Donnerstag, März 6

Das Darstellungsmuster im Film ist simpel: Eine israelische Schikane folgt der nächsten, dazu Bilder der Zerstörung von Häusern vermeintlich friedliebender Palästinenser. Die Realität ist dann doch etwas komplexer.

Ein Preisregen prasselt seit der Weltpremiere bei der Berlinale im Februar 2024 auf den palästinensisch-norwegischen Dokumentarfilm «No Other Land» herab. Thema des Films: das alltägliche, von Israel den Palästinensern im Westjordanland angetane Unrecht und Leid, die vermeintlich systematische Gewalt des israelischen Militärs gegen friedliche, unbewaffnete Menschen.

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Im Mittelpunkt der junge Westjordanland-Palästinenser Basel Adra, Jahrgang 1996, als Hauptdarsteller und Erzähler, flankiert vom jungen Linksisraeli Yuval Abraham, Jahrgang 1995. Ort der Handlung: der Grossraum um Hebron.

Das Darstellungsmuster ist simpel. Eine israelische Schikane folgt der anderen, dazu Bilder der Zerstörung von Häusern vorgeblich unbescholtener Palästinenser durch Bulldozer, geschützt vom israelischen Militär.

Der Hauch eines Gedankens, dass es vielleicht einen politischen oder gar militärischen Grund, eine Rechtfertigung israelischen Durchgreifens geben könnte, kommt nicht auf. «Antisemitismus», getarnt als «Israelkritik», monierten die wenigen, die sich während und nach der Berlinale trauten, gegen den Jublerstrom zu schwimmen. Aber man kennt das Muster. «Man wird ja wohl noch . . .» Einerlei. Das «No Other Land»-Fest ging in der Film- und Kulturwelt weiter. Ein Preis nach dem anderen, bis heute läuft der Film vielerorts in den Kinos.

Schwimmen auf der Anti-Israel-Welle

Rückenwind für die Ausrichter der Preise auch deshalb: 2024 erreichte der als «Israelkritik» bezeichnete Hass und Kampf gegen Israels blosse Existenz – eben nicht nur gegen Netanyahu und seine Regierung – weltweit zuvor ungeahnte Virulenz. Nicht zuletzt in Norwegen, wo dieser Film produziert wurde. Je länger sich der seit Oktober 2023 von der palästinensischen Hamas begonnene und inzwischen militärisch verlorene Gaza-Krieg hinzog, desto massiver der Antiisraelismus. Auf dieser Welle schwimmen Film, Filmproduzenten und Laudatoren.

Nun tagte das höchste Gericht der Filmwelt und entschied am 2. März 2025: der Oscar als «Bester Dokumentarfilm».

Sicher ist ein Historiker nicht berufen, die filmische Qualität des Dargestellten zu beurteilen. Aber sehr wohl die historisch-politische Qualität, sprich Korrektheit des gepriesenen Dargestellten. Bewertungskriterium: Von einem Dokumentarfilm, erst recht einem, der ins Film-Pantheon gelangt, darf Ausgewogenheit erwartet werden. Nicht nur insofern, als beide (oder mehr) Parteiungen zu Wort kommen, sondern auch, als ihre jeweiligen Positionen auch in den allgemeinen Zusammenhang eingeordnet werden.

Freilich ist Aktivismus auch filmisch in einem freien Land erlaubt, aber Aktivismus, sprich Eindimensionalität, und Qualität schliessen einander aus. Aktivismus, verstanden als gewollte Einseitigkeit beziehungsweise Eindimensionalität, in Kunst und Kultur ist Propaganda.

Worüber der Film kein Wort verliert

Am Anfang erinnert sich der fünfjährige Basel an den Aufstand der Palästinenser: «Ich war ein Kind, als mein Vater verhaftet wurde.» Das muss also 2001 im ersten Jahr der zweiten Intifada gewesen sein. Sie brach im Oktober 2000 aus, obwohl Israels Regierung unter Ministerpräsident Ehud Barak kurz zuvor dem Palästinenserchef Arafat 97 Prozent des Westjordanlandes sowie Ostjerusalem als Hauptstadt eines Palästinenserstaates angeboten hatte. Dieser lehnte ab. Darüber verliert der Film kein Wort. So wenig wie darüber, dass Ministerpräsident Olmert 2008 Arafats Nachfolger Abbas Gleiches anbot – nachdem sich Israel 2005 aus dem Gazastreifen vollkommen zurückgezogen hatte. Wieder lehnte die Palästinenserführung ab.

Hügel, schöne Landschaft bei Hebron. Das Idyll wird zerstört, als ein israelischer Bulldozer wieder ein Palästinenser-Haus dem Erdboden gleichmacht. Nebenbei wird erwähnt, Israels Oberstes Gericht habe diesen Vandalismus genehmigt. Der Zuschauer muss daraus schliessen: Dessen Richter wären der verlängerte Arm von Regierung und Soldateska. Kein Wort darüber, dass Israels Höchstes Gericht seit der Besetzung des Westjordanlandes 1967 eher oft als selten gegen Regierung und Militär und zugunsten klagender Palästinenser entscheidet. Auch deswegen möchte die Netanyahu-Koalition das Oberste Gericht schwächen.

