Spätestens seit Trumps Wahl ist es nicht mehr populär, Diversität zu propagieren: Viele Firmen haben sich vom Pride-Monat abgemeldet. Vielfalt und Teilhabe sollten selbstverständlich sein, ohne dass dies ständig und überall betont werden muss.
Was wurde in den vergangenen Jahren nicht alles in das bunte Bekenntnis investiert. Jeden Juni war es wieder so weit. Die Unternehmen rollten die Regenbogenfahne über ihre Gebäudefassaden aus und färbten ihre Internet-Accounts damit ein. In ganzseitigen Zeitungsinseraten beteuerten die grossen Konzerne gemeinsam, dass «jede*r» willkommen sei bei ihnen – egal, wer sie seien, egal, wen sie liebten.
Hochschulen hissten die Fahne auf ihren Giebeln. Kosmetikfirmen gestalteten ihre Produkte in Regenbogendesign, Bäckereien steckten kleine farbige Papierflaggen auf Zahnstochern in ihre Brötchen. Fussballstadien wurden in den Farben des Regenbogens beleuchtet, so während der Fussball-Weltmeisterschaft letztes Jahr die Münchner Arena während zweier spielfreier Tage.
Die Medien boten ein Begleitprogramm, indem sie Transmenschen auf dem Weg ins gefühlte Geschlecht porträtierten oder auf die Hürden hinwiesen, die gleichgeschlechtliche Paare mit Kinderwunsch noch immer nehmen müssten.
Sponsoren springen ab
Nun sind die verbalen und nonverbalen Statements zu Diversität und Inklusion in diesen Tagen nicht komplett aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Es ist Pride-Monat, in dem die queere Gemeinschaft weltweit ihre Vielfalt feiert und für mehr Sichtbarkeit demonstriert.
Doch dieses Jahr ist die Begeisterung der Wirtschaft verhalten bis inexistent. Das zeigt sich nicht nur am eingerollten Regenbogen. Zwei grosse langjährige Sponsoren der Zurich Pride, die dieses Wochenende stattfindet, sind abgesprungen. Dies bedeutet 150 000 Franken weniger für das Festival.
Auch die finanzielle Unterstützung von internationalen Firmen wie der UBS und Google steht offenbar auf dem Spiel. So befürchten es die Veranstalter. Auch habe es dieses Jahr auf Sponsorenanfragen viele Absagen gegeben. Dasselbe hört man von den Pride-Festivals von Berlin bis New York.
Die Stimmung hat gedreht, und auch wenn die einstigen Geldgeber es offiziell so nicht sagen: Mit ein Grund dafür ist die Politik von Donald Trump, der den woken Zeitgeist für beendet erklärt hat. Auf Druck von Trump streichen Firmen ihre Diversitätsprogramme. Da passt auch ein Auftritt an der schrillsten, buntesten und lautesten Party der Schweiz nicht mehr dazu.
Es brauchte nur einen Machtwechsel in den USA, um von Anliegen abzurücken, mit denen man sich bisher auszeichnete. In den letzten Jahren hat die Identitätspolitik dermassen den gesellschaftlichen Diskurs bestimmt, dass alle daran teilhaben wollten. Denn es war der Diskurs der Guten im Kampf für soziale Gerechtigkeit. Das hatte zur Folge, dass an Universitäten, in Firmen und in der Politik Identität mehr zählte als Exzellenz: Leistung wurde vielerorts zweitrangig, es reichte, die richtige Herkunft, Hautfarbe und das richtige Geschlecht zu haben.
Trump beendet Pinkwashing
Die Abkehr der Wirtschaft zeugt von Opportunismus. Dieser zeigte sich oft bereits darin, dass internationale Unternehmen genau darauf achteten, in welchen Ländern sie ihre Firmenlogos während des Pride-Monats in Regenbogenfarben abbildeten. Viele verzichteten wohlwissend darauf in Ländern, in denen sich Homosexuelle strafbar machen und gefoltert und getötet werden – das Engagement also umso nötiger wäre.
Im Westen hingegen brauchte es längst keinen Mut mehr, sich via Regenbogen mit der queeren Gemeinschaft zu solidarisieren. Eher gab es einen Zwang, bei der jährlichen Folklore mitzumachen. Als könnte man unter Verdacht geraten, etwas gegen Toleranz und Vielfalt zu haben, wenn man es nicht tat.
So verkam Diversität zum Selbstzweck und der Begriff zur Plattitüde, je demonstrativer ein Bekenntnis dazu gemacht wurde. Das Ende der «Verregenbogisierung», wie es der «TAZ»-Autor Jan Feddersen einmal genannt hat, ist deshalb zu begrüssen.
Das müsste im Grunde auch die LGBTQ-Community so sehen. Sie selber hat das sogenannte Pinkwashing immer kritisiert und das Engagement der Wirtschaft für queere Anliegen als reine PR zur Gewinnsteigerung abgetan: Man streiche einmal im Jahr die eigene Tugendhaftigkeit heraus, um sich dann zurückzulehnen und während elf Monaten wieder nichts für Inklusion und Gleichberechtigung zu tun.
Es hat eine gewisse Ironie: Trump ist es zu verdanken, dass er die Scheinheiligkeit der Wirtschaft beendet hat, an der sich die queere Gemeinschaft so störte.
