Sonntag, Oktober 20

Die Präsidentin von Sotheby’s Schweiz über Rekordpreise von Dinosaurierskeletten, die Banksy-Schredder-Aktion und darüber, warum das Handeln für sie schon als Mädchen eine Passion war.

Frau Lang, was macht eine gute Auktionatorin aus?

Eine schnelle Auffassungsgabe, um sich jeden Moment den Bietern im Saal, am Telefon oder online anpassen zu können, gepaart mit Ausstrahlung, Charme, Schlagfertigkeit und profunden Kenntnissen der Werke. Auktionatoren sind wie Dirigenten, sie bestimmen den Takt und den Verlauf einer Auktion vom Beginn bis zur Magie eines Rekordpreises. Genau wie der Dirigent nichts ohne sein Orchester ist, hängt der Erfolg eines Auktionators vom Team ab. Wenn beide Teile harmonieren, dann lassen sich die grössten Erfolge erzielen.

Wie sind Sie in der Auktionswelt gelandet?

Als Mädchen wollte ich Künstlerin werden, realisierte aber bald, dass das nicht mein Weg ist. Mich interessierte vielmehr das Handeln mit Kunst. Ich setzte mir in den Kopf, in einem Auktionshaus zu arbeiten, und erhielt dank viel Beharrlichkeit und ständigem Anrufen ein Praktikum bei Sotheby’s in London.

Was war Ihr erster Job?

Ich war noch keine 20 und brachte für Kunstexperten die Bücher in die Bibliothek zurück. Schon nach kurzer Zeit übernahm ich die Stelle der Archivarin, die krankheitshalber ausfiel. Einen Monat später fiel auch der Katalogschreiber aus – und ich konnte dann seinen Posten ebenfalls übernehmen.

Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort . . .

Ja, das ist in der Kunstwelt sehr oft der Fall.

«Ich habe als Sechsjährige Lebensmittel aus der Küche und meine Spielsachen auf ein Wägelchen geladen und habe bei meinen Nachbarn an der Türe geklingelt und ihnen alles verkauft.»Caroline Lang, Präsidentin Sotheby’s Schweiz

1990, mit 25, wurden Sie Auktionatorin und Spezialistin für Impressionismus und moderne Kunst. Wie war Ihr Arbeitsumfeld?

Als eine der ersten Auktionatorinnen weltweit habe ich mich oft allein gefühlt. Aber ich wollte unbedingt Auktionen leiten. Natürlich musste auch ich gefühlt fünfmal so hart arbeiten wie ein Mann, um überhaupt beachtet zu werden. Heute bin ich stolz darauf, für die nachfolgende Generation ein Vorbild sein zu können: Alles ist möglich, wenn man sich keine Grenzen setzt. Für mich persönlich war es immer richtig, Menschen nach ihren Fähigkeiten und nicht nach ihrem Geschlecht oder ihrer Nationalität zu beurteilen.

Ihr wichtigster Förderer in jungen Jahren?

Mein Vater war mein grösster Cheerleader. Er sagte mir: «Wenn du tust, was dir Spass macht, wirst du gut darin sein. Vergleich dich nicht mit anderen, geh deinen eigenen Weg, dann wirst du glücklich.» Das habe ich befolgt. Mein Vater ist leider zwei Wochen vor meiner ersten Auktion verstorben.

Was waren Sie für ein Kind?

Ich dachte immer, ich sei ein schüchternes Kind gewesen, aber meine Mutter erinnert sich, dass ich mich schon immer gut durchsetzen konnte und eine gewisse Resilienz besass. Ich habe als Sechsjährige Lebensmittel aus der Küche und meine Spielsachen auf ein Wägelchen geladen und habe bei meinen Nachbarn an der Türe geklingelt und ihnen alles verkauft.

Das Handeln liegt also in Ihrer Natur?

Ja, ich liebe es, zu handeln. Kaufen und Verkaufen sind für mich Adrenalin.

Sie sind Schweiz-Chefin des Auktionshauses Sotheby’s, aber auch weiterhin als Auktiona­torin und als «Dealbroker» tätig – was bedeutet Letztgenanntes?

So viel wie Kunstvermittlerin. Ich berate Kunden beim Kauf und Verkauf von Kunst auf verschiedenen Sotheby’s-Plattformen, etwa bei Auktionen, Privatverkäufen oder beim Vermitteln von Kunstwerken. Ich koordiniere alles, damit ein Verkauf ideal abläuft, etwa eine Besichtigung im Freilager für interessierte Kunden.

Die spektakulärsten Objekte, die Sie je verkauft haben?

Die teuersten Objekte waren Bilder aus meinem Spezialgebiet Impressionismus, Moderne und zeitgenössische Kunst. Das kleinste Objekt war der rosa Diamant «Spirit of the Rose» mit 14,83 Karat im November 2020 für 24,4 Millionen Franken, das grösste war vor ein paar Jahren der Privatverkauf eines Dinosauriers.

Dinos scheinen im Trend zu sein: Im Juli erzielte das Stegosaurus-Skelett «Apex» in New York einen Preis von 44,6 Millionen Dollar. Wie erklären Sie sich diese Toppreise für alte Knochen?

Jede Periode in der Geschichte ist mit einer gewissen Identifikation verbunden, und viele Leute kaufen sich Dinge, die einen Bezug zu ihrer Vergangenheit haben oder mit ihrer Identi­fikation zu tun haben. Das kann ein Basquiat sein. Oder für Leute, die mit dem Film «Jurassic Park» aufgewachsen sind, ein Dinosaurier, der vor 150 Millionen Jahren gelebt hat.

