Mittwoch, August 27

Unter der Herrschaft des faschistischen «Conducators» Ion Antonescu war auch Rumänien stark in den Holocaust verstrickt. Im Zuge der Annäherung an die EU kam es nach 1989 zu einer systematischen Aufarbeitung. Nun hebt der Antisemitismus erneut sein Haupt.

Mit dem Erstarken rechtsextremer Parteien und Gruppierungen in Rumänien scheint die Erinnerung an die Rolle des Karpatenstaates während des Zweiten Weltkriegs herabgespielt zu werden. Dabei lässt sich auf durchaus ernstzunehmenden Ansätzen zur historischen Aufarbeitung und Erforschung aufbauen, die mitunter überraschende Details an den Tag brachten.

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«Feinstein war in dem gleichen Waggon wie wir. Wir waren so eng zusammengequetscht, dass wir uns nicht mehr bewegen konnten und nur schwer atmen. Wir waren so 140 Seelen in einem Güterwaggon für den Transport von Vieh, der im Normalfall 40 Menschen transportieren konnte. Türen und Fenster waren verschlossen, alle Lüftungen und Löcher waren verstopft, wonach Dampf von unten eingeleitet wurde. Es war eine furchtbare Todesreise. Viele verloren auch den Verstand. Die Schreie des Leidens waren schrecklich. Der Zug hielt oft an und stand stundenlang in der brennenden Sonnenhitze.»

Dies ist die Beschreibung der letzten Stunden des zum Christentum konvertierten, als Missionar tätigen Isak Feinstein in Rumänien. Beim Pogrom in Iasi (Jassy) Ende Juni 1941, das über 10 000 Menschenleben kostete, wurde er mit über 2000 jüdischen Bewohnern in Güterzüge gepfercht, die tagelang in der Gluthitze des Sommers hin und her fuhren, bis die meisten der Deportierten an Durst, Hunger und der Enge gestorben waren. Den grausamen Tod Feinsteins und seine Auswirkungen auf das Leben seiner Frau und seiner Kinder haben seine Söhne, der Schweizer Künstler Daniel und der Theologe Theophil Spoerri, in Büchern und Interviews wiederholt geschildert.

Verdrängt und verleugnet

Es sind Details eines oft verdrängten Pogroms, das in Rumänien während der Diktatur der Kommunisten, aber auch noch lange Zeit danach kaum im Bewusstsein der Öffentlichkeit präsent war. Vielmehr prägten Unwissen, Bagatellisierungen, gar bewusste Täuschungen vielfach das Bild von der Beteiligung Rumäniens am Holocaust.

Es gehört daher zu den markanten Hinterlassenschaften des jüngst verstorbenen postkommunistischen Präsidenten Ion Iliescu, dass er 2003 eine internationale Historikerkommission einberief, die einen Bericht erstellen sollte über die Tatsachen des Holocaust in Rumänien. 31 international renommierte Wissenschafter recherchierten unter dem Vorsitz des Auschwitz-Überlebenden und Nobelpreisträgers Elie Wiesel in ihren Spezialgebieten für einen am Ende über 400 Seiten umfassenden Report, den Iliescu schon 2004 öffentlich im Parlament vorstellen konnte.

Der nach der Wende von 1989 grassierenden Welle der Verherrlichung Ion Antonescus – des 1946 als Kriegsverbrecher hingerichteten «Conducators» (Führers) – stellte der «Raport» dessen Befehle zu den Deportationen rumänischer Juden und Roma entgegen, die in Lagern und Ghettos zu Hunderttausenden zu Tode kamen. Historische Sündenbock-Mythen wie die von den «Judäo-Bolschewisten» wurden aufgrund von Quellenmaterial als Bemäntelung pogromartiger Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung aufgedeckt. Auch das Geschehen in Iasi fand eine faktenbasierte, objektive Darstellung.

Mit dem die Umrisse des rumänischen Anteils am Holocaust präzise vermessenden «Raport» wurde nicht ganz zufällig auch eine Bedingung für die Aufnahme des Landes in die Nato und die EU erfüllt. Zudem initiierte der «Raport» neue Forschungen, insbesondere in den jüdischen Studien und zum rumänischen Holocaust.

