Sie gilt als eine der progressivsten Hochschulen des Landes, deswegen dürfte die Universität Berkeley bald ins Visier der Regierung rücken. Die Stimmung auf dem Campus ist angespannt, vor allem unter internationalen Studenten.
Man fühlt sich wie in einem Bienenschwarm. Mehrere hundert Professoren und Lehrkräfte drängen sich an diesem Nachmittag Anfang April in das Booth-Auditorium, einen Hörsaal der juristischen Fakultät der Universität Berkeley. Immer wieder brechen Jubel und Applaus aus, wenn ein Professor ans Mikrofon tritt. «Wenn wir schon untergehen, dann lasst uns kämpfend untergehen!», ruft einer, ein anderer zieht Vergleiche zur McCarthy-Ära.
Eine Frau verteilt Anstecker mit dem Aufdruck «UC Berkeley – Freiheit, zu sprechen, zu lehren, zu lernen». Der Rektor hat sich auch einen an das Jackett geheftet, Gesten des Zusammenhalts scheinen nun wichtig. Eine «Emergency Faculty Townhall» findet heute statt, eine Not-Zusammenkunft des Lehrpersonals, man will die Krise diskutieren, die zurzeit wie eine Lawine auf die Hochschule zurollt.
Berkeley steht auf einer Mitte März veröffentlichten Liste des Bildungsministeriums mit 60 amerikanischen Universitäten, denen die Regierung Antisemitismus auf dem Campus vorwirft. Es wäre ein Verstoss gegen den Paragrafen 6 der Civil Rights Act; dieser verbietet Diskriminierung bei staatlich geförderten Programmen und Aktivitäten. Die Regierung Trump rechtfertigt so, dass sie den besagten Hochschulen staatliche Mittel von zusammengerechnet mehreren Milliarden Dollar entziehen will.
Columbia, Princeton, Harvard – eine Spitzenuniversität nach der anderen auf dieser Liste erhält nun Forderungskataloge aus dem Weissen Haus. In Berkeley verfolgt man genau, wie die Regierung den Hochschulen künftig in das Zulassungsverfahren und den Lehrplan hineinreden will – und ob sich als Verhandlungstaktik bewährt, klein beizugeben, wie es Columbia tat, oder eher, in den Widerstand zu gehen, wie es Harvard nun versucht.
Noch sind in Berkeley keine Forderungen eingegangen, doch niemand hier bezweifelt, dass das nur eine Frage der Zeit ist. Eine Delegation der Regierung hat sich bereits zum Besuch angemeldet, und das Justizministerium hat die Herausgabe der persönlichen Daten von Lehrkräften verlangt, die im Zuge des Gaza-Krieges offene Briefe unterzeichnet hatten. Sie sollen als Zeugen dafür herhalten, dass Berkeley ein Klima des Antisemitismus auf dem Campus geduldet habe.
Einst unterstützte Berkeley die Regierung bei der Atombombe
Die University of California Berkeley, auch UC Berkeley oder kurz Berkeley genannt, ist in der Tat ein attraktives Ziel für die Regierung Trump, sie gilt als eine der progressivsten Bildungseinrichtungen des Landes.
Das war nicht immer so: Die Uni unterstützte die Regierung während des Zweiten Weltkriegs beim Bau der Atombombe, J. Robert Oppenheimer lehrte hier bis zum Beginn des Manhattan Project im Jahre 1942. Doch Berkeley verwandelte sich im Zuge der Bürgerrechtsbewegung: 1964 protestierten Tausende Studenten auf der Sproul-Plaza gegen das auf dem Campus herrschende Demonstrationsverbot. Die Free-Speech-Bewegung war geboren. Bald marschierten hier die Studenten auch gegen den Vietnamkrieg und Rassendiskriminierung. Bis heute ist die Sproul-Plaza ein Versammlungsbecken für Studentenproteste jeglicher Art.
Doch entgegen dem Geist der Redefreiheit mussten in den letzten Jahren mehrere konservative Gastredner ihre Auftritte absagen, 2017 etwa der Breitbart-Herausgeber Milo Yiannopoulos oder die rechtskonservative Provokateurin Ann Coulter. Demonstranten in Berkeley brüllten sie buchstäblich nieder.
Gleichzeitig stieg das Verhältnis von registrierten Demokraten zu Republikanern unter Berkeleys Lehrpersonal, 2008 betrug es neun zu eins – ein ähnlicher Schlüssel wie inzwischen an vielen amerikanischen Hochschulen. Das dürfte einer der Gründe sein, warum auch die amerikanische Öffentlichkeit eine zunehmend gespaltene Meinung über die Hochschulen im Land hat.
Angst unter internationalen Studenten
Wer heute über den Campus schlendert, riecht nicht nur den Duft der blühenden Kirschbäume und Dahlien, sondern sieht auch, wie stolz Berkeley auf seine Geschichte ist: hier eine Plakette auf der Sproul-Plaza, da das «Free Speech Movement»-Café in der Bibliothek. Doch man spürt ein Klima der Angst – insbesondere unter internationalen Studenten.
Berkeley gilt als eine der besten öffentlichen Universitäten der USA, ja der Welt – das zieht Studenten von überall an. Rund 15 Prozent der
45 000 Studenten waren in jüngster Zeit mit einem Visum in Berkeley. Für die Hochschule sind die ausländischen Studenten eine wichtige Einnahmequelle, sie bezahlen an der öffentlichen Universität deutlich höhere Studiengebühren als Kalifornier.
