Dienstag, März 25

Die Baslerin Kimmy Repond zählt zu den weltbesten Eiskunstläuferinnen. Wer ist die junge Frau, die die Massen verzaubert und diese Woche an den Weltmeisterschaften in Boston läuft?

Kimmy Repond steht auf der Eisfläche in Espoo, Finnland, und atmet tief durch. Dann erklingt Klaviermusik – und die Magie beginnt: Repond vollführt Pirouetten, komplizierte Schrittfolgen, Dreifachsprünge. Immer landet sie sanft, im schwarzen Glitzerkostüm schwebt sie vermeintlich über das Eis. Die letzten Sekunden der Kür brechen an, Repond greift nach dem Schlittschuh, wirbelt im Spagat um die eigene Achse, das Publikum akklamiert. Repond verneigt sich, vergräbt das Gesicht in den Händen, jubelt. Und der Kommentator ruft: «A star is born!»

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Kimmy Repond, 18, ist die grösste Eiskunstlauf-Hoffnung der Schweiz seit Jahren. An ihren ersten Europameisterschaften 2023 in Espoo lief sie direkt auf den dritten Rang – nur Sarah van Berkel und Denise Biellmann hatten das zuvor geschafft. Diese Woche nun kämpft Repond in Boston um eine Medaille an den Weltmeisterschaften; die Chancen auf eine Top-Platzierung stehen gut.

Reponds Aufstieg ist viel mehr als die Geschichte einer talentierten Sportlerin. Wer ihren Erfolg verstehen will, muss wissen, wie sie aufgewachsen ist.

Kimmy REPOND (SUI) | Women Free Skating | Espoo 2023 | #EuroFigure

Eiskunstlaufen als Familienprojekt

In manchen Familien leben die Kinder die Träume der Eltern. Bei den Reponds aus Basel ist es umgekehrt. Hier dreht sich seit 28 Jahren alles um die geteilte Leidenschaft von Kimmy und ihren drei Schwestern: den Eiskunstlauf.

Für die Eltern Claudia und René war Eiskunstlauf zunächst eine fremde Welt. Alles begann, als die älteste Tochter Sidonie als kleines Mädchen die Sportart für sich entdeckte. Ihre Begeisterung steckte die jüngeren Schwestern an – so wurde aus dem Hobby schon bald ein Familienprojekt.

Seither organisieren die Eltern den Trainingsalltag ihrer Töchter, koordinieren Sponsoren, Choreografen, reisen den Eisflächen hinterher. Claudia Repond gab ihren Beruf als Juristin auf, sie wurde zur Chauffeurin und Managerin ihrer Töchter.

Die Repond-Schwestern entwickelten sich zu einem Phänomen der Schweizer Eiskunstlaufszene: Sidonie wurde Nachwuchs-Schweizer-Meisterin, Jérômie schaffte das vier Mal. Die jüngste Schwester, Caline, ist auf bestem Weg zum Titel – heuer wurde sie an den Schweizer Meisterschaften Vierte.

Kimmy, die zweitjüngste, hatte viele Hobbys: Ballett, Schwimmen, Klavier, Kunstturnen, Eiskunstlaufen. Klavierspielen und Eiskunstlaufen gefielen ihr am besten, beides übte sie auf hohem Niveau aus. Schliesslich entschied sie sich für eine Karriere auf dem Eis; daneben absolvierte sie an einer britischen Privatschule die Matura. Sieben Schweizer-Meister-Titel hat sie gewonnen, drei davon in der Erwachsenenkategorie. 2023 lief sie an den WM auf den fünften Rang, an den diesjährigen EM wurde sie Vierte.

Während Kimmy sich aufs Eislaufen fokussiert, sind die älteren Repond-Schwestern mittlerweile aus dem Spitzensport zurückgetreten. Sidonie, 34 Jahre alt, arbeitet als Mentaltrainerin und Sportpsychologin. Die 25-jährige Jérômie musste wegen einer Knieverletzung pausieren und entschied sich dann gegen eine Karriere im Eiskunstlauf. Sie studierte stattdessen Psychologie, ist angehende Psychotherapeutin – und Trainerin. Ihre Athletin: die Schwester Kimmy.

«Zu Hause legen sie diese Strenge ab»

Jérômie und Kimmy Repond sind ein eingespieltes Team: Auf dem Eis sind sie Trainerin und Sportlerin, zu Hause Schwestern. Sie sprechen von einer tiefen Verbindung, einem unerschütterlichen Vertrauen, auch wenn im Training manchmal harte Worte fallen. Kimmy sagt über Jérômie: «Sie ist meine strengste Trainerin. Das muss sie auch sein – nur so werde ich besser.»

