Wenige Wochen vor dem Jahrhunderthochwasser im Wallis hatte der Staatsrat das grösste Hochwasserschutzprojekt der Schweiz gebremst. Ein Fehler?

Unverhältnismässig sei das Hochwasserschutzprojekt, und viel zu kostspielig: So lautete das Verdikt einer Projektanalyse von Ende Mai zur geplanten dritten Rhonekorrektion. In Auftrag gegeben hatte die Analyse der Walliser Staatsrat im Jahr 2022. Diesen negativen Befund nahm er zum Anlass, das Projekt zu redimensionieren – ein Entscheid, der für viele sehr überraschend kam.

Wenige Wochen später erlebt das Wallis ein Jahrhunderthochwasser. Eine Person stirbt, ganze Quartiere stehen unter Wasser. Zahlreiche Einsatzkräfte aus verschiedenen Kantonen und selbst die Schweizer Armee sind im Einsatz. Eine erste Schätzung geht von Schäden in Höhe von 200 Millionen Franken aus.

«Das verheerende Ereignis zeigt, dass dringender Handlungsbedarf besteht», sagt Emmanuel Revaz, Fraktionschef der Grünen im Grossen Rat. Es sei jetzt der falsche Moment, um auf die Bremse zu treten. Er fordert vom Staatsrat, dass dieser umgehend Massnahmen für Sicherheit und Umweltschutz umsetzen soll.

Druck auf Regierung

Die Walliser Regierung steht unter Druck, allen voran ihr Präsident und Umweltverantwortlicher Franz Ruppen. Der SVP-Politiker setzte sich als damaliger Grossrat vehement gegen die dritte Rhonekorrektion ein, als Parteipräsident der Oberwalliser SVP forderte er 2014 gar einen kompletten Abbruch des Projekts.

Im Namen des Staatsrats hatte er Ende Mai die Resultate der Studie präsentiert. «Es ist normal, dass grosse Projekte regelmässig evaluiert werden. Die Rahmenbedingungen können sich ändern», sagte Ruppen damals gegenüber den Medien.

Initiiert wurde das Projekt der dritten Rhonekorrektion – das grösste Hochwasserschutzprojekt der Schweiz – vor 24 Jahren, nach der grossen Überschwemmung im Jahr 2000.

Hochwasser im Kanton Wallis vom Herbst 2000

Während mehrerer Jahre klärten die Kantone Wallis und Waadt ab, wie man die Rhone sicherer machen und Hochwasser vorbeugen könnte. Dutzende Experten waren involviert, auch zahlreiche Bundesämter.

Man kam zu dem Schluss, dass 162 Kilometer Flusslauf angepasst werden sollten, um der Rhone mehr Raum zu geben und so Siedlungen, Landwirtschaft und Industrie vor Hochwasser zu schützen. Weitere Massnahmen wie etwa die Verstärkung von Dämmen oder punktuelle Absenkungen des Flussbetts wurden ebenfalls geplant. Der Bund trägt das Budget von 3,6 Milliarden Franken zu knapp zwei Dritteln mit, den Rest bezahlen die Kantone Wallis und Waadt.

Spannungen blieben bestehen

Erste Massnahmen, insbesondere in Visp, wurden in der Zwischenzeit bereits umgesetzt. Doch die Bauzeit für das ganze Projekt dauert mehrere Jahrzehnte. Weil sich die Situation in den letzten Jahren verändert habe, brauche es nun eine Anpassung, verkündete die Regierung. Doch nicht die Regierung selbst, sondern der Grosse Rat hatte die Studie angestossen – aufgrund eines Postulats der Partei von Revaz.

«Wir haben die Regierung aufgefordert, eine einheitliche und klare Vision zur Rhonekorrektion zu präsentieren», sagt der grüne Grossrat. Dies sei nötig geworden, weil es in den letzten Jahren zu zahlreichen Blockaden und Konflikten innerhalb der involvierten Ämter der Kantonsverwaltung gekommen sei. Ein Problem sei etwa die Landwirtschaft: 300 Hektaren an Landwirtschaftsflächen werden für die Ausweitung der Rhone benötigt – die Bauern wehren sich.

«Dabei hatten wir eigentlich einen Konsens», sagt Revaz. Er bedauert die Spannungen. «Wir wollten eine klare Vision vom Staatsrat, nicht eine Infragestellung des ganzen Projekts – darauf läuft der Bericht aber hinaus. Jetzt sind wir wieder auf Feld 1, was die politische Debatte angeht.»

Tatsächlich scheinen wieder die gleichen Diskussionen aufzuflammen, die es schon am Anfang gab: So will etwa die SVP auf einige Umwelt- und Biodiversitätsmassnahmen verzichten: «Je grösser das Projekt ist, desto länger dauern die Umsetzungen der Massnahmen – für uns geht es in erster Linie um die Sicherheit der Menschen», sagt Grégory Logean, Fraktionschef der SVP im Grossen Rat.

Selbst im Bundesparlament ist der Konflikt angekommen: Die grünen Nationalräte Christophe Clivaz aus dem Wallis und Raphaël Mahaim aus der Waadt sowie die FDP-Nationalrätin Jacqueline de Quattro (und frühere Umweltministerin des Kantons Waadt) hatten im Mai den Bundesrat gefragt, wie er sich zu dieser Kehrtwende positioniere.

Albert Röstis Antwort: Dem Kanton Wallis stehe es frei, eine solche Überprüfung zu machen. Die Finanzierung des Bundes sei jedoch an die Einhaltung des vereinbarten Projekts gebunden.

Inzwischen wurde bekannt: 2023 hatte der Bund 1,8 Milliarden Franken bereits sistiert. Im Wallis ist man nun ratlos, wie es weitergeht. «Wir warten darauf, was der Staatsrat vorschlagen wird», sagt Sonia Tauss-Cornut, Fraktionschefin der Walliser FDP. «Es wäre aber falsch, die Analyse und den Entscheid des Staatsrats mit den Ereignissen vom Wochenende zu vermischen.»

Nathan Bender, Fraktionschef der Mitte, fordert die Regierung auf, das Parlament besser einzubinden: «Wir wollen, dass der Grosse Rat zum revidierten Projekt der dritten Rhonekorrektion Stellung nehmen kann – nicht nur auf finanzieller Ebene.» Ein entsprechendes dringendes Postulat wurde im Mai angenommen.

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