Montag, Oktober 7

Der senegalesische Politologe Bakary Sambe stellt die Entwicklung seit den Staatsstreichen in mehreren westafrikanischen Staaten in den Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine – und warnt schon vor der nächsten Gefahr.

In Mali putschten sich Militärs 2020 an die Macht und setzten einen demokratisch gewählten Präsidenten ab. Burkina Faso erlebte 2022 zwei Staatsstreiche durch Angehörige der Armee, dabei ersetzte der zweite Putschführer den ersten. Und in Niger wurde der demokratisch gewählte Präsident im Sommer 2023 von meuternden Soldaten der Präsidialgarde gestürzt.

Vor wenigen Wochen gründeten die drei westafrikanischen Militärregimes die Allianz der Sahelstaaten. Damit stellen sie sich gegen das wichtige regionale Bündnis Ecowas. Auf in Aussicht gestellte Wahlen wartet die Bevölkerung in den Putsch-Staaten bis jetzt vergeblich; den internationalen Aufschrei nach den Staatsstreichen sassen die Militärs einfach aus. Mehr noch: Sie poltern weiterhin gegen die frühere Kolonialmacht Frankreich sowie den übergrossen Einfluss des Westens – und intensivieren Beziehungen zu Staaten wie Russland, China oder Iran.

Herr Sambe, überrascht es Sie, dass die Militärs, die sich vor einem Jahr in Niger an die Macht putschten, heute so fest im Sattel sitzen?

Alle in der Region wussten, dass es auch in Niger einen Putsch geben würde. Die Frage war nicht ob, sondern wann. Man muss den Coup in den regionalen Kontext stellen. Hinter den Putschen in Mali, Burkina Faso und Niger steckt die in der Sahelregion verbreitete Ansicht, dass die Demokratisierung nach westlichem Vorbild, die in den neunziger Jahren unter westlichem Druck eingesetzt hat, nicht die gewünschten Resultate gebracht hat. Die Bevölkerung profitiert 30 Jahre später wenig von grösseren gesellschaftlichen Freiheiten oder positiven Folgen einer freien Marktwirtschaft, viele leben auch nicht in Sicherheit oder Frieden. Deshalb wurde die westliche Idee von Demokratie immer stärker abgelehnt. Die Sahelländer entfremdeten sich zunehmend von Frankreich und dem Westen insgesamt.

Die Putschisten nannten die Unsicherheit als einen Grund für ihre Machtübernahme. Wirklich besser geworden ist die Sicherheitslage seither aber nicht. Wird die Bevölkerung nicht ungeduldig?

Doch, in Mali findet darüber eine grosse Diskussion statt, auch weil angekündigte Wahlen nie stattfinden. In Niger ist es den Militärs bisher gelungen, die öffentliche Debatte mit populistischen Argumenten und mit viel Desinformation abzulenken. Sie haben sich auf die Frage der Unabhängigkeit von Frankreich und den USA eingeschossen.

Dafür loben sie neue Verbündete wie Russland oder Iran. Glaubt die Bevölkerung das?

In den Sahelländern ist es sehr einfach, gegen Frankreich Stimmung zu machen. Warum? Weil Frankreich mit einer Ursünde, dem Kolonialismus, schlechtgeredet werden kann. Das geht mit Russland oder Iran nicht, für die eine Art historische Unschuld gilt. Zudem knüpfen Frankreich und die USA ihre Militärhilfe an Bedingungen, etwa an die Einhaltung von Menschenrechten, was vielerorts als neokolonialistisch empfunden wird. Auch die Frage, warum die Ukraine vom Westen so grosszügig unterstützt wird, nicht aber die Sahelländer, hört man da und dort. Grundsätzlich ist es aber nicht so, dass die Menschen im Sahel plötzlich eine Liebe zu Russland entwickelt hätten, sie haben sich vielmehr von Frankreich entliebt.

Trotzdem: Warum verliert die Bevölkerung angesichts der ausbleibenden Verbesserung nicht die Geduld?