Firmen halten Werte intern hoch
Doch dass die Firmen in der Schweiz, in Deutschland oder den USA sich nicht um Werte wie Vielfalt und Chancengleichheit scheren, stimmt gerade nicht. Viel eher muss man bei der jetzigen Abkehr vom Vorzeigen des Engagements für Homo- und Transsexuelle zu dem Schluss kommen: Gleichberechtigung und Inklusion sind in den allermeisten Unternehmen selbstverständlich. Deshalb war das Hissen der Regenbogenfahne in den letzten Jahren so paradox.
Selbst wenn sich Firmen an der Pride nicht mehr beteiligen als Sponsoren, heisst das nicht, dass sie Transpersonen künftig von Stellenbewerbungen ausschliessen oder Schwule am Arbeitsplatz Mobbing befürchten müssen.
Die Swisscom, eine der beiden bei der Zurich Pride abgesprungenen Sponsoren, betont: Ihr Entscheid habe nichts damit zu tun, dass sich die Werte der Firma verändert hätten. Auch die Pharmafirma Gilead sagte gegenüber der NZZ: Trotz Rückzug vom queeren Festival stehe man weiterhin für «Exzellenz, Inklusion, Integrität und Teamarbeit» ein. Alles andere hätte erstaunt.
Eine Kultur der Toleranz und des Respekts wird heute in Unternehmen und an Universitäten grossgeschrieben. Sie endet nicht, nur weil Trump fordert, kein Geld mehr für Schulungen auszugeben, in denen Angestellte wie Kinder behandelt werden, als hätten sie noch nie davon gehört, dass man Arbeitskollegen freundlich begegnen soll. Abgesehen davon bezweifeln selbst Fachleute, ob solche Sensibilisierungsprogramme tatsächlich wirken.
Bitte keine Ideologisierung der Bodylotion
So verhält es sich auch mit dem Regenbogen im öffentlichen Raum, der bei vielen Leuten Abwehrreflexe hervorruft. Es ist nicht an der Kosmetikfirma, den Konsumenten ihre Gesinnung in gesellschaftlichen Fragen aufzudrängen. Als Konsument will man bloss eine Gesichtscrème oder Bodylotion verwenden, die ihr Geld hoffentlich wert ist, und nicht darüber belehrt werden, wie man die Welt verbessern kann.
Die finanziellen Folgen des Anbiederns an die Wokeness-Ideologie bekamen Firmen schon vor Trump zu spüren. Die Kunden wehrten sich, indem sie die Produkte boykottierten. Der Umsatz des Unterwäsche-Labels Victoria’s Secret sank, als es auf Druck von LGBTQ-Aktivisten mehr dicke und Transgender-Models engagierte. Die Modefirma Calvin Klein warb 2022 mit einem schwangeren Transmann und kassierte einen Shitstorm. Der Verkauf der Biermarke Bud Light brach 2023 ein, als der Hersteller auf eine Transgender-Influencerin setzte.
Normalisierung jenseits des woken Dogmas
Der Höhepunkt einer Bewegung, die immer radikaler wurde, scheint überschritten. Vieles wirkt heute befremdlich am Hype um immer neue sexuelle Identitäten, an dem sich die Medien aktivistisch beteiligten. Nach dem ESC-Sieg von Nemo erstellten Journalisten Glossare, wie man eine nonbinäre Person anzusprechen habe. Nur ein Jahr ist es her.
Der Gender-Diskurs wurde dogmatisch: Die Forderung nach Toleranz zeichnete sich durch Intoleranz aus. Eine Minderheit verlangte von der Mehrheit, sich ihr anzupassen. So stiess man selbst Menschen ab, die den Gedanken hinter Diversität befürworten und für die selbstverständlich ist, dass jeder so leben soll, wie er will, solange er dadurch nicht die Freiheit und die Rechte anderer beschneidet.
Durch die Ideologisierung der Bewegung werden selbst queere Menschen abgehängt, die unauffällig und in Ruhe leben wollen. Valerie Wilms, die erste Transfrau im Deutschen Bundestag, ist deshalb aus der Partei der Grünen ausgetreten. In ihrer Autobiografie «Meine zwei Leben» rechnet sie mit dem woken Zeitgeist ab.
Dani Sophia, die junge Gitarristin des Rammstein-Sängers Till Lindemann, ist ebenfalls transsexuell und kritisierte kürzlich auf Instagram den Pride-Monat. Sie möchte «keine Flaggen in den Strassen schwenken», schrieb sie, sondern bloss «Gitarre spielen und mein Leben leben»: «Ich brauche keine Leute, die für mich Paraden abhalten. Ich brauche keine Capitol-Gebäude, an denen grosse Pride-Flaggen gehisst werden. Ich brauche keine Limited-Edition-Regenbogen-Apple-Watch-Armbänder oder Regenbogen-Schneekugeln.»
Beide sind sie besorgt mit Blick auf die USA und Trump, dass nach Jahren einer exzessiven Identitätspolitik die Stimmung in eine neue Feindlichkeit gegenüber Menschen wie ihnen kippen könnte. Dagegen würde auch das Schwenken der Regenbogenfahne wenig helfen.
Trotz abgeflauter Begeisterung von Politik, Wirtschaft und der Öffentlichkeit darf die bunte Party immer noch ausgelassen gefeiert werden, hier wie dort. An diesem Punkt zeigt sich, wie viel die queere Kultur erreicht hat und wie viele ihrer Werte sich durchgesetzt haben, ohne dass man sie sich bei jeder Gelegenheit aufs Banner schreiben muss. Jenseits des woken Dogmas findet eine Normalisierung statt.