Freitag, Oktober 11

Ohne bediente Schalter würden ältere Menschen abgehängt, heisst es. Doch das sehen nicht alle so.

In wenigen Monaten ist Schluss. Die SBB schliessen sechs bediente Schalter im Kanton Zürich per Ende Jahr: in Andelfingen, Bauma, Bubikon, Dielsdorf, Pfäffikon und Wald. Die Frequenzen und Billettverkäufe seien in diesen Reisezentren sehr tief, teilten die SBB mit. Die betroffenen Bahnhöfe werden zu Standorten mit «Selbstbedienung», also mit einem Automaten.

An einem bedienten Schalter eine Fahrkarte zu kaufen, macht heute fast niemand mehr. Anfang des Jahres wurden gemäss SBB nur noch 4 Prozent aller Tickets so gelöst. 2019 waren es noch knapp 10 Prozent. Mit Abstand am meisten Billette werden über digitale Kanäle gekauft. Das zeigt die Statistik.

Für die meisten ÖV-Nutzerinnen und -Nutzer ist es also völlig normal, Tickets online zu lösen. Und doch ist die Empörung oft gross, wenn die SBB Schliessungen ankündigen. Eine Kritik, die vor allem zu hören ist: Unter dem Abbau des Service public litten besonders die Senioren, weil sie mit der Digitalisierung überfordert seien.

Aber stimmt das wirklich? Der Blick auf zwei Gemeinden zeigt: Schalterschliessungen werden ganz unterschiedlich wahrgenommen.

Mit fast 5000 Unterschriften nach Bern

In Andelfingen im Zürcher Weinland ging gefühlt das ganze Dorf auf die Barrikaden, um das Reisezentrum zu erhalten. Die Ortsparteien schickten einen Protestbrief an die SBB. Und Sonja Baumann, die im Dorf lebt, lancierte eine Petition.

Baumann sagt: «Wenn die SBB Schalter schliessen, wird die ältere Generation abgehängt.» Vielen Senioren falle der Umgang mit dem Handy schwer, und nicht alle Funktionen seien auf der App verfügbar. Gruppenreisen beispielsweise seien viel schwieriger zu buchen.

Sie selbst fährt regelmässig mit ihrer Familie im Zug ins Wallis in die Ferien und gibt jeweils das Gepäck in Andelfingen auf. «Mit kleinen Kindern ist das sehr praktisch.» Am Schalter in Andelfingen habe sie die Erfahrung gemacht, dass auch junge Menschen persönliche Beratungen schätzten. Wenn das Reisezentrum schliesse, gehe ein wichtiges Angebot verloren.

Die Reaktionen auf ihre Petition bestärkten Baumann in ihrer Meinung. Innert weniger Wochen sammelte sie über 4700 Unterschriften, mehr, als Andelfingen Einwohner hat. Auch Personen aus den umliegenden Gemeinden haben unterzeichnet. Die 43-Jährige reiste Anfang Oktober nach Bern, um dem Leiter Vertrieb und Services bei den SBB die Unterschriften persönlich zu übergeben.

Kleine Schalter verschwinden, die grossen werden ausgebaut

In den letzten Jahren haben die SBB zahlreiche Schalter geschlossen. Besonders bei den kleinen lohnt sich der Betrieb finanziell nicht mehr. Es ist aber mitnichten so, dass grundsätzlich jeder Schalter dem Untergang geweiht wäre. Die Nachfrage ist durchaus da. Gerade im Zürcher Hauptbahnhof stehen Touristen oft Schlange, um Bahnreisen zu buchen.

Die SBB geben denn auch an, dass in den mittleren und grösseren Reisezentren der Wunsch nach persönlicher Beratung für «komplexere Anliegen» zunehme. Deshalb wurden seit 2022 zahlreiche Reisezentren in der Region Zürich erneuert, darunter jenes im Hauptbahnhof und im Flughafen.

Der Tenor ist klar: Ein simples Billett von A nach B sollen Bahnreisende möglichst selbst lösen – am Laptop, in der SBB-App oder am Automaten. Das gilt auch für Buspassagiere im Kanton Zürich. Der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) stellt per Ende Jahr den Ticketverkauf beim Fahrpersonal in Bussen ein.

Auch hier hat die Nachfrage abgenommen, zudem sind die Verkaufsgeräte alt. Und nicht zuletzt kommt es auf stark frequentierten und eng getakteten Linien immer wieder zu Verspätungen, wenn Passagiere ihr Billett im Bus lösen.

Bleibt die Frage: Wird den Senioren der Zugang zum öV tatsächlich erschwert, wenn nach und nach Schalter dichtgemacht werden?

In Wald nimmt man die Schliessung sportlich

In der Gemeinde Wald sagt der 70-jährige Paul Ziegler: «Sich über die Schalterschliessung zu ärgern, bring nichts.» Ziegler ist einer von sieben Freiwilligen der «Computeria» im Dorf. So heisst das Angebot von Pro Senectute in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Alter und der Bibliothek in Wald. Einmal pro Monat erhalten Seniorinnen und Senioren Hilfe im Umgang mit dem Laptop, dem Handy oder dem Internet.

Sie lernen, wie man eine E-Mail-Adresse einrichtet, Zahlungen per E-Banking erledigt oder Schreibprogramme nutzt. Am 7. November wird es eine «Spezialausgabe» zu Ticketkäufen geben, an der auch Mitarbeitende des ZVV anwesend sind.

Ziegler selbst hat den Schalter am Bahnhof schon lange nicht mehr benutzt und findet die verschiedenen Funktionen in der SBB-App praktisch. Die Erfahrung aus der Computeria zeigen dem pensionierten Elektroniker: «Wer ein Handy hat, kann bald auch die App bedienen.»

Am einfachsten findet er die Funktion Easy Ride. Vor der Reise checkt man in der App mit einer Wischbewegung ein, nach der Reise mit einem Wisch wieder aus. So wird automatisch das günstigste Ticket für die Strecke berechnet. «Das verstehen eigentlich alle.» Vorbehalte gebe es am ehesten, wenn die Kreditkarte hinterlegt werden müsse, sagt Ziegler. «Aber man kann ja auch mit Twint oder Rechnung bezahlen.»

Anders als in Andelfingen ist der Protest gegen die Schalterschliessung in Wald ausgeblieben. Der Gemeindeschreiber Martin Süss sagt, bisher seien keine Reklamationen zur Gemeinde durchgedrungen. Auch er plädiert dafür, Seniorinnen und Senioren anzuleiten, wie sie Bahn- und Busbillette online kaufen können. Dies sei eine gute Möglichkeit, Neues zu lernen, sagt Süss. «Wer am öffentlichen Leben teilnehmen will, kommt heute um ein Handy oder eine Kreditkarte nicht herum.»

In Andelfingen hat Sonja Baumann derweil Bescheid bekommen, dass die SBB den Schalter im Dorf definitiv nicht weiterbetreiben werden. Sie ist enttäuscht. Baumann hatte vorgeschlagen, die Dienstleistungen alternativ in den Bahnhofkiosk, in die Post oder das nahe Reisebüro auszulagern. Doch auch dies hätten die SBB abgelehnt.

Wer persönliche Beratung am Schalter möchte, muss ab dem nächsten Jahr von Andelfingen nach Winterthur oder Schaffhausen fahren – oder lernen, wie man Billette online löst.

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