Unerwähnt bleibt nicht nur bei der Dokumentation jener Hauszerstörung die Tatsache, dass die jeweils abgerissenen Häuser gemäss dem Oslo-Abkommen von 1993 illegal erbaut worden waren. Basierend auf der Unwissenheit der Adressaten fabriziert Basel Propaganda. Sie, also «die» Israeli, «behaupten, wir würden illegal bauen», so noch ein Kronzeuge. Er kennt die Regelungen des Oslo-Vertrages ebenso wenig. Das Kinopublikum nun erst recht nicht.

Basel erklärt seinem israelischen Friedensfreund, weshalb palästinensischer Aktivismus nötig sei: «Um Druck auf die USA auszuüben, die ihrerseits Druck auf Israel ausüben sollen.» Fakt ist, dass dieser nicht im Film, doch in der Wirklichkeit meist gewaltsame Aktivismus die israelische Gesellschaft und damit die Regierungspolitik des Landes seit nunmehr knapp vierzig Jahren reaktiv immer unnachgiebiger werden liess. Auch gegenüber amerikanischem Druck. Die US-Präsidenten Obama und Biden haben es selbst erlebt. Never mind. Eigentlich müssten Publikum und Preisevergebende die inneren Widersprüche selbst bei minimalem Wissen erkennen.

Die Schülerin im Chanel-Pullover

Palästinensisches Elend. Armut, wo man hinschaut. Sieh da, in einer Schulklasse, reizende, herausgeputzte Mädchen, zirka zehn Jahre alt. Eine Schülerin trägt einen nagelneuen, blauen Chanel-Pullover. Ein klassisches Merkmal für Armut. Zu dumm, dass bei der Filmabnahme an diese Selbstwiderlegung nicht gedacht wurde. Die Juroren und Laudatoren sehen offensichtlich auch nur, was sie sehen wollen.

«Wir leben hier seit Ewigkeiten», sagt eine Palästinenserin. Kein Widerspruch, keine noch so kleine Einschränkung. Dass im Westjordanland nicht nur in biblischen Zeiten Juden lebten und aus Hebron 1929 nach einem Pogrom vertrieben wurden, muss, soll nicht erwähnt werden. Ergo fügt die Frau hinzu: «Es ist unser Land.» Nur das Westjordanland, auch Israel?

«Sie erschiessen Leute.» Sie, «die» Israeli. Also alle Israeli. Selbst im Märchen wird mehr differenziert. Warum schiessen «sie», also alle? «Sie sind rachsüchtig.» Wieder alle, versteht sich. Dass kein Palästinenser auf Israeli schiesst, versteht sich für den Zuschauer von selbst. Kein Wort von den zahlreichen terroristischen Angriffen und Morden der Palästinenser an Israeli.

Einst unterstellten Antisemiten den Juden, sie würden die Brunnen der Christen vergiften. Der Palästinenserchef Abbas tischte diese Lüge dem Europäischen Parlament am 6. Juli 2016 auf. Die Abgeordneten dankten ihm für diese «Information» mit tosendem Applaus. Basel and Friends sind geschickter und lassen einen wütenden Palästinenser hinausposaunen, Israel enthalte den Seinen Wasser vor. «Wasser ist ein Menschenrecht!» Eben drum ist kein Palästinenser im Westjordanland verdurstet. Wahrheit wozu, wenn Propaganda möglich.

Basel und Yuval wollen heiraten

Offen und offensichtlich wenden sich die Filmer an ein eher wokes Publikum. Basel fragt Yuval: «Wann heiraten wir?» Yuval: «Keine Ahnung. Es ist sehr kompliziert.» Wir lernen: Israel wäre eine Anti-Schwulen-Hochburg. Falsch. Spätestens hier müssten wenigstens Juroren wissen, dass Israels Städte, allen voran Tel Aviv, LGTBQ-Metropolen sind. Wieder entlarven sich die Filmer selbst, und wieder wollen es weder Juroren noch Laudatoren sehen.

Lange bevor es Filme gab, wusste Papst Paul IV. (1476–1559): «Mundus vult decipi, ergo decipiatur.» Die Welt will betrogen werden, also sei sie betrogen. 1555 verfügte er, dass die Juden fortan im Ghetto zu leben hätten. Nach dreitausend Jahren jüdischer Verfolgungs- und Vernichtungsgeschichte wehren sich die meisten Israeli – andere als der Filmer Yuval Abraham – reaktiv und präventiv gegen ihre waffen-, wort- und bildgewalttätigen Feinde. Es gibt nämlich auch ein jüdisches «Nie wieder!».

Aus Zeitgründen «dokumentiert» «No Other Land» den Gaza-Krieg nur kurz. Der begann im Oktober 2023, und im Februar 2024 sollte der Film auf der Berlinale vorgeführt werden. Dankenswerterweise erfahren wir aber, wer die eigentlichen Mordburschen sind: Am 13. Oktober 2023 wurde Basels Cousin erschossen – von jüdischen Siedlern, die in sein Dorf drangen. Wird erwähnt, dass und wie die Hamas Israeli aus heiterem Himmel überfiel und abschlachtete? Eine naive Frage. Doch, ja, Israeli wurden getötet – «durch israelische Luftangriffe». Kein Märchen, 95 Minuten Propaganda. Maskiert als «Dokumentation».

Michael Wolffsohn ist Historiker und Publizist. Am 11. März erscheint sein Buch «Feindliche Nähe: Von Juden, Christen und Muslimen» im Herder-Verlag.

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