Freitag, November 29

Die Geldpolitik wird das Börsenjahr 2024 prägen. Doch seit der Covid-Pandemie stochern die Zentralbanken im Nebel. Wird es ein Happy-end geben?

Wie das Wetter an der Börse wird, bestimmt dieses Jahr die amerikanische Notenbank Fed. Das zumindest ist die Erwartung der Profiinvestoren. 52 Prozent der Anlagefondsmanager, die jüngst an der viel beachteten Umfrage von Bank of America partizipiert haben, geben zu Protokoll, dass 2024 das Fed den grössten Einfluss auf die Aktienpreise haben werde. Im Gegensatz dazu erwarten nur 33 Prozent, dass die Entwicklung der Firmengewinne der Haupttreiber der Kurse sei.

Auch John Plassard, ein hochrangiger Anlagespezialist der Bank Mirabaud, sieht geldpolitische Fehlentscheide als das derzeit grösste Risiko für die Finanzmärkte an.

Das Fed bekleckerte sich bekanntlich nicht mit Ruhm, als es die starke Teuerung zunächst als «vorübergehend» einstufte – und danach umso schneller und kräftiger an der Zinsschraube drehen musste. Bis die Leitzinsen 5,5 Prozent erreichten, ein Niveau, das nun seit letztem Sommer unverändert ist.

Keine verlässlichen Daten mehr

Doch die Notenbanker stocherten auch heute noch im Nebel. «Seit Covid haben sie keine verlässlichen Daten mehr, die ihnen eine Sicht der kommenden Monate erlauben würde. Ein einziger neuer Datenpunkt kann sie zu einem überraschenden Zinsentscheid veranlassen», sagt Plassard.

Das Fed hat diese Woche entschieden, die Zinsen vorerst unverändert zu lassen, da die Teuerung jüngst wieder etwas aufgeflammt ist. Die Konsumentenpreise stiegen im März leicht auf 2,7 Prozent.

Auch die Akteure an der Börse wissen nicht recht, wie ihnen geschieht. «Das Tempo, mit dem die Investoren ihre Erwartungen revidieren, ist verrückt», sagt Plassard. Noch im Januar rechnete man mit einem Hardlanding in den USA, also einer Rezession. Eine Schweizer Bank sagte für das laufende Jahr sage und schreibe 11 Zinssenkungen voraus.

Schon einige Wochen danach setzte sich die Mehrheitsmeinung durch, dass ein Softlanding gelingen werde. Dann kam der Begriff No-Landing auf, also ein Szenario, bei dem Wirtschaftswachstum und Inflation trotz hohen Zinsen unverändert hoch bleiben. Nun nennen einige Anlageexperten sogar die Möglichkeit eines Take-offs. Das würde bedeuten, dass das Wachstum trotz den geldpolitischen Bremsmanövern wieder anzieht.

Jerome Powell versucht zu beruhigen

Das mag gut tönen, wäre aber für die Börsen ziemlich sicher Gift. Denn bei einem Take-off-Szenario sind wohl weitere Zinsschritte nötig – nach oben.

Fed-Chef Jerome Powell betonte am Mittwoch, dass Zinssenkungen viel wahrscheinlicher seien als weitere Zinserhöhungen. Das Fed müsse schon «überzeugende Beweise» dafür sehen, dass die Geldpolitik nicht restriktiv genug sei, um weitere Zinserhöhungen in Betracht zu ziehen. Abgesehen davon scheint das Bild aber auch für Powell unklar zu sein. Er wollte sich zumindest nicht auf einen Fahrplan festlegen.

«Das Fed wird unbedingt die Fehler der 1970er Jahre vermeiden wollen», sagt Plassard. Damals glaubte man, die Inflation sei unter Kontrolle, nur um dann einen gefährlichen Wiederanstieg zu erleben. Der Fed-Chef Paul Volcker besiegte die Inflation in der Folge zwar. Allerdings mit beispiellosen Zinserhöhungen, welche die Wirtschaft in eine tiefe Rezession stürzten. Millionen von Amerikanern verloren ihren Job.

«Paul Volcker ist ein Vorbild von Jerome Powell, dieser hat sich à fonds mit dieser Episode der Wirtschaftsgeschichte auseinandergesetzt», sagt Plassard. Auch das spreche dafür, dass die Zinsen noch während längerer Zeit auf einem hohen Niveau blieben.

Tiefe Arbeitslosigkeit erschwert Geldpolitik

Wirtschaft und Inflation über die Zinssätze zu steuern, sei angesichts der tiefen Arbeitslosigkeit so schwer wie noch nie, sagt Plassard. Die Konsumenten haben keine Angst vor einem Stellenverlust und geben unverdrossen Geld aus, obwohl die Preise für Waren, Dienstleistungen und Wohnen gestiegen sind.

«Dieses You-only-live-once-Konsumverhalten, das auf die Erfahrung der Pandemie folgte, hat in dieser Form niemand vorausgesehen», sagt Plassard. Eine Studie des Fed von Minneapolis sei zum Beispiel davon ausgegangen, dass die angestaute Konsumlust Ende 2023 abebbe.

2024 wird ohnehin ein bewegtes Jahr. 40 Länder mit einer Bevölkerung von über 3 Milliarden Menschen werden nationale Wahlen abhalten. In den USA könnte Donald Trump ins Amt zurückkehren.

Risiken einzugehen, zahlt sich weiterhin aus

Mirabaud weist schon seit Monaten darauf hin, dass die Zinsen weniger schnell sinken dürften, als viele erwarten. Nun ist diese Annahme zur Mainstream-Meinung geworden und einzelne Auguren haben das Thema Zinssenkungen für 2024 bereits ganz abgehakt.

Plassard und seine Kollegen bei Mirabaud dagegen gehen unverändert von zwei Zinssenkungsschritten aus, ohne den eigenen Prognosen grosse Bedeutung beizumessen. «Wenn Notenbanken und Spitzen-Ökonomen schon kaum den Durchblick haben, wer sind wir, dass wir denken, es besser zu wissen?», so Plassard.

Trotz den Unsicherheiten rät er Anlegern, nicht zu risikoscheu zu sein. Gerade amerikanische Aktien könnten gut laufen. Plassard erwartet sogar, dass das besonders risikobehaftete Segment mit kleinen und mittelgrossen Titeln, wie sie im amerikanischen Aktienindex Russell 2000 vertreten sind, eine besonders gute Performance zeigen könnte.

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