Team Austria befindet sich an der WM auf Viertelfinal-Kurs – mit Schweizer Support. Das Trainerduo Roger Bader / Arno Del Curto könnte Historisches erreichen, wenn die Schweizer Nationalmannschaft am Dienstagabend Schützenhilfe leistet.
An der Eishockey-WM in Prag spielen in der Gruppe A gewissermassen zwei Schweizer Auswahlen. Zum einen das mit NHL-Spielern gespickte Allstar-Team von Patrick Fischer, das sich trotz der ersten Turnierniederlage beim 2:3 vom Sonntag gegen Kanada vorzeitig für die Viertelfinals qualifiziert hat. Zum anderen das Team Austria, das mit dem Bundesadler auf der Brust Zuschauer und Gegner verblüfft.
Die Österreicher sind gespickt mit Spielern aus der Schweizer National League: Im Kader stehen Kilian Zündel und Dominic Zwerger vom HC Ambri-Piotta, Vinzenz Rohrer von den ZSC Lions, Bernd Wolf vom EHC Kloten und Benjamin Baumgartner vom SC Bern.
Auch Marco Rossi war mehrere Jahre für die ZSC-Organisation tätig, ehe er den Sprung nach Nordamerika wagte und gerade bei Minnesota Wild eine erste volle NHL-Saison bestritten hat. Peter Schneider spielte einst eine halbe Saison für den EHC Biel. Und eigentlich würden auch der ehemalige Klotener David Reinbacher und der Lausanner Michael Raffl zur Mannschaft gehören. Aber sie sind angeschlagen und sagten für die WM ab.
Am stärksten ausgeprägt ist das Schweizer Element an der Bande: Dort steht seit 2018 der Ostschweizer Roger Bader als Headcoach, und bereits zum dritten Mal an einer WM assistiert ihm die Bündner Legende Arno Del Curto. Der sechsfache HCD-Meistertrainer ist unterdessen 67 Jahre alt und geniesst die Vorzüge des Ruhestands. Seit er sich 2019 aus der National League zurückgezogen hat, tut er nur noch das, was ihm gefällt. Sein Leben hat er in einer bewegenden Biografie verarbeitet.
🎉🎉𝗝𝗔𝗪𝗢𝗢𝗢𝗛𝗟 𝗱𝗲𝗿 𝗞𝗹𝗮𝘀𝘀𝗲𝗻𝗲𝗿𝗵𝗮𝗹𝘁 𝗶𝘀𝘁 𝗳𝗶𝘅𝗶𝗲𝗿𝘁, 𝗱𝗶𝗲 𝗖𝗵𝗮𝗻𝗰𝗲 𝗮𝘂𝗳 𝗱𝗮𝘀 𝗩𝗶𝗲𝗿𝘁𝗲𝗹𝗳𝗶𝗻𝗮𝗹𝗲 𝗹𝗲𝗯𝘁 🙌🏻🇦🇹🎉 pic.twitter.com/k5PKX7M67c
— Österreichischer Eishockeyverband (@eishockey_aut) May 19, 2024
Trainer aus Gefälligkeit – Del Curto war sogar schon in La Chaux-de-Fonds
Wenige Monate nachdem sein Rücktritt in Davos die Schweizer Eishockey-Szene erschüttert hatte wie ein Knallkörper eine Kathedrale, liess sich Del Curto zu einem kurzzeitigen Comeback bei seinem Herzensklub, dem ZSC, überreden. Seine Rückkehr löste in Zürich einen gewaltigen Hype aus, doch es lief einiges grässlich schief. Die Lions verpassten mit Del Curto die Play-offs.
Seither springt er nur noch aus Gefälligkeit bei alten Weggefährten ein. Er tat das beim HC La Chaux-de-Fonds, wo sein ehemaliger Spieler Loïc Burkhalter in der Verantwortung stand. Nun hilft er Österreich, wo sein Freund Roger Bader die Geschicke leitet.
In Prag ist Del Curto zumindest medial eine Art Phantom. Er tigert während der Matches der Bande entlang und motiviert die Spieler, als wäre er nie weg gewesen. In der sogenannten Mixed-Zone, wo sich Coachs und Spieler nach den Partien den mehr oder weniger intelligenten Fragen der Reporter stellen, wartet die Schweizer Presse allerdings bis jetzt vergeblich auf den Engadiner. Am Sonntag nach dem 4:1-Sieg der Österreicher gegen Norwegen meldete sich Del Curto kurz telefonisch und bat um Verständnis, dass er keine Interviews gebe.
Wer würde das nicht verstehen, Arno Del Curto ist niemandem mehr Rechenschaft schuldig. Er geniesst die Privilegien seiner Legende. Man mag sich vielleicht fragen, weshalb er nie der Schweizer Nationalmannschaft zur Verfügung stand. Immerhin sind dort mit dem Coach Patrick Fischer und dem Sportdirektor Lars Weibel ebenfalls ehemalige Spieler von ihm in der Verantwortung. Wahrscheinlich aber wäre die Aufmerksamkeit, die ein Engagement bei Swiss Ice Hockey mit sich bringen würde, zu viel für ihn. Del Curto fühlt sich im beschaulichen Umfeld des österreichischen Teams offenbar sehr wohl.
