Donnerstag, Mai 15

Der WDR musste den Spitzenvertreter des BSW einladen, obwohl der Sender das nicht wollte. Nun sieht er die Rundfunkfreiheit in Gefahr.

Die Gästeliste ist nicht nur bei Geburtstagen und Hochzeiten eine heikle Angelegenheit. Das musste jüngst der Westdeutsche Rundfunk (WDR) erkennen.

Drei Tage vor der Europawahl am Sonntag haben sich die deutschen Kandidatinnen und Kandidaten in der «ARD Wahlarena» nochmals dem Publikum vorgestellt. Sieben Parteien hatte der WDR eingeladen: CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP, AfD und Linke. Der Vertreter der neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sollte nicht Teil der Runde im Fernsehstudio sein. Dagegen hat sich das BSW vor Gericht gewehrt – und prompt eine Einladung erzwungen.

Raum und Redezeit sind begrenzt. Man habe die Parteien eingeladen, die bereits jetzt im Europaparlament vertreten seien und in Deutschland ein relevantes Gewicht hätten, sagte der WDR vor Gericht. Zudem wollte die Sendung auch auf die ablaufende Wahlperiode blicken. Die Partei der ehemaligen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht war erst Anfang des Jahres gegründet worden.

BSW hat bessere Chancen als FDP und Linkspartei

Diese Begründung liess das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in München nicht gelten und griff in die Besetzung der Sendung ein. Es beschloss im Eilverfahren, dass das BSW das Gebot der abgestuften Chancengleichheit beanspruchen kann. Damit bezieht sich das Gericht auf ein Prinzip, wonach Parteien entsprechend ihrer Bedeutung im Programm zu berücksichtigen sind.

Das Gericht kam zu einem anderen Schluss, welche Parteien relevant genug sind, um sie abzubilden und zu Wort kommen zu lassen. Es bezieht sich auf Umfragewerte. Seit Februar bewege sich das BSW zwischen vier und sieben Prozent und habe damit bessere Chancen als FDP und Linke. Daraus lasse sich eine deutliche Tendenz für die Erfolgsaussichten ableiten, «ungeachtet der eingeschränkten Verlässlichkeit von Umfragen».

Auch habe das BSW innerhalb kurzer Frist eine Organisationsstruktur aufgebaut. Das erlaube ihm, schon in seinem Gründungsjahr neben der Europawahl an verschiedenen Kommunal- und Landtagswahlen teilzunehmen.

Dass selbst die öffentlich-rechtlichen Rundfunkstationen sich nicht einig sind, wie sie Parteien gleich behandeln sollen, zeigt die Sendung «Kandidatencheck» des ZDF. Ende Mai durfte dort der Kandidat des BSW dabei sein.

Zwar ist auch die redaktionelle Freiheit grundrechtlich geschützt. Sie erlaubt es dem WDR, unabhängige Entscheide zu treffen, und sorgt dafür, dass die Politik nicht in die Gestaltung der Sendung hineinredet. Er darf also den Schwerpunkt auf die vergangene Wahlperiode legen und den Teilnehmerkreis entsprechend begrenzen.

Gemäss dem Gericht ist aber davon auszugehen, dass es bei einer Wahlsendung nicht nur um die Vergangenheit geht. Das Format sieht vor, dass das Publikum seine Sorgen und Bedenken direkt an die politische Elite herantragen kann, indem es live Fragen zu europapolitischen Themen stellt. Bürgerinnen und Bürger konnten sich dafür bewerben.

Redaktionelles Konzept angepasst

Der Sender sieht «grundsätzlichen Klärungsbedarf, was die abgestufte Chancengleichheit angeht». Er glaubt die Rundfunkfreiheit in Gefahr. Zu befürchten könnten auch mehr Klagen sein, je weiter sich das politische Spektrum ausdifferenziert. Nach Ansicht des WDR ist die Chancengleichheit auch dann gewahrt, wenn eine Partei nicht ins journalistische Konzept einer Sendung passt und nicht eingeladen wird, im Gesamtprogramm aber angemessen berücksichtigt wird.

Der WDR werde deshalb Verfassungsbeschwerde einlegen. Er zieht damit vors oberste Gericht in Deutschland. Man wolle klären, welche redaktionellen Spielräume man in der Vorwahlberichterstattung habe und welche Rolle dabei das redaktionelle Gesamtkonzept spiele. So soll für zukünftige Wahlen Rechtssicherheit hergestellt werden.

Nach dem Urteil hatte der WDR das redaktionelle Konzept der «Wahlarena» angepasst. Am Donnerstagabend trafen nun also acht statt sieben Kandidatinnen und Kandidaten auf jene Menschen, von denen sie gewählt werden wollen. Mitreden durfte nun auch der ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi. Er ist neben Thomas Geisel einer der beiden Spitzenkandidaten des BSW. Die neue Partei will bei der Europawahl im Juni und den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland im Herbst antreten.

Zu Beginn der Sendung musste De Masi dann erst einmal den Moderator korrigieren, der ihn mit falschem Namen, «de Maso», vorgestellt hatte. Sodann habe er «nicht mehr aus der Rolle des leicht genervt wirkenden Besserwissers» herausgefunden, schreibt der Spiegel. Insbesondere beim jüngeren Publikum habe er sich wohl keine Freunde gemacht, als er dessen Forderung einer Dönerpreisbremse mit den Worten «Es gibt Wichtigeres» abtat und auf die Energiepreise verwies.

Fabio De Masi selbst schrieb vor der Sendung bei X, der WDR habe der Partei «unfreiwillig die beste Wahlkampf-PR der jüngeren Parteiengeschichte ermöglicht».

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