Untersuchungen zeigen, dass junge Frauen tendenziell eher links, junge Männer jedoch eher rechts stehen. Die Gründe dafür sind vielfältig und verblüffend, wie die Politologin Ayaan Hirsi Ali in ihrer Analyse schreibt.
In den meisten Industrieländern haben sich die politischen Einstellungen und das Wahlverhalten junger Frauen in den letzten zehn Jahren deutlich nach links bewegt. Junge Männer hingegen stehen entweder still oder rücken nach rechts, mitunter bis zur populistischen Rechten.
Das Ausmass der Polarisierung ist beachtlich. Unter Verwendung von Gallup-Daten zur politischen Selbsteinschätzung in den USA hat die «Financial Times» festgestellt, dass nach Jahrzehnten, in denen sich die Geschlechter hinsichtlich der politischen Haltung kaum unterschieden, Frauen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren heute 30 Prozentpunkte weiter links stehen als ihre männlichen Altersgenossen. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Grossbritannien und in Deutschland sowie bei den jüngsten nationalen Wahlen zum Beispiel in Polen oder Finnland.
Die wachsende geschlechtsspezifische Kluft im Politischen spiegelt sich auch in den sozialen Einstellungen junger Menschen. Eine Umfrage von Glocalities zwischen 2014 und 2023 ergab, dass junge Frauen im Verlauf der letzten zehn Jahre mehrheitlich zu antipatriarchalischen Werten tendierten und sich um Themen wie sexuelle Belästigung, häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch sowie psychische Probleme sorgten. Männer hingegen konzentrierten sich im Allgemeinen stärker auf Wettbewerb, Mut und Ehre. Die Studie ergab, dass junge Männer im Vergleich zu Frauen und sogar älteren Männern insgesamt patriarchalischer geworden sind und auch dem Feminismus skeptischer gegenüberstehen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Studie des Survey Center on American Life. Man hat festgestellt, dass der Anteil der jungen Männer, die angeben, diskriminiert zu werden, in den letzten vier Jahren gestiegen ist. Fast die Hälfte aller Männer im Alter von 18 bis 29 Jahren bejahte eine entsprechende Frage. Ein ähnlicher Trend ist in Europa zu beobachten, wie eine Studie der Universität Göteborg ergeben hat. Eine Mehrheit junger Männer war der Meinung, dass «die Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen zu weit gegangen ist, weil sie die Chancen von Männern und Jungen bedroht».
Die Gründe für diese geschlechtsspezifische Polarisierung der Jugend sind schwer festzumachen. Es gibt indessen ein paar Ursachen, die unmittelbar zu benennen sind.
Sexuelle Übergriffe
Die #MeToo-Bewegung war ein wichtiger Auslöser. Sie hat seit 2017 zu einer Verschiebung hin zu feministischen Werten bei jungen Frauen geführt. Die breite Berichterstattung über Sexismus und Frauenfeindlichkeit hat die Aufmerksamkeit zusätzlich gesteuert. Das scheint eine jüngere Generation von Frauen beim Eintritt ins Erwachsenenalter nach links gedrängt zu haben.
Eine ganze Reihe von Themen hat diese Gruppe junger Frauen wachgerüttelt: sexuelle Belästigung, restriktive Abtreibungsgesetze, das geschlechtsspezifische Lohngefälle nach der Schwangerschaft und vor allem die Aufteilung der Kinderbetreuung. Die politische Linke hat gute Arbeit geleistet, um die Frauen davon zu überzeugen, dass dies alles brennende Ungerechtigkeiten sind und dass sie sich um diese Probleme kümmert.
Sieben Jahre nach dem ersten #MeToo-Fall deuten die Umfragedaten zu den Einstellungen der Generation Z gegenüber feministischen Anliegen darauf hin, dass sich die Divergenz zwischen jungen Frauen und Männern bei diesem Themenkomplex verselbständigt hat.
In dem Masse, wie sich die Linke dem Feminismus zuneigte, ging sie auch aktiv gegen junge Männer vor. Sie verwendete Bezeichnungen wie «toxische Männlichkeit» so locker, dass der Eindruck entstand, Männlichkeit sei ein Defekt der Natur. Ausserdem nahm sie oft an, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern nur in eine Richtung gehen könne. Doch der Philosoph David Benatar legt in seinem Buch «The Second Sexism» dar, dass es in den entwickelten Gesellschaften eine Vielzahl von Ungleichheiten gibt, die sich zum Nachteil von Männern und Jungen auswirken.
