Dienstag, November 26

Ein halbes Jahr vor der Wahl bringen sich die Kandidaten in Position. Für die Liberalen von Donald Tusk könnte es mühsamer werden als erwartet. Denn den Rechtskonservativen ist mit der Nominierung eines Unabhängigen ein Coup gelungen.

Im Lager des polnischen Regierungschefs Donald Tusk galt es als ausgemacht, dass ab Sommer 2025 alles besser wird. Dann läuft die Amtszeit des gegenüber der konservativen Vorgängerregierung loyalen Staatspräsidenten Andrzej Duda aus – und somit könnte endlich Schluss sein mit den Vetos gegen all die liberalen Reformprojekte von Tusks Koalition. Doch am Sonntag hat diese Hoffnung einen Dämpfer erlitten. Denn Jaroslaw Kaczynski, dem Chef der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), ist ein innenpolitischer Coup gelungen: Er nominierte einen Unabhängigen zum Präsidentschaftskandidaten der konservativen Partei.

Kaczynski hatte in wochenlangen Manövern die Ambitionen dreier verdienter ehemaliger Regierungspolitiker innerhalb seiner PiS abgewürgt, um am Sonntag Karol Nawrocki aus dem Hut zu zaubern. Er hofft, dass der erst 41-jährige, den meisten Polen unbekannte Historiker den Kandidaten der Regierungskoalition, Rafal Trzaskowski, bei den in einem halben Jahr anstehenden Präsidentenwahlen schlagen kann. Somit könnte die PiS weiterhin Tusks Politik torpedieren.

Lässt sich Erfolg wiederholen?

Dass der formell parteilose Nawrocki das Potenzial für einen Wahlsieg hat, gestand der Regierungschef Tusk am Sonntagabend mit überraschender Offenheit ein: «Jeder Rivale ist eine grosse Herausforderung; wer die Konkurrenten nicht ernst nimmt, verliert die Wahlen; bei solchen Rennen gibt es keine gesetzten Sieger», sagte Tusk auf der Plattform X. Premierminister Tusk dachte dabei wohl nicht nur an seine Bürgerplattform (PO), sondern auch an sich selbst: 2005 war der Liberale siegesgewiss gegen Jaroslaw Kaczynskis konservativen, 2010 bei einem Flugzeugabsturz getöteten Zwillingsbruder Lech bei den Präsidentenwahlen angetreten und hatte auf der Zielgeraden verloren. 2020 unterlag Tusks Parteifreund Trzaskowski nur ganz knapp Duda.

Mit der Nominierung von Nawrocki versucht Kaczynski den grossen PiS-Erfolg von vor einem Jahrzehnt zu wiederholen. Damals hatte er den wenig bekannten jungen Parteisoldaten Andrzej Duda zum Kandidaten erhoben. Dudas Sieg gegen den Amtsinhaber Bronislaw Komorowski läutete den Aufstieg der PiS ein, sie gewann auch die darauffolgenden Parlamentswahlen. Nawrocki ist ein Jahr jünger, als Duda damals war, und stammt aus Danzig. Der langjährige Chef des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN), einer Art polnische Gauck-Behörde, tat sich in seiner Jugend als Boxer und Fussballer hervor und flirtete mit Polens rechtsextremer Hooligan-Bewegung. Er schloss ein Geschichtsstudium ab und wurde im Anschluss vom IPN angestellt. Nach der Machtübernahme der PiS 2015 wurde Nawrocki Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig und baute die international angesehene Forschungsstelle zu einer Institution der rechtsnationalen Geschichtspolitik um.

«Ich bin bereit, polnischer Staatspräsident zu werden, denn ich bin einer von euch und verstehe, dass Polen wieder gross sein muss», sagte Nawrocki am Sonntag nach seiner Nominierung in Krakau. «Wir müssen unsere Werte verteidigen und dürfen es nicht zulassen, dass uns unsere Symbole und unsere Souveränität genommen werden», fuhr er fort. Mit solchen Aussagen spricht er nicht nur die Wählerschaft der PiS, sondern auch jene der rechtsextremen «Konföderation» an. Auf deren Stimmen ist die PiS angewiesen, um Nawrocki ins Präsidentenamt zu bringen.

Der dreifache Familienvater soll aber nicht nur rechts der PiS überzeugen. Als unabhängiger Kandidat kann er potenziell auch jene Polen überzeugen, die den seit zwanzig Jahren andauernden Streit zwischen PiS und PO satthaben. «Soziologische Umfragen der PiS haben ergeben, dass die Polen einen unabhängigen Kandidaten wollen, der kein Parteimitglied ist», sagte der frühere PiS-Bildungsminister Przemyslaw Czarnek am Montag. Czarnek war selbst als möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt worden.

Uneinigkeit bei der Regierungskoalition

Von einem ganz anderen Schlag als Nawrocki ist sein Konkurrent, der bestens bekannte Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski. Er ist seit Jahren einer der beliebtesten PO-Politiker. Der 52-jährige Politologe hat der Partei und einer bekannten Warschauer Privatuniversität lange als EU-Experte gedient, bevor er 2014 Europaminister wurde. 2018 wurde er schon in der ersten Runde zum Bürgermeister Warschaus gewählt. Seine Unterschrift unter die LGBT-Charta machte den linksliberalen Trzaskowski 2019 zum bevorzugten Feindbild der Konservativen. Auch die polnische Bischofskonferenz brachte er gegen sich auf. Inzwischen liess er alle Kruzifixe von den Warschauer Amtsstuben und Schulen entfernen.

Trzaskowski, der als engagiert und zugänglich gilt, hatte sich am Freitag in einer internen Wahl unter den rund 25 000 PO-Mitgliedern gegen Radoslaw Sikorski durchgesetzt. Sikorski, der als Aussenminister amtet und im In- und Ausland bekannt ist, galt als Favorit und war von manchen bereits als Duda-Nachfolger gehandelt worden. Er kam aber nur auf 26 Prozent der Stimmen.

Tusks liberal-grüner Koalitionspartner Dritter Weg unterstützt Trzaskowski allerdings nicht. Sie haben den Parlamentspräsidenten Szymon Holownia als Kandidaten aufgestellt. Auch die rechtsextreme Konföderation geht mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen. Das genaue Datum für die Präsidentenwahl steht noch nicht fest; sie dürfte aber im Frühjahr stattfinden. Der Wahlkampf wird wohl spannender als erwartet.

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