Samstag, Dezember 28

Von der Schweiz aus leitet Matthias Rebellius die grösste Siemens-Division. Er weiss, warum es für Deutschland nicht zu spät ist – und wo auch die Schweiz handeln muss.

Herr Rebellius, wie schauen Sie in diesen Tagen auf Deutschland?

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Ich hätte nie gedacht, dass ich Deutschland einmal in diesem Kontext nenne: Es fehlt die politische Stabilität, und das in einer Welt mit geopolitischen Spannungen, Verwerfungen und Handelshemmnissen. Das ist absolut nicht förderlich, um es vorsichtig auszudrücken. Es braucht eine klare Richtung, wie sich die Wirtschaftspolitik in Deutschland entwickeln soll.

Es gibt eine stabile Alternative. Smart Infrastructure mit Sitz in Zug ist zur grössten der drei Siemens-Divisionen aufgestiegen. Wann kommen die anderen Bereiche aus Deutschland in die Schweiz?

Im Jahr 2019, als wir Smart Infrastructure am Standort Zug gründeten, haben wir die in der Schweiz ansässige Gebäudetechnik mit dem Elektrifizierungsbereich aus Erlangen fusioniert. Wir haben aber nicht das ganze Personal aus Bayern in die Schweiz geholt. Wir sind ein globaler Konzern, unsere Mitarbeiter müssen nicht umziehen, wenn wir etwas organisatorisch verändern.

Was sind die grössten Probleme, die Deutschland beheben muss?

Für die Industrie sind die Energiekosten der wichtigste Hebel. Siemens hat keine sehr energieintensive Produktion, aber viele unserer Kunden schon. Sie leiden unter den Kosten. Schuld ist der Energiemix. Mit dem Abschalten der Kernenergie und dem Fehlen von Ersatzenergie als Grundlast schaffte man eine Preisspirale. Die lässt sich nur umdrehen, indem man klare Signale setzt, wo es mit der Energiepolitik hingeht.

Spricht denn etwas für Deutschland?

Deutschland hat Stärken, aber die werden zu wenig wahrgenommen. Auf sie sollte sich das Land besinnen: eine hohe Innovationskultur, sehr gute Forschungsstandorte, eine starke industrielle Basis. Das ist nicht über Nacht verlorengegangen, nur weil wir jetzt einen hohen Strompreis haben oder in der Automobilindustrie die eine oder andere Trendwende falsch eingeschätzt worden ist. Es ist nicht zu spät. Die neue deutsche Regierung muss wieder eine Aufbruchstimmung schaffen.

Hat Deutschland auch der Schweiz etwas voraus?

Da kann die Schweiz wenig dafür, aber Grösse ist ein Vorteil. Die Schweiz ist im Export von Europa abhängig. Da stellen sich Fragen: Wie können wir sicherstellen, dass die Schweizer Industrie weiterhin nach Deutschland und Europa wettbewerbsfähig liefern kann? Hier spielt der Frankenkurs eine Rolle sowie der gesicherte Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Unternehmen machen sich dazu berechtigte Sorgen.

Die Schweiz muss handeln?

Der Vorteil der Schweiz ist jene politische Stabilität, die gerade andere Länder nicht haben. Es gibt gut ausgebildete Mitarbeiter, eine hohe Produktivität, eine geringe Inflation, die guten Hochschulen und eine gute Lage in Europa. Doch die Risiken sind abhängig von politischen Rahmenbedingungen. Jetzt wird die Hoffnung genährt, dass es mit dem neuen EU-Abkommen vorwärtsgeht. Aber ich glaube erst daran, wenn die Umsetzung gesichert ist.

Müssen Sie den teuren Standort Schweiz im Siemens-Konzern verteidigen?

Schon lange nicht mehr, und zwar, weil unsere Performance stimmt. Ich kam im Januar 2015 von dem Posten als USA-Länderchef zurück in die Schweiz und habe die Leitung der Gebäudetechnik übernommen. Drei Tage später hat die Schweizerische Nationalbank den Euro-Mindestkurs aufgehoben. Wir bekamen die Parität zum Euro, was einen Kostenschub von 20 Prozent bedeutete. Natürlich war damals der Standort in der Diskussion. Heute wären wir froh, hätten wir Parität. Trotzdem haben wir investiert, und dank höherer Produktivität und massvollen Lohnsteigerungen konnten wir den Malus ausgleichen.