Die Selbstmordrate unter Männern ist viel höher. Die Genitalverstümmelung bei männlichen Säuglingen ist im Gegensatz zu der bei Frauen gesetzlich erlaubt. In einigen Ländern neigen Scheidungsgerichte dazu, beim Streit um das Sorgerecht Mütter zu bevorzugen. In anderen Ländern wiederum ist das Renteneintrittsalter ungleich. Männer treten früher in den Arbeitsmarkt ein und sterben im Durchschnitt früher, während das Rentenalter für Frauen in reichen Ländern im Durchschnitt etwas niedriger liegt.
Während viele Linke kaum anerkennen, dass solche Probleme existieren, haben sich Politiker auf der Rechten in kulturellen Konflikten eher auf die Seite der Männer geschlagen. Donald Trump ist ein offensichtliches Beispiel. Seine Regierung überarbeitete Regeln in Bezug auf Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe auf dem College-Campus. Ausserdem kritisierte er die #MeToo-Bewegung, weil sie angeblich zu falschen Anschuldigungen gegenüber Männern ermutige.
Universitäten polarisieren
Die ungleiche Teilhabe an der Hochschulbildung spielt vermutlich ebenfalls eine Rolle bei der Polarisierung der Geschlechter. Menschen, die heutzutage eine Hochschule besuchen, nehmen eher eine linke, egalitäre Einstellung an, da diese mittlerweile unter Lehrkräften dominiert. Gleichzeitig liegt in den USA heute der Anteil der Frauen bei den Studienanfängern deutlich höher als jener der Männer.
Es ist wahrscheinlich, dass die Feminisierung des Universitätssystems und ihre politische Wirkung auf die Studierenden nun in einer Rückkoppelungsschleife stehen. Es ist nicht nur so, dass die Universität junge Frauen linker macht, sondern die Frauen selber machen die Universitäten progressiver, da ihr Anteil an den Lehrkräften, Mitarbeitern und Studenten stetig wächst.
Gemäss Umfragedaten setzen Männer auf dem Campus eher freie Meinungsäusserung, Wissenserwerb oder Grundlagentexte als Prioritäten in der Hochschulbildung, während Frauen im Durchschnitt eher auf Inklusion, emotionale Sicherheit, Vielfalt und soziale Gerechtigkeit Wert legen. Das erklärt, wieso das in den letzten Jahrzehnten entstandene Universitätssystem in seiner institutionellen Kultur und seinen Prioritäten linker ist als das einst männlich dominierte System.
Einsame Männer
Das Bildungsgefälle führt auch zu Unterschieden in der Art und Weise, wie Männer und Frauen Stellen- und Partnersuche erleben. Wenn Frauen in einer Industrienation einen Hochschulabschluss machen, finden sie in der Regel eine Stelle und können ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Wenn sie jedoch auf den Partnerschaftsmarkt kommen, müssen heterosexuelle Frauen feststellen, dass das Angebot an höher gebildeten Männern mit gleichwertigen Gehalts- und Karriereaussichten nicht mehr der Nachfrage entspricht. Es gibt inzwischen mehr weibliche als männliche Hochschulabsolventen. Das hat Konsequenzen, weil die Heiratsstrategien von Frauen eher auf Aufstiegsszenarien ausgerichtet sind. Frauen gehen tendenziell eher mit jemandem aus, von dem sie glauben, dass er erfolgreicher und/oder finanziell besser gestellt ist als sie.
Darum ist für Männer, die nicht studiert haben, die Dating-Szene düster geworden. Aufstrebende Frauen lehnen sie ab. Auch das hat Folgen. Untersuchungen zeigen, dass Männer, die sich abmühen, um voranzukommen, und dennoch keinen Status erreichen können, die öffentlichen Institutionen für ungerecht halten. Es ist unschwer zu erkennen, wie diese Tendenzen die Kluft zwischen den Geschlechtern vergrössern. So stimmen beispielsweise junge britische Männer, die in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit geboren wurden, eher der Formel zu: «Der Mann sollte verdienen, die Frau bleibt zu Hause.»
