Mittwoch, Dezember 4

«Im Land der Wölfe» ist eine Satire, bei der am Ende heilsame Verwirrung entsteht.

Deutschland am Anschlag. Am äussersten Rand Sachsens kämpft eine Partei namens «Die Zukunftsgrünen» gegen den Klimawandel. Das Baumhaus-Resort «Rotkäppchen» geht auf das Konto dieser Aktivisten. Um der Umwelt etwas Gutes zu tun, kann man in der Stadt jetzt elektrische «Zukunftsräder» leihen und damit zu veganen Cafés und Flüchtlingsklubs radeln, wo es Hafermilch gibt. Elsa Koesters neuer Roman «Im Land der Wölfe» ist gerade so weit Satire, dass es nicht zum Lachen ist, sondern ziemlich ernst.

Weil es im Buch um einen Wahlkampf in Ostdeutschland geht, bei dem die rechten «Blauen» den «Linkspinken» (vormals «Linksrote») und eben den «Zukunftsgrünen» gegenüberstehen, ist das Ganze auch so etwas wie ein aktueller Kommentar zur Lage. Ein ziemlich raffinierter allerdings. Hier gibt es keine Schwarz-Weiss-Malerei, die den Feind schon zu Beginn ausgemacht hat und ihn auf dem Rest der Romanstrecke moralisch nur noch vernichten muss. «Im Land der Wölfe» schiebt die politischen Perspektiven so gekonnt ineinander, dass am Ende so etwas wie heilsame Verwirrung entsteht.

Blaues Wunder

Grenzlitz heisst der halb fiktive Ort, in dem Wahlen für das Amt des Oberbürgermeisters anstehen. Die «Blauen», die man leicht mit der AfD verwechseln kann, sind Favoriten. Die zukunftsgrüne Kandidatin Katja Stötzel allerdings hat eine Aufholjagd hingelegt und mit ihrem Engagement für den Kohleausstieg eine junge Berlinerin beeindruckt. Diese Nana aus Neukölln dient sich Frau Stötzel als Coachin an. Sie zieht nach Grenzlitz, «Rand von Sachsen, Rand der Republik, beinah Osteuropa», und erlebt dort tatsächlich so etwas wie ein blaues Wunder.

Denn nichts ist so, wie man sich das gedacht hätte. Die vermeintlichen Nazis verlieren nach ihrem politischen Feierabend ihre Stiernackigkeit und werden zu richtigen Menschen. Die Grünen erweisen sich als Besitzstandswahrer ihrer Milieus und offenbaren ihr Pharisäertum, indem sie die eigenen Kinder statt in die öffentliche Lehranstalt in die «Regenbogenschule» schicken. Die ist kostenpflichtig und privat, und dort gibt es auch keine Migrantenkinder.

Elsa Koester hat die aus Berlin kommende Nana zur Erzählerin gemacht, was sich als idealer Kunstgriff erweist. Die Figur bewegt sich fragend zwischen den Welten. Sie hat die urbane Heimat hinter sich gelassen, kommt aber in der Provinz nicht wirklich an. Nanas Verluste, noch mehr aber ihre Verlustängste sind ironischerweise anschlussfähig an die Sorgen jener Menschen, die die Blauen wählen. Und nicht nur das. Ein solider Recke aus dieser Partei wird fast zum Vertrauten.

Dass Elsa Koester als Journalistin bei der Wochenzeitung «Der Freitag» ihren Blick geschult hat, merkt man ihrem Roman aufs Beste an. Sie hat politische Kundgebungen in Görlitz beruflich beobachtet, und wo das Mittel der Reportage nicht hinreicht, schafft Koesters Kunstort Grenzlitz neue Räume für Fragen.

Aus dem hippen Leipzig

Grenzlitz ist eine für den deutschen Osten nicht untypische Stadt mit Bedeutungsverlust. Durch die Selbstermächtigung der Bürger, wie sie von den Rechten propagiert wird, sollen Kränkungen wiedergutgemacht werden, von denen die urbanen Grünen nichts wissen wollen. Die «Zukunftsgrünen» halten diese Kränkungen für provinziell, auch wenn sie an ihnen selbst haften. Die Kandidatin Stötzel stammt aus der Gegend von Grenzlitz, hat aber dann im hippen Leipzig studiert.

«Du bist nicht zurückgekommen in die Stadt, die du verlassen hast, sondern du bist gekommen, um Leipzig nach Grenzlitz zu bringen», heisst es einmal in diesem klugen Roman, in dem die Konfliktfelder auch eskalieren können. Es gibt tätliche Angriffe auf grüne Kandidaten und ein genuines Wutpotenzial, das Elsa Koester zu ergründen versucht. Ihrer Hauptfigur hat sie dafür eine kräftige und zugleich leise zweifelnde Sprache gegeben.

In Grenzlitz im «Land der Wölfe» ist das Ergebnis bei der Wahl am Ende eindeutig. Sechsunddreissig Prozent für die Blauen. Es ist wie bei allen Wahlen in Deutschland dieser Tage: Was man für eine Antwort der Wähler auf die Lage halten könnte, ist in Wahrheit ein grosses kollektives Fragen. Das macht Elsa Koester auf ziemlich subtile Weise klar.

Elsa Koester: Im Land der Wölfe. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2024. 320 S., Fr. 35.90.

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