Donnerstag, März 6

Die allgemeine Rhetorik der Amerika-Berichterstattung in Russland hat sich geändert. Und auch der letzte Fussabtreter mit dem Gesicht von Trump sei aus dem Kreml entfernt worden, schreibt Irina Rastorgujewa. Ein Querschnitt durch das Meinungsbild der russischen Medien.

Der russische Nachrichtensender Kanal Eins verhöhnte diese Woche den Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in England: «Händeschütteln mit Kollegen von minderem Rang nach Auspeitschung auf der anderen Seite des Atlantiks. Fand Selenski irgendeinen Trost auf dem Gipfeltreffen in London, wo die Ideen, die Kiew immer weiter vom Friedensprozess wegführen, zu hören sind?»

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

In dem Bericht heisst es, das Treffen sei sehr schwach besetzt gewesen – «nur 14 Nato-Länder, weniger als die Hälfte des Bündnisses». Weiter berichtet Kanal Eins: «Grossbritannien und Deutschland sind bereit zu zahlen, obwohl beide Länder am Rande der Rezession stehen und das Gesamtwachstum der EU-Wirtschaft im letzten Jahr kaum ein Prozent erreichte, aber von einer Entmilitarisierung der Ukraine ist keine Rede.» Und US-Aussenminister Marco Rubio wisse, dass Europa keinen anderen Plan habe, als die Kämpfe um ein weiteres Jahr zu verlängern.

Das ist der durchgängige Tonfall der russischen Medien bezüglich des Treffens zwischen Selenski und Donald Trump am vergangenen Freitag sowie des anschliessenden Gipfels der europäischen Regierungschefs in London.

Russische Interpretation zum Oval-Office-Treffen

Den Beitrag über das Treffen im Oval Office eröffnete Kanal Eins wie folgt: «Die Weltmedien diskutieren über das unangemessene Verhalten des Kiewer Regime-Chefs im Weissen Haus.» Georgi Olisashvili, Chefkorrespondent von Kanal Eins in den USA, meldete: «Selenski, der sich seines schlechten Englisch nicht schämt, fühlte sich aus irgendeinem Grund plötzlich wie zu Hause und begann mit dem US-Vizepräsidenten zu diskutieren, indem er sich über die Perfidie Moskaus beklagte, das die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen gestört habe, obwohl genau das Gegenteil geschehen ist.»

Der Bericht enthält auch einen Videomitschnitt aus dem Oval Office. Trump und J. D. Vance sprechen Selenski in der russischen Übersetzung mit «Du» an, und es fehlen auch die Worte «Herr Präsident» als Anrede an den ukrainischen Staatschef. In der von Kanal Eins zusammengeschnittenen Fassung wird Selenski von amerikanischer Seite pausenlos attackiert.

«Der Gast zeigte sich erschreckend unhöflich, nicht nach diplomatischen, sondern nach universellen menschlichen Massstäben, und begann, die Gastgeber zu bedrohen», fuhr Olisashvili fort und zitierte Selenskis Warnung, dass Amerika zwar durch ein Meer von Russland getrennt sei, dennoch nicht unberührt von Problemen bleiben werde.

In der Sendung «Sonntagabend mit Wladimir Solowjow» von Rossija 1 kommentierte eine der Chef-Propagandistinnen des Kremls, die Chefredaktorin des Senders Russia Today, Margarita Simonjan, das Treffen. Sie nennt Selenski einen Clown, dessen Grössenwahn vom applaudierenden Westen befördert werde.

Der ukrainische Präsident sei es gewohnt, dass er es mit Idioten zu tun habe, erklärt Simonjan, nun habe er zum ersten Mal einen vernünftigen Menschen getroffen. Donald Trump habe sich während des Treffens sehr höflich verhalten, auch wenn es für ihn nicht einfach gewesen sei. Der ukrainische Präsident habe den amerikanischen vor allem beleidigt, weil er sich nicht an die Regeln der Etikette gehalten habe, sich nicht einmal die Mühe gemacht habe, einen Anzug anzuziehen, und sowieso nicht wisse, wie man sich benehme.

Unter Berufung auf einige anonyme ukrainische Telegram-Kanäle sagte Simonjan, Selenski habe den Vertrag über seltene Erden mit Trump deswegen nicht unterzeichnet, weil er alles längst an die Briten abgegeben habe.

Am Ende ihres mehr als zwanzigminütigen Monologs auf Rossija 1 kam Simonjan zu dem Schluss, dass Selenski unter Drogeneinfluss gestanden habe, wie ihr ein Bekannter, der sich damit auskenne, bestätigt habe. Sie riet dem Präsidenten der Ukraine, sich wegen seiner Drogensucht behandeln zu lassen, dann wegen Grössenwahns in eine psychiatrische Klinik und anschliessend ins Gefängnis zu gehen.