Die Ungleichheiten zwischen jungen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt für Hochschulabsolventen werden so lange bestehen bleiben, wie die Jungen im Bildungssystem hinter den Mädchen zurückbleiben. Laut der Pisa-Studie, bei der Gymnasiasten in aller Welt getestet werden, erreichen 28 Prozent der Jungen, aber nur 18 Prozent der Mädchen nicht das Mindestniveau an Lesekompetenz. Wenn diese Jungen erwachsen werden und feststellen, dass sie keinen sozialen Status erlangen können und von Frauen auf Dating-Apps ständig ignoriert werden, werden sie sich wohl kaum von einer Linken beeindrucken lassen, die sie immer noch als privilegierte Unterdrücker sieht.
In der Filterblase
Wie der Psychologe Jonathan Haidt feststellt, haben die sozialen Netzwerke – die Linse, durch die junge Menschen die Welt zunehmend betrachten – die Polarisierung wahrscheinlich noch verschärft. Erstens ist die Generation Z weitaus stärker von gruppenspezifischen Kanälen für Information und Kommunikation abhängig als jede frühere Generation.
Zweitens ermutigen die sozialen Netzwerke die Menschen, Echokammern zu bilden. Das auf diese Weise entstehende Gruppendenken neigt dazu, extremer zu werden, da Individuen im Kollektiv die Bestätigung ihrer Auffassungen suchen.
Drittens wird dieser Effekt durch Algorithmen verstärkt. Dies schürt die verzerrten Wahrnehmungen in den verschiedenen Lagern. Frauen, die auf #MeToo-Geschichten klicken, werden mehr davon sehen, ebenso wie Männer, die auf Geschichten über Männer klicken, die fälschlicherweise sexueller Übergriffe beschuldigt werden. Beide erhalten eine überhöhte Vorstellung von den Ungerechtigkeiten, denen ihr Geschlecht ausgesetzt ist, und werden weniger mit gegenteiligen Ansichten konfrontiert.
All diese Faktoren haben dazu geführt, dass junge Männer und Frauen aufgrund der sehr unterschiedlichen Inhalte, die sie auf ihren Handys sehen, zunehmend in unterschiedlichen mentalen Welten leben.
Hat es doch nichts mit Politik zu tun?
Ein letzter wichtiger Treiber der Polarisierung zwischen den Geschlechtern besteht in der Tatsache, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede paradoxerweise dazu neigen, sich in eher geschlechteregalitären Kulturen zu vergrössern. Es ist nicht ganz klar, warum die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Westen grösser sind als in Afrika und Asien. Eine Hypothese besagt, dass beide Geschlechter freier werden, das zu tun, was ihnen von Natur aus liegt, wenn sie von den Zwängen der traditionellen Gesellschaften befreit sind. Jedenfalls haben die zunehmenden Unterschiede dazu geführt, dass sich die Wokeness-Kluft zwischen Männern und Frauen geöffnet hat. Frauen wurden eher in Richtung der identitätspolitischen Linken gedrängt und weg vom Konservatismus.
Ein Unterschied hat sich in dieser Hinsicht als besonders wichtig erwiesen: Frauen betrachten sich im Durchschnitt noch immer als einfühlsamer als Männer. Die Woke-Ideologie eignet sich besonders gut, um dies auszunutzen, da sie die Sorge um benachteiligte Gruppen in den Fokus stellt. Frauen sind auch – wiederum im Durchschnitt – egalitärer eingestellt als Männer, was wiederum die Anziehungskraft von leistungsorientierten konservativen Haltungen reduziert und identitätspolitische Anliegen attraktiver erscheinen lässt.
Schliesslich hat der Politologe Jan Zilinsky darauf hingewiesen, dass die Geschlechterpolarisierung eher von diffusen kulturellen Missständen angetrieben wird. Er hat gezeigt, dass sich junge Frauen und Männer nicht so sehr unterscheiden, wenn es um konkrete politische Inhalte geht. Viel grösser ist der Unterschied, wenn es darum geht, sich selbst als links oder als konservativ zu bezeichnen. Dies deutet darauf hin, dass mit diesen Labels vielmehr die Kluft der kulturellen Progressivität markiert werden soll, die wiederum ein Ergebnis der anhaltenden geschlechtsspezifischen Divergenz darstellt.
Mit anderen Worten: Was die politische Polarisierung zwischen den Geschlechtern in der Generation Z vorantreibt, ist eigentlich gar nicht politisch.
Die Publizistin und Politologin Ayaan Hirsi Ali stammt aus Somalia und lebt heute in den USA. Der vorliegende Beitrag wurde zuerst auf der von der Autorin bespielten Plattform «Restoration» publiziert. – Aus dem Englischen von rbl.