Samstag, März 15

Einst zogen viele Rennfahrer in die Schweiz, heute entschleunigt fast die Hälfte aller Piloten im Steuerparadies. Monaco bietet ihnen weit mehr als bloss finanzielle Vorteile.

Würde es so etwas wie eine rasende Nationalmannschaft geben, dann hätte das Fürstentum Monaco gute Chancen auf den Weltmeistertitel. Die letzten zehn Formel-1-Champions kamen allesamt aus dem Fürstentum, und knapp die Hälfte aller Rennfahrer aus der Königsklasse leben mehr oder weniger permanent rund um den ehemaligen Piratenfelsen. Sie haben beim Grand Prix von Monaco am Sonntag ihr jährliches Heimspiel.

Damit wäre schon wieder eine Woche Anwesenheitspflicht abgearbeitet. Denn nur wer sich sechs Monate plus einen Tag im Jahr auf den knapp zwei Quadratkilometern Staatsterritorium aufhält, kommt in den Genuss der eigentlichen Attraktivität des kleinen Landes: keine Einkommenssteuer, keine Grundsteuer, keine Vermögenssteuer. Abgesehen davon aber suchen die meisten, so verrückt es klingen mag, vor allem eines im Steuerparadies: ein Stück Normalität – gemessen an ihren Ansprüchen.

Die Residenz muss man sich leisten können, 500 000 Euro beträgt die Mindesteinlage bei der Bank. Gut ein Drittel der 40 000 (Wahl-)Monegassen sind Millionäre, unter ihnen natürlich alle Formel-1-Fahrer.

Die Mittzwanziger strömen zurück an die Küste

Für den Shootingstar Lando Norris, der sich mit 21 entschlossen hatte, England den Rücken zu kehren, war es eine reine Vernunftentscheidung. Als Sohn eines Finanzmoguls sagt er: «Ich muss an meine Zukunft denken. Menschen tun in ihrem Leben viele Dinge fürs Geld. Das ist so was. Aber es ist auch ein Umzug, den schon viele andere Fahrer gemacht haben.» Der Umzug hat für ihn nur einen kleinen Nachteil: «Es ist praktisch alles gleich geblieben in meinem Alltag. Nur mein Golfhandicap wird wohl schlechter werden.»

Tatsächlich hat die Enklave an der Côte d’Azur die Rennfahrer seit je angezogen, was sicher mit dem merkwürdigsten Grand Prix der Saison zu tun hat. In den 2010er Jahren aber zog die Karawane weiter, lebte die Mehrheit der Formel-1-Fahrer in der Schweiz. Heute leben dort nur noch ehemalige Fahrer wie Sebastian Vettel oder Michael Schumacher.

Mit dem Generationswechsel in den Cockpits ist es zur Umkehrbewegung gekommen: Die Mittzwanziger strömen zurück an die Küste. Für Charles Leclerc, einen von überhaupt nur drei echten Monegassen in der Geschichte der Formel 1, stellte sich die Frage natürlich nie. Doch auch Max Verstappen, George Russell oder Alex Albon zog es nach Monaco.

Lewis Hamilton, der sein 40-Millionen-Penthouse in New York unbenutzt und mit Gewinn wieder verkauft hat, kehrte zurück an den Ort, an den er früh flüchtete, nachdem seine Popularität in England zu gross geworden war. Damals wohnte er im gleichen Apartmentgebäude wie Nico Rosberg. Anfangs halfen sich die beiden Nachbarn aus, wenn beim einen mal der Kühlschrank leer war.

Dann aber wurde die Rivalität der beiden zu gross, was Auswirkungen auf ihr Leben im «La Roccabella» hatte. Hamilton soll samt Hund in ein höheres Stockwerk umgezogen sein, um über Rosberg zu residieren. Der Deutsche Rosberg dürfte fast so viel Zeit wie der Ur-Einwohner Leclerc in Monaco verbracht haben: «Die Rennstrecke war mein Schulweg.» Spazieren gehen auf der Ideallinie – auch so ein ungewöhnliches Privileg.

