Freitag, Oktober 18

China erweitert seine Präsenz auf dem eisigen Kontinent, Australien und Neuseeland machen sich Sorgen. Der Abbau von Rohstoffen scheint weniger das Ziel zu sein. Mit dem Ausbau von Abhör- und Navigationssystemen muss man schon eher rechnen.

Um Pinguine und Robben zu beobachten, braucht man von Qinling aus nicht weit zu fahren. Die neue chinesische Forschungsstation am Rossmeer in der Antarktis ist für zoologische Untersuchungen ideal gelegen. Am 7. Februar wurde sie eröffnet.

Inexpressible Island – auf Deutsch «Unsägliche Insel» – heisst das Eiland, auf dem die Station gebaut wurde. Die Insel trägt den Namen nicht ohne Grund. Er wurde ihr von Wissenschaftern gegeben, die im Jahr 1912 monatelang bei Eiseskälte ausharren mussten und sich teilweise von Pinguin- und Robbenfleisch ernährten. Man kann wohl davon ausgehen, dass die chinesischen Wissenschafter andere Lebensmittel auf dem Speiseplan vorfinden werden.

Mehr als fünfzig Länder betreiben Forschungsstationen in der Antarktis. Qinling ist bereits die fünfte chinesische Station auf dem vergletscherten Kontinent – und mit 5244 Quadratmetern die zweitgrösste dieses Landes dort. Im Sommer können bis zu achtzig Menschen in dem Areal arbeiten, im Winter bis zu dreissig.

Die chinesische Regierung sagt, dass mit der Station die wissenschaftliche Neugier befriedigt werden solle. Doch im Westen wurde schon im vergangenen Jahr über ganz andere Motive spekuliert, die ebenfalls eine Rolle für den Bau gespielt haben könnten.

Rohstoffe, Abhörmöglichkeiten – es gibt mehrere Theorien

So hiess es in manchen Berichten, China bereite mithilfe von Qinling die Erkundung und den Abbau von Rohstoffen vor. In der Antarktis, das ist seit langem bekannt, gibt es Vorkommen diverser Metalle, ausserdem Lagerstätten von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Erdgas und Erdöl.

Die These, China habe seine Forschungsstation auch wegen der Rohstoffe errichtet, steht allerdings auf wackeligen Beinen. Derzeit wäre die Ausbeutung der Rohstoffe in der Antarktis extrem aufwendig und teuer. Abgesehen davon ist sie derzeit untersagt.

Ein anderes Motiv für den Bau der Station ist schon plausibler. Es hat mit der Lage von Qinling am Rossmeer zu tun. Ein warnender Bericht der amerikanischen Denkfabrik Center for Strategic and International Studies im April 2023 erregte viel Aufsehen. Darin hiess es, die Forschungsstation könne dank ihrer Lage am Rossmeer dazu dienen, Kommunikationssignale von Australien und Neuseeland zu sammeln und nachrichtendienstlich auszuwerten. Auch könnte man an der Station Messdaten von Raketen erfassen, die von neu errichteten Weltraumeinrichtungen in den beiden Ländern starten.

Grundsätzlich wäre es für China technisch möglich, seine Forschungsstation für Abhöraktionen zu nutzen. Empfangsgeräte dieser Art benötigen Wissenschafter ohnehin – zum Beispiel, um mit Satelliten zu kommunizieren.

Es handelt sich bei den Empfangsgeräten um sogenannte Dual-Use-Güter. Peking würde in diesem Punkt nicht gegen die Regeln des Antarktis-Vertrags verstossen, erläutert Elizabeth Buchanan, eine Sachverständige am National Security College der Australian National University in Canberra. Viele Dual-Use-Güter werden für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt, oft kann man nicht auf sie verzichten. In der Antarktis greifen mehrere Länder zum Beispiel auf Radargeräte und autonome Vehikel zurück, die je nach Definition zu den Dual-Use-Gütern gezählt werden können. Trotzdem gibt es immer wieder Diskussionen über ihren Einsatz.

Ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums hat Sorgen wegen möglicher Abhöraktionen in einer Medienkonferenz als unnötig bezeichnet. Er beharrte darauf, die Station sei für wissenschaftliche Zwecke gedacht. China befinde sich im Einklang mit dem Antarktis-Vertrag von 1961. Dieser Vertrag schreibt eine friedliche Nutzung des Kontinents vor, womit in erster Linie die wissenschaftliche Erkundung gemeint ist. China zählt zu den Vertragsstaaten ohne Gebietsanspruch.

Sind die Sorgen um Qinling überzogen?

Australien und Neuseeland könnten gegen chinesische Abhöraktivitäten in der Antarktis nichts unternehmen, falls sie denn stattfänden, urteilt Buchanan. Es gebe allerdings Forschungsstationen der USA, die noch deutlich näher an Qinling lägen als die beiden Pazifikstaaten. Dort müsste man sich wegen der Gefahr des Abhörens wohl die grössten Sorgen machen.

Sie verstehe die Sorgen Australiens und seiner Verbündeten und Partner, was das Abfangen von Signalen durch Qinling angehe, meint Buchanan. Sie glaube aber, dass der Mehrwert für Peking eher in der Stärkung seiner eigenen Weltraum- und Kommunikationsvorhaben liege.

Einen Nutzen dürfte Qinling zum Beispiel für das chinesische Satellitennavigationssystem Beidou haben, das als Konkurrenz zu GPS, Galileo und Glonass aufgebaut wird. Für Beidou werden weltweit Bodenstationen benötigt, um die Genauigkeit des Systems zu verbessern. Eine zusätzliche Basis in der Antarktis kommt China da sehr gelegen.

Manche Fachleute gehen noch etwas weiter – sie halten die ganze Aufregung über Qinling generell für etwas aufgebauscht. Die Sorgen um die erweiterte chinesische Präsenz in der Antarktis seien übertrieben, schrieb die langjährige australische Politikanalystin Claire Young neulich in einem Beitrag für das Lowy Institute, eine Denkfabrik in Sydney. Es gebe andere Orte, die besser dafür geeignet seien, Australien und Neuseeland abzuhören. Ausserdem kämen chinesische Satelliten dafür infrage.

Die beste Antwort auf die Errichtung von Qinling seien eine fortgesetzte wissenschaftliche Kooperation mit China und Inspektionen der Forschungsstation, meint Young. Im Rahmen des Antarktis-Vertrags sind Kontrollbesuche sogar vorgeschrieben. Auch Qinling wurde bereits unter die Lupe genommen – und zwar von Australien und den USA.

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