Wir gratulieren
Die wohl berühmteste Glace der Schweiz feiert Geburtstag. Ihr Geschmack bringt unseren Autor wieder in seine Kindheit zurück. Ist heute noch immer der weisse Teil besser?
Wenigstens konnten wir uns darauf einigen, dass der Kopf der Rakete aus dieser Fertigschokolade niemandem von uns schmeckte. Doch ob nun der weisse oder der orange Teil der Wasserglace besser war, darüber stritten wir uns als Zwölfjährige am Beckenrand unserer Provinzbadi, während Mückenschwärme über uns tanzten, mindestens so heftig wie über die anderen ganz grossen Fragen der Kindheit: Superman oder Batman? GC oder FCZ? Nutella-Brot mit oder ohne Butter?
Ich war mir im jugendlichen Übermut sicher, man könne die Menschen in Ananas- und Orangenaromaliebhaber unterteilen, und hatte nur Verachtung für Letztere übrig, denn es war mir zu künstlich und zu bitter, und das will etwas heissen bei jemandem, der sich am liebsten von Erdnussflips und Cola-Fröschen ernährte. Umso gespannter war ich, als ich mir zu Recherchezwecken seit einer gefühlten Ewigkeit wieder einmal eine Rakete kaufte. By the way: Seit wann kosten die mehr als einen Franken?
Mit einem Bissen flattern Erinnerungen hoch
55 Jahre gibt es sie schon, die Rakete, wahrscheinlich die berühmteste Glace der Schweiz, die zur Mondlandung 1969 lanciert worden war und heute 8 Millionen Mal pro Jahr verkauft wird.
Tatsächlich ist der erste Bissen wie bei Prousts Madeleine, all die Erinnerungen flattern hoch wie Schmetterlinge aus der Vergangenheit: Ich sehe das Blumenmuster auf dem Frottee meiner Mutter, der Bademeister trägt eine viel zu knappe Speedo und ist so braungebrannt wie heute niemand mehr; und mein damals bester Freund Marcel frisst für 5 Franken einen Wurm als Mutprobe und kotzt danach in das kleine Becken, in dem man sich die Füsse wäscht.
Und auch jetzt schmeckt mir der erste, weisse Teil besser als der orange, durch den ich mich quäle wie schon als Kind. Und es scheint mir heute, während ich diese Rakete betrachte, die uns alle seit Jahrzehnten durch die Sommermonate begleitet, eine nach Ananas schmeckende Allegorie des Lebens zu sein, an die ich mich gerne halte: Erst kommt das Vergnügen, dann die Arbeit.