Mittwoch, Januar 15

Die französische Hauptstadt feiert Olympia, und die Pariser tun das, was sie am besten können: Sie beschweren sich. Viele haben die Stadt verlassen – und machen so Platz für die Fans.

Beachvolleyball vor dem Eiffelturm, Fechten im Grand Palais, Reiter in Versailles und schliesslich sogar Triathleten in der Seine: Während der Olympischen Spiele zeigt Paris sich wahrhaftig von seiner besten Seite. Präsident Emmanuel Macron kommt aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Die Eröffnungszeremonie auf der Seine war ein Erfolg, der Triathlon im Fluss ebenso, und die französischen Athleten holen eine Medaille nach der anderen.

Über der Stadt schwebt ein olympisches Feuer – wortwörtlich. Nach der Eröffnung der Spiele am vergangenen Freitag haben die Veranstalter einen riesigen goldenen Ballon aufsteigen lassen, der die olympische Flamme in Form von beleuchteten Wasserpartikeln in 60 Meter Höhe trägt. Seitdem scheint sie jede Nacht von dort auf die Pariser herab.

Auf diese scheint das Feuer aber nicht überzuspringen. Stattdessen glänzen auch die Pariser passend zu den Spielen in ihrer Paradedisziplin: Sie beschweren sich. Überall ist zurzeit zu lesen, wie unzufrieden die Bewohner der französischen Hauptstadt damit sind, dass wieder einmal die Welt bei ihnen zu Gast ist.

Selbst das Disneyland klagt

Die Gastronomen beschweren sich, dass ihnen wegen der Sicherheitsvorkehrungen um die Seine herum die Kundschaft wegbleibt. Die Hoteliers sind unzufrieden, weil ihre sündhaft teuren Zimmer weniger gut gebucht sind, als sie gehofft haben. Die Ladenbetreiber beklagen, dass die lokale Kundschaft während der Spiele wegbleibt. Sogar das Disneyland beschwert sich: Weil alle Paris-Touristen mit Olympia beschäftigt sind, ist der Freizeitpark so leer wie sonst nie im Hochsommer.

Viele haben das Gefühl, wegen der Spiele eigentlich nur zu verlieren: Die Metros sind noch voller und teurer, in der Innenstadt sind zahlreiche Bereiche abgesperrt, und die Strassen sind voller Polizisten und Soldaten. Und ein Besuch der Wettkämpfe kommt für viele aus Kostengründen nicht infrage. Selbst für schlechte Plätze bei einer Randsportart zahlt eine Familie mehrere hundert Euro – wer mit einem Pariser Gehalt die Miete für eine Pariser Wohnung bezahlen muss, überlegt sich das gut.

Der Ruf der notorischen Nörgler eilt den Parisern weit voraus. Und doch kann man ihnen die fehlende Begeisterung nicht wirklich vorwerfen. Denn Bewohner wie Medien in der Hauptstadt sind erschöpft, ausgepowert von den politisch anstrengenden Wochen, die hinter ihnen liegen.

Frankreichs politische Zukunft ist unklar

«Die geistige Verfassung dieses Landes ist beladen, schwer wie Blei», schrieb kürzlich die linke Zeitung «Libération». Noch vor wenigen Wochen sah die mehrheitlich links eingestellte Pariser Bevölkerung den Untergang ihres Landes kurz bevorstehen. Das rechtsnationale Rassemblement national drohte die Parlamentswahlen zu gewinnen, die Macron Anfang Juni überraschend ausgerufen hatte. «Der Präsident verdirbt uns das Fest», beklagte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo angesichts der angespannten Stimmung im Vorfeld der Spiele.

Die Sozialistin sah wohl die Bilder schon vor sich, wenn die Rechte um Marine Le Pen den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hätte: Frisch ernannte RN-Minister auf der Ehrentribüne zur Eröffnung, vor Milliarden Zuschauern. Vor ihren Augen die bunte, queere und durchaus provokative Show, die die Eröffnungsfeier darstellte.

Dazu ist es nicht gekommen. Die Linke ging überraschend als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor. Doch die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind noch komplizierter als zuvor, und die Regierungsbildung lässt auf sich warten. Wie es mit Frankreich politisch weitergeht, ist völlig unklar.

Progressiv oder respektlos?

Derweil zeigt die Eröffnungsfeier der Spiele, wie politisch zerstritten das Land ist. Während linke und liberale Franzosen Elemente wie die Tanzeinlagen von Dragqueens als progressiv feierten, zeigten sich konservative Politiker entsetzt. Für manche Anhänger des RN ging sogar der Auftritt von Aya Nakamura, einer schwarzen Rapperin aus der Pariser Banlieue, zu weit – zumal sie mit der Garde républicaine auftrat, dem französischen Militärorchester.

Ob der Umgang der Veranstalter mit der französischen Kultur und Geschichte angemessen, respektlos oder im Gegenteil noch zu gnädig war, sorgte in den Medien und in den sozialen Netzwerken tagelang für Diskussionen. Und auch abseits der Darbietungen gab es genügend Punkte, über die man sich beschweren konnte: das schlechte Wetter, die zahlreichen gesperrten Metrostationen oder die langen Schlangen an den Einlässen.

Wer kann, hat die Stadt verlassen

An dieser Stelle muss man allerdings einlenken, dass es unfair ist, zu sagen, die meisten Pariser würden über die Olympischen Spiele nur meckern. Die meisten Pariser sind nämlich gar nicht da.

Wie viele Einheimische während der Spiele tatsächlich die Stadt verlassen haben, lässt sich nicht genau beziffern. Es gibt aber Hinweise: In Umfragen hatten gut 50 Prozent der Pariser angegeben, während Olympia nicht vor Ort sein zu wollen. Gleichzeitig hat die Plattform Airbnb noch nie so viele Anzeigen in Paris gezählt wie in den Monaten vor dem Beginn der Spiele, gut 50 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Ende Juli ist es üblich, dass die französischen Städte sich leeren, und Olympia dürfte diesen Effekt noch vergrössert haben.

Diejenigen, die dageblieben sind, wurden von der Regierung aufgefordert, doch bitte zu Hause zu bleiben. Die Pariser sollen, wenn möglich, im Home-Office arbeiten, um das Verkehrsnetz nicht unnötig zu belasten. In den Metros und auf den Strassen hört man dieser Tage noch mehr Englisch, Spanisch und Deutsch. Während der Spiele ist die Bevölkerung von Paris eine andere als sonst.

Besucher feiern, Pariser liegen am Strand

Und das ist vielleicht gar nicht so schlecht: Die Stimmung der Besucher ist ausgelassen, fröhlich ziehen sie durch die Strassen, wehen mit Fahnen und machen Selfies. Sie bewundern die Sehenswürdigkeiten, die im Hintergrund der Wettkämpfe aufragen, feuern Marathonläufer und Radfahrer auf den Strassen an und lassen sich die gute Laune auch nicht von vollgestopften Metros bei 36 Grad Aussentemperatur verderben. Die Stadt hat sich für die Besucher herausgeputzt, sie wirkt sauberer und imposanter als je zuvor.

Die Pariser bekommen davon nichts mit. Sie geniessen ihre Ferien am Meer oder auf dem Land, die sie sich durch die Vermietung ihrer Wohnung an Olympia-Touristen finanzieren. Das ist vielleicht nicht unbedingt das, was Präsident Macron mit der politischen Verschnaufpause meinte, die er für die Spiele gefordert hat. Aber es ist wohl das, was die Pariser jetzt brauchen.

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