Werden Israel und Palästina je Frieden schliessen, und was wäre dazu nötig? Darüber diskutierten Expertinnen und Experten am «NZZ Podium».
Werden Israeli und Palästinenser je in Frieden leben können? Mit dieser Frage hat sich das «NZZ Podium» am Mittwochabend an der Falkenstrasse beschäftigt. Es diskutierten kontrovers der Historiker und Journalist Joseph Croitoru, die Autorin und Friedenspädagogin Sumaya Farhat-Naser, der Publizist Richard Herzinger und der Islamwissenschafter Reinhard Schulze. Moderiert wurde das Podium von Martin Meyer, dem Leiter von «NZZ Podium».
Der 7. Oktober war für die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser ein Schock. Den Anschlag der Hamas bezeichnete sie als «Verbrechen gegen die Menschheit». Er bilde nicht ab, was die palästinensische Zivilbevölkerung sich wünsche, sagte sie.
Doch der Konflikt zwischen Israel und Palästina sei nicht aus der Luft gegriffen, sagte Farhat-Naser weiter. Die Gründung Israels 1948 sei auf Kosten vieler Menschen gegangen, die nach Gaza geflüchtet seien. Seit 57 Jahren lebten sie «unter militärischer Besetzung», während die israelische Regierung immer mehr Land von Cisjordanien einverleibe.
«Wir haben Angst um unsere Existenz», sagte Farhat-Naser, die selbst im Westjordanland lebt. Aus diesem Missstand heraus sei die heutige radikale Hamas entstanden. Die Palästinenser würden nicht gesehen, nicht respektiert, hätten nicht die gleichen Rechte wie die Israeli. Es gebe «Beherrschte und Herrscher». Unter diesen Bedingungen könne keine Demokratie entstehen. «Dabei hätte es Platz für beide Völker», sagt Farhat-Naser. Dafür müssten aber beide Seiten die Ideologien ablegen: Wenn Religion alles bestimme, verschwinde die Logik. Wenn sie für politische, fanatisch nationalistische Zwecke benutzt werde, werde man sich niemals einigen können.
Es braucht neue politische Führungen
Richard Herzinger wandte ein, die Attacke der Hamas aus der palästinensischen Unterdrückung abzuleiten, sei gefährlich. Sie sei der grösste Judenmord seit dem Ende des Holocausts gewesen, «ein Epochenbruch». Die Hamas habe von Anfang an das ideologische Ziel gehabt, so viele Juden wie möglich zu ermorden, sagt Herzinger. Die Besetzung des Gazastreifens habe einen Grund. Bis heute gebe es keine palästinensische Führung, die bereit sei, einen jüdischen Staat anzuerkennen.
Das palästinensische Volk müsse mit seinen Führern sowie deren Verbündeten brechen, sagte Herzinger. Hinter der Hamas stehe Iran, der Krieg gegen die westlichen Demokratien führe. Und es sei auch kein Zufall, dass der Gaza-Krieg mit Russlands Angriff auf die Ukraine zusammenfalle.
Damit Frieden entstehen könne, brauche es eine neue palästinensische Führung, die pragmatisch und zukunftsgerichtet sei und eine enge Zusammenarbeit mit Israel anstrebe. «Eine neue Generation, die es toller findet, ein Startup zu gründen, denn als Märtyrer zu sterben», sagte Herzinger.
Der Historiker Joseph Croitoru monierte, dass Israel eine Besatzungsmacht sei, die die Wareneinfuhr in den Gazastreifen kontrolliere und den Seeweg blockiere. Er hob das ungleiche Verhältnis der Opferzahlen hervor. Gegenüber dem übermächtigen Feind Israel hätten die Palästinenser keine Möglichkeiten.
Abbau struktureller Hindernisse
Der Islamwissenschafter Reinhard Schulze verwies auf unsere fehlende Vorstellung davon, was sich innerhalb der palästinensischen Gesellschaft an Politik vollziehe. Es gebe keine funktionierende politische Öffentlichkeit. Einerseits sei da eine palästinensische Elite, die kein Interesse daran habe, dass eine souveräne Zivilgesellschaft entstehe, und die die Machtordnung über die Vorstellung von Widerstand und Befreiung legitimiere.
Andererseits könne Israel Palästina derzeit nur noch als Sicherheitsproblem interpretieren, sagte Schulze. Dafür gebe es reale Argumente. Als Protektor der palästinensischen Gebiete habe Israel aber eine Verantwortung, dass es dort zu einer positiven Entwicklung komme. Dazu gehöre der Abbau struktureller Hindernisse.
«Die palästinensische Gesellschaft kann sich nicht finden, sie ist durchtrennt von Hunderten von Checkpoints», sagt Schulze. Dadurch werde eine gemeinsame Kommunikation, ein Debattenraum, in dem eine Diskussion von links bis rechts stattfinden könne, verhindert. Doch das wäre Voraussetzung dafür, dass es zu einer Art von Meinungsbildung auch in der palästinensischen Gesellschaft komme, wie die Zukunft gegenüber Israel und dem eigenen Land auszusehen habe.
Um Frieden zu schaffen, müsse auf die alten Schuldzuweisungen auf beiden Seiten verzichtet werden, sagt Schulze weiter. Sie lenkten von politischen Visionen ab. «Die Politik der Annexion, die Politik der Separation muss vom Tisch.» Die Frage, wie geteilte Souveränität in einem Staat aussehen könne, müsse im Zentrum stehen. Es brauche neue politische Visionen, an die man in der nationalistischen Vergangenheit, in der man ein Land, eine Hauptstadt, eine Sprache hochgehalten habe, vielleicht nie gedacht habe.