Ganz oben, sportlich wie räumlich, residiert auch Max Verstappen. Das terrassenartige Penthouse im neueren Stadtteil Fontvielle, gleich hinter dem Stadion des AS Monaco, wird auf 15 Millionen Euro taxiert. Angeblich soll der Niederländer aber nur zur Miete dort wohnen, anders als Hamilton in seiner nicht minder beeindruckenden Luxusetage.

Richtig schön ist es hier nämlich nur, wenn man über alles andere hinwegsehen kann, freie Sicht aufs Mittelmeer hat. Ein Teil der Veranda in luftiger Höhe hat Verstappen zum Fitnessstudio umgebaut, während Leclerc lieber in ein öffentliches Gym geht – und mit Vorliebe in der örtlichen Therme der Kryotherapie frönt.

Sich ungestört auf den Strassen bewegen zu können, ist einer der Gründe, warum das Leben für die Formel-1-Fahrer in Monaco so angenehm ist. Die allgegenwärtigen Polizisten sehen aus wie Schiffsstewards, überall hängen Überwachungskameras, vor allem aber sind kommerziell genutzte Fotos grundsätzlich genehmigungspflichtig – was den Paparazzi das Leben schwermacht. Die Monegassen selbst sehen kaum hin, sie leben gut mit und vor allem von der Prominenz.

Die Aussendarstellung übernehmen die Rennfahrer und deren Social-Media-Teams selbst. Instagram, Tiktok und X sind geflutet von wohlinszenierten Trainings-Sessions, Ausflügen und Bootstouren. Die Seealpen, vom Hafen aus das steile Stück hoch nach La Turbie, sind das ideale Fitnessgelände. So kommt es öfter zu Radfahrgemeinschaften, und überhaupt fällt auf, wie gut die erbitterten Gegner auf der Piste im Privatleben harmonieren. Sie frönen gemeinsam dem Tennis, Motorbootfahren gilt unter Formel-1-Fahrern ohnehin als natürliche Fortbewegungsart. So ist bei aller Konkurrenz eine Rennfahrerbruderschaft entstanden.

Wer nicht gleich über das Geld reden will, der führt das Wetter und die zentrale Lage in Europa als Argumente für die Wahl des exklusiven Wohnorts an. Und in zehn Helikopter-Minuten ist man am Flughafen in Nizza. Das Flugtaxi von und zu den meisten Formel-1-Rennstrecken übernimmt dann Max Verstappen. Der Champion hat das ehemalige Flugzeug des Virgin-Bosses Richard Branson übernommen – eine Dassault Falcon 900EX für bis zu 20 Passagiere. In den Lederfauteuils und an der Bar finden dann die privaten Siegerehrungen oder das Feierabendbier nach einem frustrierten Arbeitstag statt.

Max Verstappen | Party animal | Just having fun with Ricciardo, etc

Abseits des Grand Prix, an dem sich ein Vielfaches der Einwohnerzahl in die engen Gassen drückt, ist das Leben in Monaco eher beschaulich. Die Berufsfahrer schätzen genau diese Entschleunigung. Auch dem künftigen Sauber-Fahrer Nico Hülkenberg, der seit 2015 in Monaco lebt, mittlerweile mit seiner Familie aber auch eine Residenz auf Mallorca besitzt, ist die gepflegte Langeweile willkommen. Mit dem Fussballer Kevin Volland und dem Tennisspieler Alexander Zverev hat er einen Sportler-Stammtisch gegründet.

Die neun gegenwärtigen Fahrer mit Bleiberecht, ergänzt um ehemalige Champions wie Mika Häkkinen oder den Mercedes-Teamchef Toto Wolff, könnten bald Zuwachs bekommen. Der Australier Oscar Piastri fahndet zum Spass bereits nach monegassischen Vorfahren in seinem Stammbaum. Charles Leclerc bot deshalb spontan an, ihn zu adoptieren. «Dann», schrieb ihm Piastri zurück, «wäre Leo ja mein Halbbruder.» Leo, das ist das Hundebaby, das sich Leclerc unlängst zugelegt hat. Das sind die Themen, die in Monaco auch bewegen – ein mondänes Dorfleben.

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