Sonntag, Oktober 6

Passanten bleiben stehen, staunen und machen schnell ein Foto, bevor sie weitergehen. Im Spätsommer gibt es im Londoner Regent’s Park Pflanzenskulpturen zu entdecken, die extravagant sind, aber eine dunkle Klimabilanz haben.

Orangerote Blüten leuchten im spätsommerlichen Sonnenschein wie Jahrmarktdekoration. Dicht gedrängt füllen sie zu Hunderten eine stark überdimensionierte Pflanzschale. Über deren Ränder hängt ein Vorhang aus unzähligen silbernen Blättchen. Die Schale wird scheinbar von vier bizarren, weissen Kreaturen, Löwen mit Flügeln und Hörnern, in die Höhe gehalten. Sie sitzen auf einem Sockel in der Mitte eines weit ausladenden, runden Beetes. Um sie wachsen grosse, sternförmige Blätter, in einem Rot-Braun-Violett, wie man es bei Pflanzen nicht erwartet.

Den Rest des Beetes füllen weitere der strahlend orangeroten Blüten, und über die steinerne Beetbegrenzung schwappen auch hier kleine, silberne Blätter. Man muss einige Schritte zurücktreten, um das gesamte Gebilde würdigen zu können. Dann sieht man plötzlich, dass ganz oben aus der Schale auch noch eine riesige Palme ragt. Zurückhaltend ist anders.

Diese schrille Pflanzenskulptur befindet sich in einem Teil des Londoner Regent’s Park, der 1864 fertiggestellt wurde. Damals erlebte das britische Empire seine Blüte, und es war modern, die exotischen Schätze des Weltreiches auch im Garten zur Schau zu stellen. Zwischen Alleen und formellen Hecken wurden die bunten Blüten und bizarren Pflanzenformen geometrisch arrangiert. Visuell war das extravagant, gärtnerisch war es eine Herausforderung. Die Pflanzen, die man aus fernen Ländern holte, waren nämlich meist nicht an das kühle Klima der Britischen Inseln angepasst.

Pflanzenskulpturen als Freilichtmuseum

Die orangeroten Blüten, die so sehr die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, gehören der Knollenbegonie, die aus den Tropen beziehungsweise Subtropen stammt und keinen Frost verträgt. Aber man fand schnell heraus, dass sie sich gut aus Samen vermehren lässt. Noch heute werden Knollenbegonien, auch die hier im Regent’s Park, jeden Winter im Gewächshaus gesät und das, obwohl die Knollen viele Jahre lang spriessen würden. Neu säen ist einfacher als überwintern. Das Gleiche gilt für fast alle der Pflanzen, aus denen die imposante Skulptur hier besteht.

Was im 19. Jahrhundert aufregend neu war, hat im Zeitalter des Klimawandels einen unangenehmen Beigeschmack, denn die Produktion all dieser «ex und hopp»-Pflanzen setzt grosse Mengen CO2 frei. Ausserdem können einheimische Insekten wenig anfangen mit den exotischen Blüten, auch kein Pluspunkt, wenn es darum geht, dramatisch fallenden Insektenzahlen entgegenzuwirken. Gut also, dass man exotische Blumenarrangements immer seltener sieht in öffentlichen Parks. Hier im Regent’s Park lassen sich die verschwenderischen Pflanzenskulpturen als Exponate in einem Freilichtmuseum verstehen, denn dieser Teil des Parks wurde aufwendig restauriert, um einen Eindruck von der Zeit um 1870 zu vermitteln.

Als Besucher hier zu flanieren, fühlt sich merkwürdig an, denn man spürt, wie anders das Verhältnis zu Pflanzen, zur Natur damals war. Dabei ist es interessant zu beobachten, wie sehr die bunten Gebilde die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich ziehen, wie Kunstwerke im Museum. Hinweise zu den umweltbelastenden Aspekten der Skulpturen sind auf den Informationstafeln aber keine zu finden. Dabei könnte man hier auch weniger Gartenaffine zum Umdenken anregen: Oft wird aus Unwissenheit eine knallbunte Wegwerfpflanze für den Blumenkasten bevorzugt, statt einer weniger spektakulären, aber dafür nachhaltigeren Staude.

Ende September findet man auf den Wiesen ein paar Schritte entfernt Skulpturen, die normalerweise tatsächlich im Museum stehen, nämlich moderne Kunst. Die Ausstellung ist Teil der internationalen Kunstmesse «Frieze», die in Zelten hier im Regent’s Park stattfindet. Im letzten Jahr ähnelten einige der Skulpturen mit ihrer lauten Farbigkeit den Pflanzendisplays, gaben dem Park damit eine weitere Dimension. In diesem Jahr beginnt die Ausstellung am 18. September. Wer Glück hat, der erlebt kurzzeitig beides, moderne Kunst und altmodischen Gartenbau. Spätestens Anfang Oktober werden die exotischen Pflanzen dann abgeräumt.

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