Freitag, Januar 10

Wenn es hart auf hart geht, gelten in Wien Überzeugungen nicht viel, schreibt der österreichische Autor Franz Schuh. Sie können über Nacht ausgetauscht werden.

Der Bundespräsident hatte sich wieder einmal zu seinem Glauben an Österreich bekannt. In der Neujahrsansprache sagte er, Österreich sei ein Land, «das es seit frühen Tagen versteht, Konflikte nicht in Unversöhnlichkeit enden zu lassen, sondern Gegensätze zu verheiraten. In so einem Österreich möchte ich leben.» Kaum war von höchster Stelle aus der Wunsch nach so einem Leben ausgesprochen, zerbrachen die Verhandlungen zur Dreierkoalition.

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Der schroffe Abbruch der Hochzeitsvorbereitungen, der Verheiratung der Gegensätze hat wenigstens philosophisch eine Neuigkeit hervorgebracht: Es gibt nicht nur den faulen Kompromiss, sondern auch die faule Kompromisslosigkeit. Kaum einer, der es nicht gewusst hatte. Es war klar, dass die Neos – ganz nach der Logik Christian Lindners – als Erste die Flucht nach hinten ergreifen würden. Die Parteichefin der Neos hatte zuerst nach der Regierungsbeteiligung und nach dem Ministeramt gehechelt, und dann hat sie keinen «Leuchtturm» mehr gesehen.

«Leuchtturm» – das war im eingebürgerten Tonfall nicht die hellste Phrase. Man hätte vielleicht auch «Pakete schnüren können» oder sonst etwas. Und nun erlebt man im Land das Auftrumpfen der Infantilgesellschaft: Der war schuld, nein, der war es – und so geht das hin und her.

Am Debakel sind alle schuld

Andreas Babler, der SPÖ-Chef, eignet sich besonders gut für den Watschenmann, er hat so etwas Ehrliches an sich, das man im echten Leben bestrafen muss. Sie hängen ihm «Klassenkampf» an und unverrückbare «linke Ideen», ja sogar «Marxismus», bloss aufgrund von vornherein zum Scheitern verurteilter sozialreformerischer Harmlosigkeiten.

Von vornherein verurteilt haben das die Vertreter der ÖVP. Sie wachen darüber, dass konservative Vorstellungen «aus der Mottenkiste», also «Ideologien», den Wohlstand der Massen nicht zuungunsten der Wohlhabenden etablieren. Je reicher die Reichen sind, desto besser für den Rest der Welt, da fällt für alle immer etwas ab, ganz ohne Vermögenssteuer.

Der «Standard», jene Wiener Zeitung, die das letzte Aufgebot der Liberalen in Österreich bildet, zitierte den deutschen Wirtschaftswissenschafter Oliver Nachtwey, laut dem die Konservativen lieber eine Koalition mit den Rechts-Rechten haben als eine Steuererhöhung. Seitdem der Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer seine neue Brille hat, ist er aber auch in meinem Ansehen gestiegen. Er hat den besten Optiker der Welt und kann jetzt auf alles ganz genau hinschauen. Es wird ihm nichts entgehen.

Den österreichischen Lifestyle hat man gerne durch die Ermunterung «Mir wer’n kan Richter brauchen» charakterisiert. Auch in der gegenwärtigen Schuldfrage braucht man keinen Richter. Am Debakel sind nämlich alle Dreierkoalitionäre schuld. Jeder hat das ihm Kostbarste dafür eingesetzt, dass es ihm keiner wegnimmt. Die zutreffende Phrase lautet: Sie waren sich «ihrer Verantwortung nicht bewusst».

Kann sein, dass es sich bei den österreichischen Politikern der letzten Jahre um Amateure handelt. Österreich hat eine sogenannte Parteiendemokratie, und das Mindeste, das Parteiführer als Profis leisten müssen, ist nicht nur, der eigenen Partei nicht zu schaden, sondern auch dem politischen Gegner nicht zu nützen.

Die Selbstzerstörung der SPÖ, die demonstrative Uneinigkeit und seinerzeit die Fahnenflucht des Vorsitzenden Christian Kern von der Parteispitze lassen auf vorbildliche Amateurpolitik schliessen. Auch in ihrem Zusammenwirken haben die sogenannten eingebürgerten Parteien in die Stimmenmehrheiten der FPÖ investiert. Dass Herbert Kickl bei so viel Zuarbeit jetzt (oder nach Neuwahlen) Bundeskanzler wird, ist nicht zuletzt das Verdienst der von Kickl gehassten «Systemparteien».

Interessante Beziehungsfalle

Zum Schluss hat sich die ÖVP ihrem auch selbst verschuldeten Schicksal ergeben und wird Juniorpartner, um Kickl, wie man sagt, «in den Sattel» zu heben, hat der doch «die Hand ausgestreckt», um Österreich endlich die verdiente glänzende Zukunft zu verschaffen.

Kickls erste Rede nach der Ergebenheitsadresse der ÖVP kann man auch anders verstehen als jene Journalisten, die Kickl das Verlangen nach Unterwerfung der ÖVP unterstellten. Es habe, sagte Kickl, beim Partner das Bewusstsein dafür zu herrschen, «wer die Wahl gewonnen hat», wer also «der Sieger» ist. It’s a man’s world. Es habe beim Partner, sagte Kickl, die Einsicht zu herrschen, wer die Fehler der letzten Jahre begangen habe. Nicht Kickl. Und dann: «Keine Tricks, keine Spielchen, keine Sabotage, keine Quertreiberei.»

Eine gewisse Komik hatte die Rede: Von seinen Eltern habe er, Kickl, gelernt, «ehrlich» zu sein, und dafür sei er ihnen dankbar. Er zieht die Eltern mit hinein ins böse Spiel. Kickls erste Rede danach strotzt vor Ehrlichkeitsbeteuerungen und Ehrlichkeitsanforderungen. Es schien, der gute Mann fürchte sich, er fürchte sich vor der ÖVP, und das ist eine interessante Beziehungsfalle –die beiden Psychiater Paul Watzlawick und Ronald D. Laing blicken auf die Szene herab: Der totale Gesinnungswandel der ÖVP hat Kickl am Ende den Sieg eingebracht. Aber will man denn mit Menschen koalieren, die zu so einem Gesinnungswandel imstande sind?

Es gibt derzeit keinen Grund, über die ÖVP eine Satire zu schreiben. Das wäre der reinste Zynismus, denn: Wer fällt, den tritt man nicht. Diese Verdrehung nach dem Wind ist dermassen erbärmlich. Die Differenz von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik ist prekär. Aber eben aus Gründen der Verantwortung darf man seine Gesinnung nicht bloss zur Propaganda ausstellen, um dann gleich die Gesinnung zu wechseln, wenn’s für einen günstiger wird und man «Verantwortung übernehmen» muss.

Franz Schuh ist ein österreichischer Schriftsteller und Publizist.

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