Sie wurde zum ersten massentauglichen Kommunikationsmittel und war auch das erste Medium, mit dem sich Bilder schnell versenden liessen. Die Postkarte ist die Urform der Social Media.
Historische Postkarten aus allen Jahrzehnten lassen sich heute in Antiquariaten zu Hunderten in unsortierten Kisten finden. Doch nicht die Philokartie ist es, die das Interesse weckt, nicht einmal die alten Ansichten, sondern die Lust am Auffinden alter Geschichten. Ein wenig voyeuristisch mag das sein. Da stösst man auf eine Postkarte, die ein französischer Reisender im Frühjahr 1934 nach Hause wohl an seine wartende Liebste verschickte. Die Karte ist aus Venedig, als er sie aber absandte, war er schon weitergereist. Die Briefmarke ziert das Profil Paul von Hindenburgs, des zweiten deutschen Reichspräsidenten. Was war der Grund der Reise, zu jener Zeit?
Mit der Postkarte wird eine Geschichte hinterlassen, die sich zwar nie klären lässt, die aber dennoch zum Zeitdokument wird. Einer Flaschenpost gleich treiben die handschriftlichen Nachrichten durch Zeit und Raum, um vielleicht irgendwann einmal in einer Box vergangener Grüsse zu landen; durchwühlt von den Händen der Touristen der Zukunft, die die neuen Adressaten längst vergessener Zeilen werden.
Ein Stück Karton aus der Ferne
Dank der Erfindung der Briefmarke durch den Engländer Rowland Hill um 1840 konnte sich so etwas wie ein egalitäres System des Kontakts etablieren. Man war nicht mehr auf die teuren Postkutschen angewiesen. Erstmals in der Geschichte konnten auch die wenig Betuchten Nachrichten auf weite Entfernungen austauschen. Die Postkarte wurde zum ersten massentauglichen Kommunikationsmittel.
Die Ansichtskarte war auch das erste Medium, mit dem sich Bilder schnell versenden liessen. Die Popularität ergab sich gerade daraus, dass nicht die ausführliche Korrespondenz eines Briefes verlangt war, sondern auf das Wesentliche reduzierte Sätze, mit denen sich die Erlebnisse einer Reise teilen liessen. Die Abbildungen belegten bei den Daheimgebliebenen, von welchen einzigartigen Orten aus man ihnen schrieb. Man hielt ein Stück Ferne in den eigenen Händen.
Der kleine bebilderte Karton war je nach Absendeort wochenlang unterwegs, bis er endlich im heimischen Briefkasten landete. Das verleiht ihm eine gewisse Aura, die die aufwandlosen und in Realzeit übermittelten Nachrichten von heute vermissen lassen.
Zeit ohne Andenken
Die Postkarte ist gewissermassen die Urform der Social Media. Heute werden immer noch Postkarten geschrieben, aber sie haben ihren Reiz verloren angesichts der digitalen, viel individuelleren und viel schnelleren Direktnachrichten. Eine Statusmeldung, und jeder weiss darüber Bescheid, dass man eben noch auf der Rialtobrücke stand oder den Strand von Ipanema entlangschlenderte.
Mit Whatsapp und Co. haben wir uns ein Medium geschaffen, für das weder Zeit noch Raum länger existieren. Da unsere digital versendeten Mitteilungen keine Entfernungen mehr überwinden, machen wir uns über die in Sekundenschnelle überbrückten Distanzen kaum mehr Gedanken. Im digitalen Überraum rücken wir näher aneinander als je zuvor. Dies um den Preis des realen Erhalts einer Nachricht.
Das Unmittelbare elektronischer Übermittlungen hält einen vom Er–fassen ab, die nichtphysischen Nachrichten verpuffen im Äther der Virtualität und gehen im Wust der Datenmassen verloren. Im Zeitalter sich selbst löschender Nachrichten gibt es bald keine Andenken mehr. Wenn es nichts mehr zu halten gibt, was tragen wir aber dann mit in die Zukunft?
Früher gab es noch die Schuhkartons voller Erinnerungen: eingerissene Kinotickets und Konzertkarten, die Fahrkarten danach, Fotografien auf Papier, die vergilben konnten, handgeschriebene Liebesbriefe und eben – Postkarten. Man kann die nachfolgenden Generationen wirklich bemitleiden, die später im Alter durch ihre Vergangenheit scrollen müssen.