Freitag, Oktober 18


TV-Kritik

Nach Serien, die vom Drogenschmuggel und -konsum handeln, wird international fast ebenso gegiert wie nach den Drogen selber. «Griselda» mit Sofia Vergara in der Titelrolle übertreibt es mit der Übertreibung. Mit Ausnahme der Mode, die ist verhältnismässig unaufgeregt.

Dass sich mit nichts so viel Geld verdienen lässt wie mit Sex, Waffen und Drogen, ist eine Binsenweisheit in der Geschichte des Verbrechens. Dasselbe gilt für Hollywoodfilme – Disneys «Cinderella» ist ein Auslaufmodell, das den Kindern vorbehalten bleibt. Im Trend liegen Serien, die sich um Aufstieg und Fall übermächtiger Drogenkartelle wie Medellín oder Sinaloa drehen, zuvorderst die «Narcos»-Reihe. Hierbei handelt es sich immer um das organisierte, von Banden ausgeübte Verbrechen, an dessen Spitze ein unersättlicher Boss mit den Mitteln der Gewalt herrscht.

Wie Serienkiller geniessen auch Drogenbarone in der Populärkultur eine Art Star-Status, die Namen von El Chapo oder Pablo Escobar sind auf den Streaming-Plattformen ebenso präsent wie diejenigen der berüchtigten Serienmörder Ted Bundy oder Jeffrey Dahmer.

Glamourös verpackter Grössenwahn

Das mag mit daran liegen, dass Kokain seit Jahrzehnten einen unaufhaltsamen Aufstieg erlebt, in den Grossstadtmetropolen, aber auch in ländlichen Regionen. Im Kino feierten Al Pacino und Michelle Pfeiffer 1983 einen Grosserfolg in Brian de Palmas «Scarface», wozu eine andere Hollywoodgrösse, nämlich Oliver Stone, das Drehbuch verfasst hatte. «Scarface» ist gewissermassen der Goldstandard geblieben für glamourös verpackten Grössenwahnsinn, dem sich aufgrund unkontrollierten Konsums die Paranoia beigesellt.

Die Netflix-Miniserie «Griselda» stellt eine Frau in den Mittelpunkt, die ihren Mann stand. Zu entnehmen einem am Serienanfang eingeblendeten Zitat aus dem Munde von Pablo Escobar: «Der einzige Mann, vor dem ich jemals Angst hatte, war eine Frau namens Griselda Blanco.» Das Streaming-Publikum wird gleich einmal eingestimmt auf eine, die dem Drogen-Granden Escobar Respekt abnötigte.

Gespielt wird Griselda Blanco, die keine fiktionale Figur war, sondern die tatsächlich ihr Unwesen trieb, bis zum gewaltsamen Ende. 2012 wurde Griselda beim Verlassen einer Metzgerei in Medellín erschossen. Verkörpert wird sie von einer «echten» Latina, von Sofia Vergara, die als temperamentvoller Blickfang der Mockumentary-Comedy «Modern Family» (2009–2020) als bestbezahlte TV-Darstellerin der Welt galt. Und natürlich sieht der Star Sofia Vergara hundertmal besser aus als Griselda Blanco, die bei einem Schönheitswettbewerb nicht einmal Aussenseiterinnenchancen gehabt hätte.

Von der Prostituierten zur «Patin»

Griseldas Karriere als Drogendealerin im grossen Stil beginnt als trauriges Klischee: eine Vergangenheit als Prostituierte, dann die Heirat mit einem Mann, der sie wegen Schulden für eine Nacht an seinen Bruder verkauft und sie danach fragt, ob es ihr etwa Spass gemacht habe. Da dreht sie ein erstes Mal durch, erschiesst den Ehemann und flüchtet mit ihren drei Jungs ins Land der unbeschränkten Möglichkeiten, nach Miami, wo die Hispanics eine zahlreiche und mächtige Community bilden.

Der Start verläuft nicht wie gewünscht. Mit einem Kilo geschmuggelten Kokains von hohem Reinheitsgrad – Netflixer wissen längst, dass sich reines Koks lukrativ strecken lässt – macht sie sich in einer Disco zu den Klängen von Donna Summer an einen heran, dessen Leibwächter seine Wichtigkeit hervorheben.

Miamis Schickeria als neue Klientel

Aller Anfang ist wieder einmal schwer, doch schliesslich mischt Griselda den Kokainmarkt von Miami auf, indem sie eine neue Klientel erschliesst – vermögende Leute, die davor zurückscheuen, sich den Stoff auf der Strasse zu besorgen, und solche, die Zugang zu den Reichen haben: Personal Trainer, Tennis- und Yogalehrer usw.

Sie importiert nicht nur Koks in rauen Mengen aus Medellín, sondern Prostituierte, die das Zeug neben dem Sex verhökern. Als man sie «Patin» nennt, mit Bezug auf die epochale Filmtrilogie (die dannzumal erst Teil 1 und Teil 2 umfasst), sonnt sie sich im erworbenen Ruhm. Sie wird ein viertes und letztes Mal schwanger und gibt ihrem Jüngsten als Hommage an «The Godfather» den Namen Michael Corleone Sepulveda Blanco.

Weil sie sich nicht zu knapp am eigenen Stoff vergreift, ergreifen sie Grössenwahn und Paranoia. Hinzu kommt, dass ihr eine schlaue Polizistin auf die Schliche kommt. Die Paranoia potenziert sich in einem Ausmass, das alle in Griseldas Dunstkreis akut gefährdet, selbst ihre engsten Freunde und die angeblich geliebten Söhne. Ihren Auftragsmorden fallen sogar zwei Babys zum Opfer, so dass man letztlich keinerlei Mitgefühl für Griselda empfindet, als sich die Schlinge allmählich um sie zusammenzieht.

In modischer Hinsicht lässt sich leider wenig entdecken, die unter der Brust zusammengeknoteten Blusen gehören zu den 1970ern wie die Schlaghosen, die gerade geschnittenen Kleider mit Gurt in der Taille oder der rückenfreie Jumpsuit. Griseldas textile Highlights beschränken sich auf zwei Hosenanzüge aus Lamé, in Gold und in Silber, die sie im Nachtklub trägt.

Vergaras Absicht, sich als Schauspielerin in einer dramatischen Rolle anzuempfehlen, ist nicht aufgegangen. Dafür ist das Script zu formelhaft, zwischen Griselda und ihrem Lover, Handlanger und Kindsvater in Personalunion knistert es nie wirklich. So lässt einen auch das absehbare Un-Happy End kalt.

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