Der Autor des Iasi-Kapitels im «Raport», Adrian Cioflanca, wurde zum Experten für die Geschichte des Holocaust und amtiert mittlerweile als Direktor eines entsprechenden historischen Instituts in Bukarest. Rumänien begeht jährlich den Holocaust-Tag und ist frühes Vollmitglied der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Ob diese Publizität der Kommission und die Implementierung ihrer Ergebnisse in Schulcurricula dazu führte, dass die Leugnung der Teilnahme am Holocaust abgenommen hat und das Wissen um das Geschehen breiter gestreut ist?

Bedenkliche Zunahme

Anfang Juli stellte das Institutul National pentru Studierea Holocaustului din Romania Elie Wiesel (Nationales Institut zur Erforschung des Holocaust) allerdings in seinem jüngsten Monitorbericht eine deutliche Zunahme der rechtsextremen, antisemitischen Äusserungen und Übergriffe im Lande fest.

Mit dem vor allem durch ihre Internetaktivitäten geförderten Aufkommen der rechtsextremen Partei AUR unter George Simion ist offensichtlich auch die Schwelle gesunken, verbotene oder verpönte Wortmeldungen und Symbole offen zu gebrauchen. Sowohl in Reden als auch in der offenen Komplizenschaft mit neolegionären Aktivisten legen sich Politiker der unterschiedlichen Lager der extremen Rechten kaum noch Zügel an.

Simions ideologisches Konglomerat aus die Wählerschaft emotional ansprechenden Versatzstücken des extremen Nationalismus und Anti-EU-Ressentiments (kaum ein Land hat so von der EU profitiert wie Rumänien) hat vor allem über die sozialen Netzwerke dem früheren Fussball-Hooligan Wahlvolkstimmen und damit politischen Einfluss gebracht.

Schien mit der Niederlage Simions bei der Präsidentenwahl und dem Sieg des früheren Gründers der liberal-konservativ-bürgerrechtlichen Partei USR und Bürgermeisters der Hauptstadt Bukarest, Nicusor Dan, politisch die Gefahr der offenen Verharmlosung der rumänischen Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg gebannt, so fällt zu Beginn seiner Präsidentschaft der oft linkisch auftretende Mathematiker Dan durch unerwartete Entscheidungen auf dem Feld der Auseinandersetzung mit den Dämonen der Vergangenheit auf.

Ein im Parlament bereits angenommenes Gesetz zum Verbot von Organisationen, Symbolen und Taten faschistischen, legionären, xenophoben Charakters sowie des Kults um Persönlichkeiten, die an Kriegsverbrechen schuldig sind, ratifizierte der neue Präsident nicht, sondern verwies es zeitraubend an das Verfassungsgericht CCR, was vielfach Konsternation und Rätselraten über seine Motive hervorrief.

Zeichen des Protests

Das Gericht bestätigte jüngst das Gesetz, womit Dans Hinweise auf fehlende Präzisierungen und dass mit solch einem Gesetz auch der Nationaldichter Eminescu sich strafbar gemacht hätte, nun leer und wenig überzeugend klangen. Jetzt muss die Vorlage zurück in die beiden Parlamentskammern.

Der Abgeordnete der jüdischen Minderheit, Silviu Vexler, nach dem die Gesetzesinitiative benannt ist, kündigte an, als Zeichen des Protests seinen Verdienstorden an den rumänischen Staat zurückzugeben, und warf dem Präsidenten vor, «die Gefahren des Extremismus zu relativieren». Dreissig Jahre der Bemühungen gegen den Rechtsextremismus seien nun gefährdet. Was die gegenwärtige Situation aus jüdischer Sicht so brisant macht, ist die offene Frage, wie sehr angesichts des Erstarkens rechtsradikaler Parteien der bisher nur von Einzelnen durchbrochene gesellschaftliche Konsens ins Bröckeln geraten könnte.

Erklärungen für Nicusor Dans Handlungsweise sind rar. Der aus Rumänien stammende Berliner Publizist und Experte für die rechten Bewegungen in Rumänien, William Totok, der auch am «Raport» mitarbeitete, erinnert daran, dass Dan bereits als Bürgermeister von Bukarest 2022 sich weigerte, Terrain für den Bau eines Holocaust-Museums zur Verfügung zu stellen. Jetzt sah der neu gewählte Präsident sich genötigt, auch hierzu eine Erklärung abzugeben, wobei er auf seine Zeit als Denkmalschutzaktivist rekurriert: Das Vorhaben hätte, gegen die Abmachungen, den Abriss wertvoller architektonischer Substanz bedeutet.

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