Fünf gegen einen

Auf dem russischen Sender NTV, der zur Gazprom-Medienholding gehört, wurde das Treffen im Oval Office wie folgt kommentiert: «Selenski [. . .] wiederholte sein Mantra von den bösen Russen, nannte Wladimir Putin einen Mörder und forderte, dass die Vereinigten Staaten keine Kompromisse mit Russland eingingen.»

Während der Sendung diskutierten sechs Studiogäste, von denen einer proukrainisch eingestellt war, während die anderen fünf diese Position ablehnten. Andrei Fjodorow (dessen Beruf nicht eingeblendet wurde, so dass darüber nur spekuliert werden kann) vertrat die Ansicht, dass diese Reise ein Erfolg für Selenski gewesen sei, weil er die Position der Ukraine konsequent vertreten habe, zwar keine Sicherheitsgarantien erhalten habe, aber weiter daran arbeite. Das Treffen habe sein Rating bei den Ukrainern verbessert, was eine gute Grundlage für künftige Wahlen sei.

Trump habe auch Selenskis politische Impotenz offenbart, er sei nicht in der Lage, eine konkrete Diskussion über den sogenannten Friedensplan für die Ukraine zu führen. «Er sprach über einen Waffenstillstand, aber nicht über Frieden. Und jetzt, nach allem, was geschehen ist, geht die Initiative auf Europa über.»

Und dann begann die angebliche Enthüllung: Die restlichen fünf Studiogäste erwiderten, dass es ganz sicher keinen Erfolg gegeben habe, dass Trump eine Strategie für den Frieden habe, sie aber nicht vor Kameras diskutiere. Trump sei ein Vermittler zwischen Russland und der Ukraine, und Selenski wolle ihn als Alliierten sehen, er wolle keinen Frieden, nur den Sieg.

Kalkulierte Provokation?

Könnte der Eklat durch eine kalkulierte Provokation von amerikanischer Seite ausgelöst worden sein? Die NTV-Experten sind einhellig überzeugt, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Schliesslich sei es Selenski gewesen, der den Streit begonnen habe; während Vance auf die Frage eines Journalisten antwortete, habe Selenski gegen das Protokoll des Treffens verstossen, ihn unterbrochen und mit «J. D.» angesprochen.

Die Talkshow-Teilnehmer kommen zu folgendem Schluss: Die «europäischen Globalisten» hätten Selenski davon überzeugt, mit Amerika den Streit zu suchen; durch den Streit mit Trump könne Selenski Vorteile erlangen – das Thema Neuwahlen abschliessen, die Rechnungsprüfung der Amerikaner in der Ukraine erschweren, den Krieg verzögern und die Unterzeichnung eines Abkommens über seltene Erden vermeiden.

Die Moderatoren bezeichneten Selenski als Terroristen und betonen in Bezug auf das Treffen mit den europäischen Staatschefs, dass es keine konkreten Ergebnisse gebracht habe, mit Ausnahme eines Kredits, der mit Zinsen aus den eingefrorenen russischen Vermögen gezahlt werde. Was wiederum dazu führen werde, dass sich die europäischen Länder nach dem Waffenstillstand als Geiseln ihrer eigenen Sanktionen wiederfänden, denn sobald sie diese aufhöben, werde die gesamte Kostenlast auf den Schultern der Ukrainer landen.

Der Bericht über das Londoner Treffen zitierte auch die Worte des ungarischen Präsidenten Viktor Orban: «Die Europäer wollen Krieg, und nur zwei Länder in der EU wollen Frieden – der Vatikan und Ungarn. Jetzt haben sich die USA dazugesellt.»

Die Experten sagen, es sei unmöglich zu beurteilen, wie die ukrainische Gesellschaft auf die Ereignisse reagiert habe, denn «wir sehen nur ein verzerrtes Propagandabild».

Der Militärkorrespondent Alexander Koz beschreibt auf der Website der Zeitung «Komsomolskaja Prawda» das Treffen zwischen Selenski und Trump folgendermassen: «Die Fassade des Retters von Europa bröckelte schnell unter dem Orkan von Trumps Argumenten. Das verwirrte Gesicht des Lieblings aller westlichen Staatsoberhäupter verlor schnell seinen Glanz [. . .]. Zum ersten Mal wurde Selenski ins Gesicht gesagt, wo er in der Nahrungskette steht.» Koz’ Darstellung übertrifft an Hass selbst die berüchtigten Tiraden Wladimir Solowjows.

Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet auf ihrer Website über die Reaktionen auf das Treffen innerhalb Russlands. Unter anderem nannte der ehemalige russische Präsident und heutige stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates Dmitri Medwedew Trumps Rhetorik gegenüber Selenski eine «scharfe Rüge», aber das reiche nicht aus. Medwedew rief dazu auf, «die militärische Hilfe für die Nazi-Maschine» in Kiew zu stoppen.

So weit der Querschnitt durch das Meinungsbild der russischen Medien. Ausserhalb des Schaulaufens «Wer beleidigt Selenski und die europäischen Staats- und Regierungschefs am meisten?» sieht die nüchterne Bilanz wie folgt aus: Russland war schon immer für den Frieden, die Ukraine hingegen nicht, und jetzt hat es jeder gesehen. Europa ohne Amerika ist wertlos und Trump, wenn auch kein Verbündeter Russlands, sicher kein Feind.

Richtungswechsel gegenüber Amerika

Regierungsfreundliche Bots hinterliessen allein am vergangenen Wochenende viertausend Kommentare im russischen Facebook-Pendant VKontakte, wie aus den Daten der unabhängigen Agentur Botnadsor hervorgeht. Die Bots machen sich über den ukrainischen Präsidenten lustig und bleiben Trump gegenüber neutral.

Die allgemeine Rhetorik der russischen Medien gegenüber Amerika hat sich bereits vor dem Hintergrund der bevorstehenden russisch-amerikanischen Verhandlungen in Riad vor zwei Wochen geändert. Niemand will Washington mehr bombardieren, und niemand verpasst den Amerikanern verunglimpfende Spitznamen.

China und Nordkorea sind von der Nachrichtenagenda verschwunden, dafür tauchen mit bemerkenswerter Regelmässigkeit Äusserungen amerikanischer Politiker auf; allerdings nur solche, die die Ukraine, die Regierung Biden und Europa in ein schlechtes Licht rücken und dazu dienen, Russland wie das Opfer aussehen zu lassen. Zunehmend ist auch von «gegenseitigem Verständnis» zwischen den beiden Ländern die Rede.

Putins Chefpropagandist Dmitri Kisseljow sagte in «Nachrichten der Woche», Russland und die USA seien zu «gegenseitigen Gesten des guten Willens» bereit. Er betonte, das Gespräch zwischen den Ländern sei «höflich und respektvoll». Es ist noch nicht lange her, da schlug Kisseljow vor, Amerika in nukleare Asche zu verwandeln.

Auch der russische Aussenminister Sergei Lawrow sprach von Anstand und kommentierte das Telefonat zwischen Putin und Trump: «Viele Menschen im Westen waren verblüfft, als ein normales, elementares Gespräch zwischen zwei gut erzogenen, höflichen Menschen stattfand.» Vor anderthalb Jahren hatte Lawrow gesagt: «Es ist allen bekannt, dass die Vereinigten Staaten jederzeit betrügen können, und es kommt viel häufiger vor, dass sie betrügen, als dass sie ihre eigenen Versprechen, ihre eigenen Vorschläge erfüllen.»

Der Sonderkorrespondent von Kanal Eins in den USA, Michail Akintschenko, sagte, dass Trump Russland gegenüber sehr respektvoll sei. Man begrüsse Trumps Streben nach einer friedlichen Lösung. Kanal Eins hat in der jüngsten Vergangenheit ebenfalls eine Menge über Amerika im Allgemeinen und Trump im Besonderen gesagt.

Natürlich kommt es aufgrund des abrupten Wechsels in den Beziehungen auch zu Pannen. So legte Oleg Petrowski, ein Abgeordneter der Kreml-Partei Einiges Russland aus dem kaukasischen Stawropol, einen Fussabtreter mit Trumps Bild am Eingang seines Büros aus. Dann wurde bekannt, dass Putin den amerikanischen Präsidenten angerufen hatte – Petrowski entfernte den Teppich und sagte, er habe dies aufgrund von «Korrekturen in den Tendenzen der allgemeinen Kommandoposition» getan.

Ob solche «Tendenzen der allgemeinen Kommandoposition» lange anhalten werden, ist nicht bekannt, bis jetzt ist nur eines klar – dass jeden Tag nach dem Willen des russischen Präsidenten Zivilisten unter Beschuss in der Ukraine sterben.

Irina Rastorgujewa wurde 1983 in Juschno-Sachalinsk in Russland geboren und lebt als freie Autorin in Berlin. Jüngst erschien bei Matthes & Seitz ihr Buch «Pop-up-Propaganda. Epikrise der russischen Selbstvergiftung».

Exit mobile version