Jedenfalls scheint Del Curto nichts von jener Leidenschaft eingebüsst zu haben, die ihn so einzigartig macht. Ambris Dominic Zwerger erzählte, Del Curto führe in der Kabine und auf der Bank eine Menge persönlicher Gespräche: «Er motiviert und treibt uns an.» Nach dem Match gegen Norwegen, in dem Zwerger einen Treffer geschossen und zwei weitere vorbereitet hatte, soll Del Curto zum Flügel gesagt haben: «Das ist der Dominic, den ich liebe und der mich als Ambri-Spieler in Spielen gegen uns jeweils geärgert hat.»
Del Curto hält sich gegenüber der Presse wohl nicht zuletzt aus Respekt vor Roger Bader zurück. Der 59-jährige Uzwiler war in der Schweiz lange das, was man als einen ewigen Assistenten bezeichnet. Der ausgewiesene Eishockeyfachmann war der loyale Gehilfe von Wladimir Jursinow in Kloten, von Mike McParland in Freiburg oder von Christian Weber in Rapperswil-Jona, ehe er Aufgaben im Nachwuchs übernahm und bald nach Österreich weiterzog. Seit mittlerweile zehn Jahren bekleidet Bader dort verschiedene Funktionen. Am Anfang seiner Trainerkarriere hatte er Del Curto im alten Zürcher SC assistiert.
Als Bader in Österreich zum Headcoach aufstieg, begleiteten die einheimischen Medien seine Nominierung mit Skepsis. Die österreichischen Journalisten mochten sich an die chaotische Zeit des 2010 verstorbenen Bündners Ruedi Killias erinnert haben, der ihrer Nationalmannschaft einst an der Bande keine echte Stütze war.
Doch diese Zweifel hat Bader zerstreut. Seit drei Jahren halten sich die Österreicher in der A-Gruppe. Auch in Prag ist der Abstieg kein Thema. Die Reporter aus seiner Wahlheimat horchen Bader entsprechend andächtig und geduldig, wie einst Schweizer Journalisten Ralph Krueger an den Lippen gehangen hatten. Am Sonntag dauerte es eine geschlagene halbe Stunde, bis Bader doch noch einen Moment Zeit hatte für seine ehemaligen Wegbegleiter aus der Schweiz. Sein Medienchef trieb ihn zur Eile an, die Mannschaft warte in der Kabine.
Wenn Schweizer Medien über Österreichs Eishockey berichten, dann muss etwas besonderes passiert sein. Jetzt gibt es einen dieser seltenen Fälle. Weil die Trainerlegende der Schweiz, der 65 jährige Arno Del Curto, nach zweieinhalb Jahren ein Comebackhttps://t.co/M7sCH7Qkn5 pic.twitter.com/siWGJR02Sv
— Peter Linden (@peterlindenlive) October 26, 2021
Der Headcoach Roger Bader ärgerte sich vor einem Jahr über eine Schlagzeile
Es sind ungewohnte Momente für Bader. Vor einem Jahr verletzte ihn die Schlagzeile einer Schweizer Zeitung, die nach dem Klassenerhalt geschrieben hatte: «Arno Del Curto rettet Österreich». Am Sonntag nun sagte Bader: «Es gab da noch einen anderen Schweizer an der Bande, der nicht unerheblichen Anteil daran hatte. Es wäre eine Frage des Respekts gewesen, auch das zu erwähnen.» Das dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass sich Del Curto medial rar macht.
Gemeinsam sind die beiden auf bestem Weg, sogar Geschichte zu schreiben. Erst einmal im neuen Modus hat die österreichische Nationalmannschaft bis dato an der A-WM die Viertelfinals erreicht (1994 in Mailand, wo es am Schluss ein 0:10-Debakel gegen Finnland absetzte). Die besten Resultate datieren aus der Eishockey-Steinzeit; 1931 und 1947 errangen die Österreicher WM-Bronze, zweimal wurden sie in jener Epoche sogar Europameister.
Nun, in Prag, streiten sie sich vor den letzten Gruppenspielen im Fernduell mit Finnland um den letzten Platz in den Viertelfinals. Die Österreicher treffen auf das bereits als Absteiger feststehende Grossbritannien und hoffen auf den Support der Schweizer, die ihr Vorrundenprogramm am Dienstagabend gegen die Finnen abschliessen (Spielbeginn: 20.20 Uhr). Ehe Bader am Sonntag zu seiner Mannschaft eilte, sagte er: «Vielleicht helfen uns die Schweizer diesmal ja ein wenig.»