Samstag, Dezember 21

Elena Velez habe alles längst überwunden: Feminismus, Rassismus, Body Positivity. Sie wähnt sich als Galionsfigur einer «post-woken» Zeit. Tatsächlich dreht sie sich einfach im Kreis.

Feminismus, Rassismus, Body Positivity? Hat die amerikanische Designerin Elena Velez nach eigenen Angaben alles längst überwunden. Ihr Stichwort lautet «post-woke». Die «Washington Post» erklärte sie darum kürzlich zur «problematischen Favoritin der Modewelt». Dafür wiederum hat Velez kein Verständnis: Nicht daneben sei sie, sondern meilenweit voraus.

Velez wäre eine durchschnittliche Frau aus Milwaukee, Wisconsin, hätte sie nicht das Talent, Mode zu machen, die Preise gewinnt. Ihr Beispiel zeigt, wie weit die gesellschaftlichen Schichten in den USA voneinander entfernt sind.

Tiefe Gräben

Velez ist 29 Jahre alt, Kind einer alleinerziehenden Mutter aus dem amerikanischen Midwest und eines puerto-ricanischen Vaters, von dem sie ausser dem Nachnamen nicht viel mitbekam. Um der Tochter die Ausbildung zu bezahlen, hat Velez’ Mutter, Schiffskapitänin auf den Great Lakes, ihr Haus verkauft. Um dem Label ihres einzigen Kindes eine bitternötige Finanzspritze zu geben, hat sie ihren Rentenfonds aufgelöst. Sie, die meistens Gummistiefel und Overalls trägt, war vom Talent der Tochter überzeugt.

Mit 10 Jahren bekam Velez ihre erste Nähmaschine, mit 24 ihr erstes Kind. Zumindest Letzteres sei in ihrer Heimat Milwaukee nichts Besonderes. Dort hätten die ehemaligen Klassenkameraden längst geheiratet und ein Haus gebaut. In New York und vor allem in der Modeindustrie dagegen habe sie sich wie eine Teenager-Mutter gefühlt. Die Diskrepanz zwischen den breiten Massen und der Elite ist Velez’ grosses Thema. Ihr Beispiel zeigt, was passieren kann, wenn niemand mehr versucht, diese Gräben zu überbrücken.

Velez hat zahlreiche Preise gewonnen – was ihr, wie sie gerne betont, viel Anerkennung und wenig Geld einbrachte. Sie wurde vom Council of Fashion Designers of America, quasi der Oscar Academy der Modebranche, als «Aufstrebende Designerin des Jahres 2023» ausgezeichnet. Stars wie Beyoncé, Rosalia und Ariana Grande tragen ihre Designs. Auch Kanye West habe neulich eine grosse Bestellung bei ihr aufgegeben, sagte Velez gegenüber der amerikanischen «Vogue». Läuft bei ihr, könnte man meinen. Doch statt in der Modebranche anzukommen und sich in deren Mitte einzurichten, bricht Velez gerade mit allen ungeschriebenen Gesetzen.

Als Designer spreche man nicht über Probleme, sondern über Inspirationen, heisst es in der Branche. Denn wer es so weit schafft, dass Magazine wie die «Vogue» mit einem sprechen, hat dankbar zu sein. Eine Geschichte, die Velez der «New York Times» erzählte, hat einen etwas anderen Sound. Sie war für einen mit 150 000 Dollar dotierten Preis nominiert, gewann dann aber bloss in einer Nebenkategorie. Nein, dankbar sei sie nicht, es habe sich wie verlieren angefühlt, erklärt sie nach der Show.

Bewusst auf Diversity setzt Velez nicht, die Zusammensetzung der Models ergebe sich von allein. Bei ihr sei meistens ausschlaggebend, wer sich in Form von Kleidern, statt eines Lohns, bezahlen lasse. Plus-Size-Models, wie sie sogar Heidi Klum feiert, sucht man bei Velez vergeblich. Zusätzlich auch noch grosse Kleider zu machen, könne sich ein kleines Label schlicht nicht leisten, schrieb Velez auf Social Media. Das zu verlangen, sei nicht inklusiv, sondern ignorant. Denn junge Designer mit kleinem Budget würden ausgeschlossen, wenn auch grosse Grössen bei Modeshows erforderlich seien.

Wer mehr Diversität wolle, müsse dafür sorgen, dass genug Geld vorhanden sei und so wenige offizielle und inoffizielle Anforderungen wie möglich. «Wir leben in einer Zeit, in der alles möglich und nichts erlaubt ist», sagt Velez. Das müsse sich ändern, nur dann werde Mode demokratischer und dadurch automatisch auch diverser.

Weiter geht es mit dem Feminismus. Der sei wichtig gewesen, sagt Velez. Aber nun sei er «toxisch». In einem kontrovers diskutierten Podcast erklärte sie, die «Gynokratie» der Modebranche sattzuhaben, die Regentschaft der Frauen also, die sich gegenseitig kritisieren, statt einander zu helfen. Man verliere sich in akademischen Diskussionen, statt praktische Themen wie etwa die Mutterschaft anzugehen. Sie selber wisse manchmal kaum, wohin mit ihren Kindern (Atlas, 4, und Freja, 1). Oft nehme sie sie darum einfach mit zur Arbeit. Dafür werde sie allerdings ähnlich angefeindet wie für die Tatsache, keine Plus-Size-Models zu engagieren. Velez wittert Heuchelei.

Die Zurückgewiesene

Als die Welt den Super Bowl schaute, griff sie darum zu drastischen Massnahmen. In einer Villa an der New Yorker Upper East Side richtete Velez einen «Salon» aus, bei dem nichts verboten war. Drinnen wurde geraucht und über Scarlett O’Hara referiert. Ausschlaggebend dafür dürfte primär gewesen sein, dass «Vom Winde verweht» in den USA seit 2020 wegen Rassismus eine Triggerwarnung hat. Ein kleiner Tabubruch als Befreiungsschlag. Als Referentin lud Velez unter anderem Anna Khachiyan ein, eine der beiden Moderatorinnen des Podcasts «Red Scare». Dort war kürzlich Alex Jones zu Gast. Dafür verurteilt, das Schulmassaker von Sandy Hook, bei dem zwanzig Kinder und sieben Erwachsene starben, als Inszenierung bezeichnet zu haben.

Ob das tatsächlich so avantgardistisch und «post-woke» ist, wie Velez meint? Zeiten, in denen Rassismus kein Problem und Feminismus kein Thema waren, kommen einem so neu nicht vor.

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