Zwei Jurorinnen des renommierten Berliner Internationalen Literaturpreises machen die Schiebereien hinter den Kulissen publik.

Jurys, die Kunstpreise vergeben, sind im Allgemeinen nicht dafür bekannt, Interna nach aussen zu tragen. Man entscheidet hinter geschlossenen Türen, und selbst wenn die Debatten sehr hitzig waren, wird es am Ende so aussehen, als hätte man einmütig entschieden. Das ist für den Preisträger oder die Preisträgerin gut. Und in der Regel auch für die Jury.

Dass zwei Juroren des immerhin mit 35 000 Euro dotierten Berliner Internationalen Literaturpreises jetzt mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gehen, ist ebenso bemerkenswert, wie es folgerichtig erscheint. Die Schriftstellerinnen Juliane Liebert und Ronya Othmann werfen der Stimmenmehrheit des Gremiums, dem sie 2023 angehört haben, vor, die Preisentscheidung «klar politisch getroffen» zu haben.

Politik ist wichtiger

In einem längeren, gemeinsam für die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» verfassten Text schreiben die beiden Jurorinnen: «Es ging um Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, um Politik und nicht um Literatur.» Ein Juror wird mit dem Satz zitiert: «Sorry, ich liebe Literatur, aber Politik ist wichtiger.»

Minuziös stellen Liebert und Othmann das Prozedere bei einem Preis dar, der laut Eigendefinition allein nach der «Qualität des Buches» vergeben wird. Und eben nicht nach politischen oder ethnischen Kriterien. Auf der Shortlist des Preises, der vom Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) und der privaten Stiftung Elementarteilchen vergeben wird, standen: ein senegalesischer Autor, der auf Französisch schreibt, eine südkoreanische Autorin, die in den USA ihre Heimat hat, und eine Russin, die in Berlin im Exil lebt. Ausserdem eine weissrussische, eine mexikanische und eine französische Autorin.

Die Französin Mariette Navarro gehörte in den Vorgesprächen aufgrund der literarischen Qualität ihres Buches «Über die See» zu den Favoritinnen, allerdings zogen einige Juroren ihre Voten zurück, als klarwurde, dass es drei schwarze Autorinnen nicht auf die Shortlist geschafft hatten. «Eine weisse Französin», also offenbar der Inbegriff der Privilegiertheit, das gehe nicht.

Mit den drei schwarzen Autorinnen war indessen auch Péter Nádas mit seinem Roman «Schauergeschichten» wieder ins Spiel gekommen. Beim berühmten Ungarn Nádas soll für die Jury-Mehrheit das gleiche Verdikt gegolten haben wie für Mariette Navarro. Zu weiss, zu privilegiert. Ausserdem auch noch von den Feuilletons geliebt. Um Navarro und Nádas doch noch auf die Shortlist zu bringen, musste diese auf Bitten von Juliane Liebert und Ronya Othmann auf acht Titel erweitert werden. Gnadenhalber. Den Preis gewann schliesslich der senegalesische Schriftsteller Mohamed Mbougar Sarr.

Selbstdarstellung der Jurys

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt wird aus öffentlichen Geldern mitfinanziert. Die Jury des Internationalen Literaturpreises ist traditionell divers besetzt. Das bedeutet offenbar, dass die Kriterien dafür, was auszeichnenswert ist, mehr als nur divers sind. Wer die Szene kennt, der weiss, dass es bei der Vergabe von Preisen an Schriftsteller zunehmend um politische Selbstdarstellungen der Jurys und weniger um die Literatur selbst geht.

Genau davor warnen Juliane Liebert und Ronya Othmann in ihrem Statement. Beide sind unverdächtig, ihrerseits Selbstdarstellung betreiben zu wollen. In einem Brief an den Direktor des HKW haben sie darauf hingewiesen, dass durch fragwürdige Entscheidungen gerade den «von mehrfacher Marginalisierung betroffenen Autorinnen und Autoren ein Bärendienst» erwiesen werde. Für die diesjährige Ausgabe des Preises wurden Juliane Liebert und Ronya Othmann nicht mehr als Juroren angefragt. An den politischen Kämpfern des letzten Jahres hat man offenbar festgehalten.

Exit mobile version