Doch die Regierung hat nun begonnen, Studentenvisa zu annullieren, meist ohne Angabe von Gründen. Landesweit sind bisher etwa 1400 Studenten betroffen, in Berkeley mindestens 23. Einige Professoren setzen zurzeit einen Hilfsfonds auf, der die Anwaltskosten für die Betroffenen decken soll, wenn sie sich juristisch wehren wollen.
«Unter den Ausländern herrscht viel Angst», erzählt Vincent Kästle. Der 25-jährige Deutsche kommt gerade aus dem «International House», einem multikulturellen Studentenwohnheim am östlichen Rand des Campus. Kästle studiert im zweiten Semester für einen Masterabschluss an der juristischen Fakultät. Er spüre einen «extremen Unterschied» zwischen dem Herbst- und dem Frühjahrssemester, sagt der grossgewachsene junge Mann.
«Es herrscht viel Furcht vor der Einwanderungspolizei.» Viele seien erschüttert von den Bildern der Columbia und der Tufts University, wo ausländische Studenten mitten auf dem Campus verhaftet worden seien, sagt Kästle. In den privaten Whatsapp-Chat-Gruppen würden die internationalen Studenten plötzlich kaum noch ihre Meinungen äussern.
Kästle zählt zu den wenigen, die gegenüber Medien ihren Namen nennen wollen. Andere Studenten lehnen dies ab und erzählen, sie machten neuerdings einen grossen Bogen um die Sproul-Plaza – niemand will Gefahr laufen, in der Nähe einer Demonstration fotografiert zu werden.
Wie panisch die Stimmung ist, zeigt sich an diesem Nachmittag: Angeblich sollen Beamte der Migrationspolizei ICE (Immigration and Customs Enforcement) auf dem Campus unterwegs sein, erzählt eine 20-jährige Studentin mit dunkler Hautfarbe. Sie zeigt auf ihrem Handy entsprechende Warnungen, die sie in gleich vier Chat-Gruppen erhalten hat; auch sie möchte ihren Namen nicht nennen. Die Lokalzeitung konnte die Gerüchte über die ICE-Beamten nicht bestätigen.
Viele trauen sich nicht mehr auf den Campus
Nicht nur Studenten und Professoren mit Visa oder Green Card zittern. Auch zahlreiche Studenten ohne gültige Aufenthaltsbewilligung studieren in Berkeley, zum Teil sogar mit Stipendium. Die Universität rief einst als erste in den USA ein Undocumented Student Program ins Leben, das Papierlosen finanzielle und psychologische Hilfe bietet. Auch die Stadt Berkeley ist eine Sanctuary City – also eine jener Städte, welche die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung bei der Durchsetzung von Einwanderungsgesetzen einschränken.
Im Gespräch berichten mehrere Professoren, dass sich viele ihrer Studenten nicht mehr auf den Campus trauten. «Unter dem Deckmäntelchen des Antisemitismus werden nun Studenten bestraft, weil sie ihre geschützte Redefreiheit ausgeübt haben», sagt R. Jay Wallace, der in Berkeley seit 25 Jahren Philosophie unterrichtet. Der Soziologieprofessor Dylan John Riley berichtet Ähnliches. «Es ist eine komplette Katastrophe. Viele trauen sich nicht einmal mehr im Unterricht, ihre Meinung zu äussern.»
Mehrere Professoren äussern sich im Gespräch sehr besorgt um die Zukunft ihrer Hochschule – auch aus finanziellen Gründen. Berkeley muss um eine halbe Milliarde Dollar an staatlichen Forschungs- und Fördermitteln zittern. Diese machen rund 14 Prozent des Universitätsbudgets aus, gemeinsam mit den gliedstaatlichen Zuwendungen ist das der zweithöchste Einnahmeposten. Als Folge dessen hat die Hochschule Mitte März einen universitätsweiten Einstellungsstopp verhängt.
Als öffentliche Hochschule finanziert sich Berkeley vor allem mit Studiengebühren. Das Endowment, also die über die Jahre angehäuften Spenden, spielt eine geringere Rolle als bei privaten Hochschulen wie Columbia und Harvard. Doch auch Berkeleys Endowment ist mit 8,9 Milliarden Dollar nicht zu verachten. Es bietet der Uni ein kleines Sicherheitspolster in der jetzigen Krise. Doch als Trump jüngst androhte, den Hochschulen ihren Status als gemeinnützige Organisation abzuerkennen, zuckte man auch in Berkeley zusammen. Das würde bedeuten, dass plötzlich hohe Steuern auf die Endowments fällig würden. Für viele Hochschulen wäre das der Todesstoss.
Die verschiedenen Fakultäten hängen unterschiedlich stark von staatlichen Fördermitteln ab. Dan Feldman, ein Professor für Neurowissenschaften, erzählt, an seinem Lehrstuhl machten diese zwei Drittel des gesamten Budgets aus. «Wir fragen uns, wie wir unsere Forschung überhaupt weiterbetreiben wollen, wenn tatsächlich all diese Mittel gestrichen werden.» Er sorge sich sehr um die nächste Generation von Wissenschaftern.
Die Juraprofessorin Claudia Polsky hingegen gibt sich optimistisch: «Ich bin mir sicher, dass wir das Ganze schnell umkehren werden. Was die Regierung macht, ist eindeutig illegal.» Das Lehrpersonal habe einen hochkarätigen Rechtsbeistand engagiert und wappne sich nun, um sich gegen alle etwaigen Auflagen Trumps zu wehren. Doch die Mühlen der Justiz mahlten langsam, räumt sie ein – bis die Gerichte urteilten, würde vermutlich einige Zeit vergehen. Für manche internationalen Studenten könnte das zu lang sein. «Wie viele Studenten werden bis dahin freiwillig die Hochschule verlassen haben?»