüstern rot tapeziertes Variété, dessen Scheinwerfer die Verfinsterungen der Zeit zu überstrahlen versuchten, bis es nicht mehr ging. 1935 wurde das Etablissement seinem Besitzer von den Nationalsozialisten abgenommen und bekam einen sehr deutschen Namen. Es hiess fortan «Allotria». Den neuen, parteitreuen Chef nannte man nicht mehr Direktor, sondern er durfte als Führer im Kleinen auftreten, als «Betriebsführer». Die Mädchen auf der Bühne trugen statt Strapsen jetzt Dirndl.

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Aus einem Nebenschauplatz der Nazizeit hat Anja Kampmann in ihrem Roman «Die Wut ist ein heller Stern» einen Hauptschauplatz gemacht. Das Buch erzählt von einem Kulturkampf, der den Menschen die private Lebenslust austreibt, damit man aus ihnen einen neuen Volkskörper formen kann. In den dreissiger Jahren ist Schluss mit lustig, aber der Roman verschweigt auch das Hamburger Elend nicht, das es vor den Nazis gab.

«Die Wut ist ein heller Stern» hat etwas kunstvoll Hybrides. Das Buch ist in einer hochmusikalischen Sprache geschrieben. Wenn man sich daran gewöhnt hat, erkennt man den Sinn. Die statische Sprache und die Dynamik der Ereignisse ergänzen sich zu fast filmischen Bildern. Man meint, alles ganz genau vor sich zu sehen. Das Nachtleben von Hamburg, das verkommene Gängeviertel, die Kanäle durch die Stadt, auf denen die Lastkähne liegen.

Geld und Moral

Hedda, die Ich-Erzählerin und Hauptfigur, ist Tänzerin und Akrobatin im «Alkazar». Sie nennt sich auch Edda Récord, und bei ihrer berühmtesten Nummer schwebt sie fast nackt am Seil über zwei Kaimanen, die nach ihr schnappen. Arthur ist der Herr des Hauses, ein Zuhälter als Grandseigneur, der in abgründiger Eitelkeit die Fäden in der Hand hält. Er hat moralische Prinzipien, die im Bedarfsfall jederzeit durch Prinzipien des Geldes relativiert werden können.

In seinem Separee hinter der Bühne hält er Hof, bis die ersten politischen Schikanen kommen und er sich mehr und mehr verstecken muss. Auf den Strassen hat man Freunde von Hedda verhaftet. Leute aus kommunistischen Sportvereinen und Aktivisten aus der Arbeiterschaft. Der jüdische Trompeter darf nicht mehr im Variété auftreten.

Auf subtile Weise hat sich Anja Kampmann in ihrem Roman auf Figuren beschränkt, die alle eine Geschichte für sich haben. Heddas kleiner Bruder ist behindert und damit Sand im Getriebe der Zeit. Die Mutter, Arbeiterin in der Reemtsma-Zigarettenfabrik, will sich nicht um ihn kümmern. Der Vater, genannt «Brauner Wind», macht gerade eine Nazikarriere und sieht das Kind als Betriebsunfall. So ist es an Hedda, die Verantwortung zu übernehmen.

Nicht leicht in Jahren der Not, die die Tänzerin dadurch zu lindern versucht, dass sie sich mit dem «Grauen» abgibt. Der Witwer bezahlt sie für ihre erotischen Dienste und ist beinahe eine Karikatur des zahmen, in die Innerlichkeit gekehrten Revoltierens der Bürgerlichkeit gegen den Nationalsozialismus. Je heftiger es auf den Strassen zugeht, umso häufiger klimpert er in seiner Aussenalster-Villa Stücke von Schubert auf dem Klavier.

Die Schubladen der Kommode sind noch voll mit den Beruhigungstabletten seiner verblichenen Gattin. Hedda stiehlt sie heimlich und hat so für sich selbst auch noch eine andere Methode der Selbstabspaltung gefunden. Die, die es in den neuen Zeiten nicht geschafft haben, sich selbst zu bleiben, nennt sie «Ritas». Wie viel fehlt, bis sie selbst eine wird?

Grossartig an Anja Kampmanns Roman «Die Wut ist ein heller Stern» ist, wie darin die Zeitgeschichte in aller Konsequenz als eine Geschichte der Körper erzählt wird. Die Mädchen, die im «Alkazar» arbeiten, stellen sich schon lange zur Schau, jetzt aber werden sie Opfer eines veränderten Blicks. Gegenüber dem Ideal der Frau als keusche Gattin und Mutter verlieren sie den Rest ihrer Würde.

Menschen werden umgeformt

Wenn auch bei Hedda durch einen Zwangseingriff die Gebärmutter entfernt wird, dann wird man daran erinnert, wie nahe die Autorin an historischen Fakten entlangschreibt. Die städtische Hamburger Fürsorge kümmerte sich mit grösster Brutalität um die sogenannten «gefallenen Mädchen». Als Amtsleiterin taucht im Roman Käthe Petersen auf, die real existiert hat. Ganz unbehelligt konnte sie nach 1945 ihre Arbeit fortsetzen. Auch der Variétébesitzer Arthur hat sein Vorbild: Arthur Wittkowski, der das «Alkazar» 1926 gegründet hatte.

Die Umformung der Menschen zu einem neuen Volkskörper ist im Hamburg der dreissiger Jahre allumfassend. Das Proletarisch-Widerständige wird ausgemerzt und die Kraft der Willigen in neue Bahnen gelenkt. Heddas Bruder Jaan meldet sich als Harpunenschmied auf dem Walfangschiff «Jan Wellem», das 1936 als Herzensprojekt von Hermann Göring aufs Meer geschickt wird.

Jaan verlässt Hamburg und wird bei seiner Rückkehr ein anderer geworden sein. Der Impresario Arthur schrumpft in die neue Epoche förmlich hinein. Er muss sich auf Lastkähnen verstecken, verliert Grandezza und Contenance. Sein Leben allerdings nicht. Der echte Arthur Wittkowski hat nach dem Krieg einen Neuanfang versucht, es aber nie wieder zu alter Grösse gebracht.

Unverständlicherweise ist Anja Kampmann nicht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Denn ihr Roman schafft, neben seiner Sozialkritik der Ausbeutung, auch eine grosse kulturelle Transformationsmetapher: Auf der Bühne der flirrenden Sensationen werden die Lichter gelöscht. Man trägt Dirndl, und Spass heisst jetzt Allotria.

Anja Kampmann: Die Wut ist ein heller Stern. Roman. Carl-Hanser-Verlag, München 2025. 496 S., Fr. 40.90.

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