Montag, November 25

Die Strecke der Elfstedentocht führt über 200 Kilometer durch elf friesische Städte. Das Rennen ist in den Niederlanden ein Nationalheiligtum – doch die Chancen auf eine Austragung schwinden mit dem Klimawandel. Die Veranstalter geben trotzdem nicht auf.

Ein Account auf X (vormals Twitter) verbreitet seit elf Jahren einmal am Tag die gleichen drei Buchstaben: «Nee.» Das wirkt wenig spannend. Doch es ist die Antwort auf eine wichtige Frage, die viele Niederländerinnen und Niederländer im Winter umtreibt: Ist es genug kalt, damit die Elfstedentocht stattfinden kann?

Die Elfstedentocht ist ein 200 Kilometer langes Eislaufrennen im Norden der Niederlande. Es führt über Kanäle und kleine Seen durch elf friesische Ortschaften mit historischem Stadtrecht. Der Parcours geht vorbei an Windmühlen und Bauernhäusern mit Reetdächern, durch schmucke Altstädte und unter Brücken hindurch – mehr niederländische Klischees gäbe es nur, würden Tulpen im Winter blühen.

Die Elfstedentocht ist niederländisches Kulturgut. Bei der letzten Austragung am 4. Januar 1997 nahmen 17 000 Eisläufer am Wettkampf teil, die Schnellsten bewältigten die 200 Kilometer in weniger als sieben Stunden. An der Strecke feuerten 1,5 Millionen Menschen die Athletinnen und Athleten an – ein Volksfest. Die Niederländer nennen das Rennen deshalb «Tocht der Tochten», die «Tour aller Touren». Wer die Elfstedentocht gewinnt, ist ein Volksheld, der sein Leben lang auf den Triumph angesprochen wird.

De Elfstedentocht van 1997

Es braucht 15 Zentimeter dickes Eis

Doch die Organisatoren haben ein Problem. Seit 27 Jahren lautet die Antwort auf die Frage aller Fragen stets «Nee». «Nee»: zu warmes Wetter, «Nee»: zu wenig dickes Eis. Letzteres muss mindestens 15 Zentimeter dick sein, damit die Sicherheit gewährleistet ist. Im Januar 2021 waren die Bedingungen endlich perfekt. Doch damals war für einmal nicht das Wetter für das «Nee» verantwortlich, sondern die Pandemie.

Nicht erst seit der wegen Corona geplatzten Ausgabe fragen sich immer mehr Niederländer, ob aus dem «Nee» bald einmal ein «Nie wieder» wird. Wegen des Klimawandels. Damit das Eis auf den Kanälen dick genug wird, braucht es laut Berechnungen von Forschern zwei Wochen lang Temperaturen von maximal minus 10 Grad; idealerweise ohne Schneefall. Es muss also viel zusammenpassen, damit die Elfstedentocht steigen kann. In 125 Jahren gab es deshalb nur 15 Rennen.

Meteorologen des niederländischen Wetterdienstes haben 2019 untersucht, wie sich die Wahrscheinlichkeit für eine Elfstedentocht verändert hat. Gemäss der Studie betrug diese vor hundert Jahren noch zwanzig Prozent, heute sind es acht Prozent. Beschränke die Menschheit die Erderwärmung auf zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau, pendle sich die Wahrscheinlichkeit in den kommenden Jahren bei fünf Prozent ein, schreiben die Wissenschafter. Gelinge das nicht, sinke die Chance auf ein Rennen bis 2050 auf ein Prozent.

Durch 11 friesische Städte in den Niederlanden

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Leeuwarden (Start / Ziel)

Wird es kalt, bricht in den Niederlanden Euphorie aus

Wahrscheinlichkeiten blendet Wiebe Wieling aus. Sonst könnte er seine Aufgabe nicht erledigen. Wieling ist der Präsident der «Koninklijke Vereniging de Friesche Elf Steden», der königlichen Vereinigung der elf friesischen Städte. Diese ist für die Organisation der Elfstedentocht verantwortlich.

Wieling und seine Helfer organisieren jeden Winter eine Massenveranstaltung mit allem, was dazugehört: Transport, Unterkünfte, Sanität, Verpflegung und Streckenführung. Regelmässig messen sie an verschiedenen Stellen die Eisdicke. Es gibt einen 500 Seiten dicken Leitfaden mit allen Punkten, die die Organisatoren beachten müssen. Spätestens an Weihnachten soll alles bereit sein, geplant bis ins letzte Detail. «Wir wollen die Chance für eine Elfstedentocht nutzen, sollten die Bedingungen endlich einmal passen», sagte Wieling der BBC.

Er und seine Mitstreiter hoffen auf ein zwei Wochen andauerndes Hochdruckgebiet über Skandinavien. Bei dieser Wetterlage wird es in Nordfriesland klirrend kalt. Sinken die Temperaturen einmal auf das erforderliche Niveau, bricht in den Niederlanden Euphorie aus. Der nationale Wetterdienst publiziert täglich Bulletins, die Medien schicken an die Kanäle Reporter, welche Bilder vom Zustand des Eises in die Stuben transportieren.

Wieling und die anderen Organisatoren bleiben in solchen Zeiten ruhig, das hat sie die jüngere Vergangenheit gelehrt. «Wir werden nicht euphorisch, wenn es einmal eine Woche lang kalt ist. Wir wissen, was alles passieren kann», sagt er. Denn Wieling ist klar, dass all die Planungen spätestens beim ersten Wärmeeinbruch im Papierkorb landen werden. «Natürlich ist das frustrierend», sagt er. Er habe aber akzeptiert, dass die Chancen auf ein Rennen gering seien.

Ein Olympiasieger schwimmt die Elfstedentocht

Aus der Not heraus sind in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene alternative Veranstaltungen entstanden. Seit 1989 gibt es auf dem Weissensee in Kärnten ein Eislaufrennen. Für dieses reisen jeweils Tausende Niederländerinnen und Niederländer nach Österreich.

Schon seit über hundert Jahren gibt es eine Velotour, welche jeweils am Pfingstmontag entlang der Elfstedentocht-Strecke ausgetragen wird, mit 15 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Auch Ruderer sind auf den Geschmack gekommen und absolvieren den Parcours seit 1985 in der Auffahrtswoche.

Vor fünf Jahren sorgte der Schwimmer Maarten van der Weijden für Aufsehen. Er gewann 2008 in Peking olympisches Gold im Freiwasserschwimmen über 10 Kilometer. Er absolvierte 2019 die Elfstedentocht schwimmend. Van der Weijden, der in seiner Jugend unter Leukämie gelitten hatte, brauchte dafür vier Tage und sammelte Geld für die Krebsforschung.

Bei diesen alternativen Veranstaltungen wird es vorerst bleiben. Dass die Elfstedentocht in diesem Winter ausgetragen wird, ist unwahrscheinlich. Am Startort Leeuwarden wird es in den kommenden Tagen gegen 10 Grad warm. Und es soll regnen.

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