Donnerstag, November 13

Angestachelt von Posts in den sozialen Netzwerken, haben rechtsradikale Demonstrierende und Schlägertypen weiter randaliert. Die britische Regierung prüft nun, wie 2011 den Notstand an den Gerichten auszurufen.

Die Unruhen, die am vergangenen Dienstag in Southport begonnen hatten, setzten sich am Wochenende in zahlreichen englischen Städten und im irischen Belfast fort. Hunderte von meist rechtsradikalen Demonstranten, Schlägertypen und Hooligans lieferten sich mit der Polizei Strassenschlachten, setzten Autos und Gebäude in Brand und griffen Moscheen an. Dies alles wurde begleitet von islamophoben Parolen und Sprechchören gegen die «unerträglich hohe» Einwanderung, nach dem Motto «Enough is enough» («Es reicht»).

Zahlreiche Polizisten wurden verletzt. Mehr als hundert Gewalttätige wurden festgenommen. Viele Migranten und Migrantinnen berichteten von Übergriffen und der Angst, auf die Strasse zu gehen. In zahlreichen Städten gab es jedoch auch Gegenaktionen. Hunderte haben gegen Rassismus demonstriert, und sie stellten sich schützend vor Moscheen und Hotels, in denen Migranten beherbergt werden.

Die Unruhen waren am 30. Juli durch die – auf den sozialen Netzwerken verbreitete – Falschmeldung ausgelöst worden, ein muslimischer Bootsflüchtling sei für die Morde an drei kleinen Mädchen in Southport verantwortlich. Die Behauptung stimmt nicht, passte aber zu anderen Fällen, in denen Männer mit Migrationshintergrund in der letzten Zeit Frauen, Kinder, einen Soldaten und drei Polizisten angegriffen hatten.

Der neue Premierminister Keir Starmer verurteilte die Gewalt. Er hat Erfahrung mit Unruhen: Er war im Jahr 2011 Vorsitzender der Generalstaatsanwaltschaft, als Polizisten einen schwarzen Mann erschossen und dies gewalttätige Unruhen auslöste. Damals wurden mehr als 3000 Personen festgenommen und fast 2000 Personen angeklagt.

Diskussionen über den Notstand an Gerichten

Starmer setzte im Nachgang der Unruhen einen Erlass durch, das Additional Courts Protocol. Dieser Erlass ermöglicht es seither den Gerichten, in Notsituationen schneller zu handeln. Damit Unruhestifter sofort verurteilt werden können, kann die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Additional Courts Protocol anordnen, dass an Gerichten rund um die Uhr, auch an den Wochenenden, gearbeitet wird. Es bietet auch die Voraussetzung dafür, dass die Bedingungen für eine Verurteilung gelockert werden oder dass Personen gar zu längeren Freiheitsstrafen verurteilt werden können. Am Wochenende führten das Justizministerium und die Generalstaatsanwaltschaft Gespräche, um das Additional Courts Protocol in Kraft zu setzen.

Nach einem Treffen Starmers mit Ministern und der Polizei sagte der Premierminister am Samstag: «Freie Meinungsäusserung und gewalttätige Unruhen sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Wir werden hart gegen die Täter vorgehen und der Polizei komplette Rückendeckung geben.» Die Generalstaatsanwaltschaft gab bekannt, dass sie siebzig zusätzliche Staatsanwälte übers Wochenende im Dienst habe. Innenministerin Yvette Cooper sagte, die Regierung habe sichergestellt, dass die Gerichte bereitstünden und Gewalttäter verurteilt würden. Die Regierung versichere, dass es ausreichend Gefängnisplätze gebe. «Wir wissen, dass es weitergeht – aber wir sind vorbereitet.»

Für die neue Labour-Regierung ist die Welle von Unruhen eine Herausforderung, da die Polizei durch die Sparwelle der letzten Jahre nicht ausgebaut werden konnte. In England gibt es 2024 gleich viele Polizisten wie 2010. In der Zeit wurde die Hälfte der Amtsgerichte geschlossen.

Der klamme Sicherheitsapparat trifft auf eine aufgeheizte Stimmung im Land. Populistische Politiker wie der Vorsitzende der Partei Reform, Nigel Farage, aber auch ein grosser Teil der ehemaligen Regierung der Konservativen nutzte die Einwanderung seit Jahren als Wahlkampfthema und schimpft über die «ungerechte Invasion» von Einwanderern, die sich nicht integrierten und zeigten, dass das Modell des multikulturellen Miteinander nicht funktioniere.

Farage, der ehemalige Vorsitzende der English Defence League (EDL) Tommy Robinson und zahlreiche weitere Wortführer der rechten politischen Szene schüren auch jetzt die Stimmung in den sozialen Netzwerken. Es sei nur «verständlich», wenn die «Patrioten» das Land verteidigten, behaupten sie. Es werde alles noch schlimmer, wenn die Regierung nicht zuhöre.

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