Weil sich mit Populismus eigene Misserfolge gut überdecken lassen. Klar leidet die Bevölkerung unter steigenden Lebenshaltungskosten bei anhaltend schlechter Sicherheitslage. Aber indem sie ständig neue externe Fronten auftun, übersteuern die Militärs interne Probleme. Früher oder später wird das natürlich nicht mehr funktionieren.

«Russland interessiert sich kaum aus strategischen Gründen für Westafrika. Es mischt sich in Afrika ein, um Europa und den USA ihr Engagement in der Ukraine heimzuzahlen.»

Was meinen Sie mit externen Fronten?

Zum Beispiel die Hinwendung zu Russland. Dabei merken die Putschisten nicht, dass sie zum Spielball einer internationalen Auseinandersetzung geworden sind. Denn Russland interessiert sich kaum aus strategischen Gründen für Westafrika. Es mischt sich in Afrika ein, um Europa und den USA ihr Engagement in der Ukraine heimzuzahlen. Es wird immer deutlicher, dass Russland die Konfrontation mit der Nato nicht nur in der Ukraine, sondern eben auch im Sahel sucht.

Mit welchen Folgen?

Der Westen wird die Sahelländer wegen deren strategischer Bedeutung und im Fall von Niger wegen seiner riesigen Uranvorkommen niemals Ländern wie Russland und Iran überlassen. Solange es keine Entspannung im Krieg zwischen Russland und der Ukraine gibt, so lange werden wir auch keine Entspannung im Sahel sehen, die Region wird ein Feld für Auseinandersetzungen bleiben.

«Mir graust es davor, dass religiöse Kräfte plötzlich als glaubwürdige Alternative wahrgenommen werden könnten.»

Auch jihadistische Extremisten terrorisieren die Bevölkerung im Sahel. Sie haben doch nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun?

Nein, aber sie profitieren gerade von der Situation. Mir graust es davor, dass sich die Leute plötzlich religiösen Kräften zuwenden könnten, weil sie diese als glaubwürdige, vom Westen oder Russland unabhängige Alternative wahrnehmen. Irgendwann werden sie sagen: «Seht, die demokratischen Parteien, für die wir noch vor wenigen Jahren gekämpft haben, haben versagt, nun versagen die Militärs, warum versuchen wir es nicht mit dem politischen Islam?»

Lauter schlechte Alternativen. Wenn Sie Lösungsvorschläge liefern müssten, wo würden Sie ansetzen?

Die Sahéliens brauchen Kredite, Entwicklung und Sicherheit. Was sie sicher nicht brauchen, ist eine Auseinandersetzung fremder Mächte auf ihrem Boden. Von einer Lösung sind wir heute leider sehr, sehr weit entfernt. Ich denke, wir brauchen eine afrikanische Lösung, denn all unsere Partner ausserhalb Afrikas verfolgen ihre eigenen Interessen. Wir müssen uns auf eigene Werte und Mechanismen zur Konfliktbeilegung besinnen und innerhalb der Region Westafrika einen Konsens über eine gute demokratische Regierungsführung erreichen.

Ist das nicht leichter gesagt als realisiert?

Es besteht heute ein grosser Graben zwischen der lokalen und der internationalen Wahrnehmung eines Konfliktes. Viele gut ausgebildete junge Afrikaner, die dank den sozialen Netzwerken bestens informiert sind, zweifeln nicht an den demokratischen Ideen des Westens. Aber sie zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Westens, der Autokraten stützt, wenn sie ihm nützen, der die Globalisierung und offene Grenzen predigt, aber junge Afrikaner nicht einreisen lässt. Solange solche Probleme nicht gelöst werden, wird das Missverständnis zwischen Europa und Afrika nur noch grösser werden.

Bakary Sambe promovierte an der Universität Lyon in Politischen Wissenschaften. Der Senegalese gilt als Experte für Prävention und Reaktion auf gewaltsamen Extremismus im Sahel. Er ist Gründer und Direktor des Timbuktu Institute – African Center for Peace Studies in Dakar. Der Politologe ist Autor des Buches «Boko Haram: Von einem nigerianischen Problem zur regionalen Gefahr».

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