Haben Sie heute mehr Mitarbeiter in der Schweiz als 2015?

Nein, wir mussten am Standort Zug nach dem Frankenschock von 1800 auf 1500 Stellen abbauen. Aber wir haben bis heute wieder auf 1700 Mitarbeiter aufgestockt. Insgesamt beschäftigt Siemens in der Schweiz rund 6000 Mitarbeitende. Viele davon haben Funktionen, die eine hohe Qualifikation erfordern, etwa in der Forschung und Entwicklung. Unser hochautomatisiertes Werk hier in Zug stellt unter anderem Brandmelder und Controller für Heizungen und Lüftungen her. Das ist Hochtechnologie pur. Wenn der Brandmelder falsch auslöst, zahlen wir den Feuerwehreinsatz.

Warum lief es in letzter Zeit bei der Smart Infrastructure so gut?

Hinter dem Erfolg steckt ein langfristiger Plan mit kontinuierlichen internen Verbesserungen. Gleichzeitig wächst der für uns relevante Markt von 185 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf vermutlich über 310 Milliarden 2029. Dahinter stecken Megatrends wie Dekarbonisierung, Urbanisierung, Elektrifizierung und Lokalisierung der Produktion. Auch der Boom bei Rechenzentren trägt dazu bei, nicht nur wegen KI, sondern auch wegen weiterhin wachsender Cloud-Anwendungen.

Heisst das, Smart Infrastructure investiert mehr in der Schweiz?

Siemens ist seit 130 Jahren im Land. Die Gebäudetechnik haben wir 1998 durch die Akquisition des Industrieteils der Elektrowatt erworben. Aber wie alle Industrieunternehmen hatten wir vor 25 Jahren mehr Wertschöpfung in der Schweiz als heute. Für die Forschung und Entwicklung hier ist es zwar gut, die erste Produktion nebenan zu haben. In der Schweiz muss sie möglichst vollständig automatisiert sein. Aber wenn man später im grossen Stil in anderen Märkten verkauft, wird die Produktion dort lokalisiert. 85 Prozent unserer Wertschöpfung entsteht lokal, also innerhalb der Wirtschaftsräume Asien, Europa und Amerika.

Also wird in der Schweiz nicht ausgebaut?

Wir investieren da, wo Wachstum ist. Am stärksten wachsen wir in Nord- und Südamerika, wo Smart Infrastructure 42 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet. In den USA hat das unter der ersten Administration von Donald Trump begonnen, und ich bin auch für seine neue Amtszeit optimistisch. Wir haben in den letzten beiden Jahren in den USA über 200 Millionen Dollar in neue Werke für Ausrüstung bei Mittelspannung und Niederspannung gesteckt. Hingegen wächst der Umsatz in der Schweiz im Gleichschritt mit der Produktivität um jährlich 3 bis 5 Prozent. Solange sich das die Waage hält, wird der Standort nicht grösser.

Wachwechsel an der Siemens-Spitze

bet. · Der deutsche Industrieriese Siemens besteht aus drei Bereichen, zwischen denen sich die Gewichte verschoben haben: Die Smart Infrastructure mit Sitz in Zug, die Division für Elektrifizierung und Gebäudetechnik, steht neu an der Spitze. Sie erzielte im Geschäftsjahr bis Ende September 2024 einen Umsatz von 21,4 Milliarden Euro. Damit hat der vom deutsch-schweizerischen Doppelbürger Matthias Rebellius als CEO geleitete Bereich seit 2019 um fast die Hälfte an Gewicht zugelegt.

Deshalb setzt die Sparte ihre mittelfristigen Ziele herauf. Angestrebt wird neu ein organisches Umsatzwachstum zwischen 6 und 9 Prozent pro Jahr. Treiber ist unter anderem die Elektrifizierung immer grösserer Bereiche der Wirtschaft. Ähnliche Muster zeigen sich bei den Konkurrenten ABB und Schneider Electric. Hingegen litt Digital Industries, die Siemens-Division für Industrieautomation, zuletzt unter dem Abschwung der Branche.

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