Die Familie bezahlt Jérômie einen «Freundschaftspreis», wie Claudia Repond erklärt. Eiskunstlaufen ist in der Schweiz eine Randsportart, grosse Sponsorengelder fehlen. Familieninterne Lösungen wie bei den Reponds helfen, die Kosten abzufedern.

Kimmy ist nicht nur gegenüber sich selbst fordernd, sondern auch gegenüber ihrer elfjährigen Schwester Caline. An einem Freitagmittag kurz vor den Weltmeisterschaften in Boston trainieren Kimmy und Caline in der Eishalle St. Jakob in Basel. Im Korridor wärmen sie sich auf, bevor sie auf dem Eis trainieren. Kimmy übt in Turnschuhen die Sprünge, im Ohr steckt ein Kopfhörer.

Caline schaut Kimmy mit grossen Augen an. «Kimmy, hörst du mich?», fragt sie leise. Keine Reaktion. Caline nimmt Anlauf, springt, dreht sich in der Luft, landet. Kimmy beobachtet sie und sagt: «Anscheinend hörst du mich nicht, Caline. Du streckst dich nicht in der Luft.»

Am Rand steht Claudia Repond und beobachtet ihre Töchter. Sie wirkt gelassen. «Sie können das gut trennen. Zu Hause legen sie diese Strenge ab, spielen miteinander, haben es lustig. Und Caline merkt selbst, dass sie besser wird.»

Nach dem Einwärmen ziehen sich Kimmy und Caline fürs Training auf dem Eis um. Kimmy schnürt sich mit langen Fingernägeln die Schlittschuhe, das lange Haar umfliesst die Schultern. Auf Instagram und Tiktok verfolgen über 300 000 Follower ihre Karriere. Ihr Hobby neben dem Eiskunstlauf ist das Modeln – mit 1 Meter 76 ist sie für eine Eiskunstläuferin aussergewöhnlich gross.

Ein unbeugsamer Wille

In der Garderobe der Eishalle klettert Caline nun auf den Schoss der Mutter, die auf der Umkleidebank sitzt. Kimmy sitzt schweigend daneben und stopft den Schaft der Schlittschuhe mit Schaumstoff aus, dann schaut sie auf die Sportuhr und sagt: «12 Uhr 28.» In zwei Minuten beginnt das Mittagstraining in der Gruppe.

Kimmy Repond trainiert sechsmal pro Woche, jeden Tag sind es rund fünf Stunden. Um 6 Uhr steht sie zum ersten Mal auf dem Eis, mittags gibt es eine zweite Trainingseinheit. Immer ist sie auf die Minute pünktlich, jedes Training versteht sie als Gelegenheit, sich selbst zu übertreffen. Die Leichtigkeit auf dem Eis ist das Resultat knallharter Arbeit.

«Kimmy ist intrinsisch motiviert. So einen Willen, wie sie ihn hat, kann man gar nicht aufzwingen», sagt Jérômie Repond. Und die Mutter ergänzt: «Sie unterscheidet sich in diesem Punkt von ihren Schwestern. Wenn etwas nicht geht, gibt sie erst Ruhe, wenn es klappt.»

Kimmys grösste Widersacherin war lange ihre Gesundheit. Sie leidet seit einigen Jahren an einer Rückenverletzung. Repond schoss in die Höhe, wuchs innert eines Jahres acht Zentimeter, die Stabilität der Muskeln geriet aus dem Gleichgewicht. Nach den WM 2023 wurden die Schmerzen so schlimm, dass sie morgens kaum mehr aus dem Bett kam. Die Ärzte waren ratlos; erst ein Hüftspezialist stellte die richtige Diagnose, seither lebt Kimmy dank der richtigen Behandlung schmerzfrei.

Und Kimmy hält an ihrem Traum fest. Sie wolle Europameisterin werden, sagt sie, «so viele Medaillen gewinnen wie nur möglich». Ihr Vorbild ist Denise Biellmann, das nächste grosses Ziel nach den Weltmeisterschaften ist Olympia 2026.

Wegen des Eurovision Song Contest schliesst die Eishalle St. Jakob im Sommer. Die Reponds reisen dem Eis nach und verbringen die kommenden Monate in Toronto, Bergamo und Oberstdorf. Der Aufwand ist zwar riesig, aber die Reponds hoffen, dass noch viele Reisen folgen. Für Kimmy gibt es noch viel zu erreichen.

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