Sie sind seit Ende der 1980er Jahre bei Sotheby’s tätig. Was haben Sie in all den Jahren gelernt?

Zu warten. Und dass jeder Sammler anders ist und seine eigenen Kriterien und seine eigene Leidenschaft hat. Ich habe auch gelernt, wie man mit Menschen umgeht, Kunstwerke betrachtet und schliesslich loslässt. Denn die Auktionswelt erneuert sich laufend. Im Gegensatz zu einer Galerie oder einem Museum, wo sich alles langsamer bewegt, ist hier alles ständig im Fluss.

Was war der unvergesslichste Moment in Ihrer Karriere?

Die Banksy-Schredder-Aktion im Oktober 2018. Ich war live im Saal dabei. Als das Geräusch des Schredders losging, dachten einige zuerst an einen Bombenanschlag. Das Bild hätte ja eigentlich ganz durch den Schredder gehen sollen, blieb dann aber stecken. Es war eine einzigartige Kunstperformance. Eindrücklich war auch, dass nach der Auktion Besucher um das ganze Gebäude herum Schlange standen, um das Werk noch einmal im geschredderten Zustand zu besichtigen. 2021 wurde es dann für 25,4 Millionen Dollar erneut verkauft.

Haben Sie Rituale beim Schlagen einer Auktion?

Ja, die hat jede Auktionatorin und jeder Auktionator. Aber wir wollen ja nicht alles verraten. Drei Dinge gilt es aber sicher zu beachten: Atmung, Haltung und Handbewegungen sowie im gegenwärtigen Moment präsent zu sein. Alles, was darum herum geschieht, zählt nicht. Man spürt sofort, wie die Interaktion mit dem Publikum funktioniert – einer Schauspielerin auf der Bühne gleich. Wenn es funktioniert, ist es phantastisch.

«Seit kurzem erzielen auch Künstlerinnen hohe Preise.»Caroline Lang, Präsidentin Sotheby’s Schweiz

Wie hat sich der Markt in den letzten Jahren verändert?

Seit der Pandemie haben wir bei Online-Verkäufen stark zugelegt und konnten so eine ganz neue und auch jüngere Käuferschicht erreichen. Die Zahl der Bieterinnen und Bieter zwischen 20 und 30 Jahren hat sich seit 2018 vervierfacht. Das höchste Online-Gebot wurde im Juni 2020 für das Triptychon «Triptych Inspired by the Oresteia of Aeschylus» von Francis Bacon abgegeben, das anschliessend für 84,6 Millionen Dollar im Rahmen einer Live-Auktion verkauft wurde. Das zeigt, dass es für Käuferinnen und Käufer keinen Unterschied mehr macht, auf welche Art sie mitbieten – online, am Telefon oder im Saal.

Kunstwerke, die Rekordpreise erzielen, stammen immer nur von Männern – gibt es auch Frauen, die Toppreise erzielen?

Seit kurzem erzielen auch Künstlerinnen hohe Preise. «Les distractions de Dagobert» von Leonora Carrington konnten wir dieses Jahr für einen Rekordpreis von 28,5 Millionen Dollar verkaufen – der letzte Rekordpreis für diese Künstlerin lag 2022 noch bei 3,3 Millionen Dollar.

Sotheby’s betreibt seit kurzem auch eigene Ladenflächen, etwa den «Sotheby’s Salon» bei Bucherer an der Bahnhofstrasse Zürich. Was bezwecken Sie damit?

Unsere «Salons» in Zürich, Paris, Hongkong, London und New York ziehen vor allem neue junge Kunden an. Diese neuen Märkte und Verkaufskonzepte ergänzen die traditionellen Live-Auktionen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Luxusartikeln.

Was umfasst die Luxussparte bei Sotheby’s?

Praktisch alles ausser die «schönen Künste»: Neben Uhren, Schmuck, Weinen und Autos – wir haben vor zwei Jahren einen Sportwagen Mercedes-Benz 300 SLR für 135 Millionen Euro verkauft – auch Bücher und Dinosaurier, Sportmemorabilia, Sneakers und NFT.

Was sind die nächsten Highlights?

Nach der Eröffnung unserer neuen Maison in Hongkong folgt dieser Tage die Eröffnung des neuen Pariser Hauptsitzes an der Rue du Faubourg Saint-Honoré 83, wo sich einst die berühmte Galerie Bernheim-Jeune befand. 2025 verlegen wir dann den New Yorker Hauptsitz ins ikonische Breuer Building an der Madison Avenue.

Der Unterschied zwischen Sammeln und Horten?

Sammeln wie auch Horten sind triebgesteuert und mit Emotionen verbunden. Aber beim Sammeln steht die gezielte Jagd nach einem bestimmten Objekt im Vordergrund. Erfolgreiches Sammeln bedingt Struktur und fundierte Recherche und benötigt Zeit und Geduld.

Ein abschliessendes Bonmot?

Kunst zu sammeln, ist eine der schönsten Krankheiten. Aber die Kunstwerke sind eigentlich nur Leihgaben auf Lebenszeit. Wir sind Bewahrer unserer Sammlungen, aber irgendwann werden sie wieder aufgelöst und gehen an neue Sammlerinnen und Sammler. Die Kunst überlebt den Menschen.

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