Günstige Anlagen wie marktgewichtete ETF boomen. Die enorme Popularität hat zu einem markanten Renditerückenwind für passive gegenüber aktiven Strategien geführt. Dieser Effekt ist allerdings vorübergehend und ist mit neuartigen Risiken verbunden.
In den USA ist seit Anfang dieses Jahres eine Diskussion über den Einfluss passiver Anlagen auf die Bewertungen von Unternehmen im Gange. Diese wurde unter anderem durch den Podcast-Auftritt des bekannten Fondsmanagers David Einhorn ausgelöst, der einst durch die Leerverkäufe von Lehman Brothers während der Finanzkrise 2008 berühmt wurde. Er behauptet, die Märkte seien aufgrund der zunehmenden Dominanz passiver Anleger grundlegend gestört. David Einhorn stützt sich grösstenteils auf die Analysen des CIO der US-Investmentgesellschaft Simplify, Michael Green.
Je mehr sich ein Titel verteuert, desto höher das Gewicht
In einem marktgewichteten Aktienprodukt wird jedes Unternehmen proportional zur frei handelbaren Marktkapitalisierung gewichtet. Diese ergibt sich, indem man den Marktpreis mit der Anzahl der ausstehenden Aktien multipliziert. Da sich Letztere meist nur moderat ändern, spielt der Marktpreis für Gewichtungsveränderungen eine dominierende Rolle. Je mehr sich ein Titel verteuert, desto mehr Gewicht erhält er im passiven Portfolio.
Fundamentale Unternehmenskennzahlen wie die Profitabilität oder das Wachstum haben dagegen keinen direkten Einfluss. Dahinter steckt die Annahme, dass Märkte effizient sind und der Preis für eine Aktie die beste Schätzung für den inneren Wert eines Unternehmens darstellt.
Nach der allgemeinen Vorstellung verhält sich der Investor dabei neutral und hat keinen Einfluss auf das Marktgeschehen, da er nur den Markt repräsentativ abdeckt. Dies gilt allerdings nicht für Zu- und Abflüsse in passive Strategien oder die Änderung der Zusammensetzung des Portfolios. Für jeden Franken Zufluss in einen marktgewichteten Exchange Traded Fund (ETF) müssen im entsprechenden Umfang Aktien erworben werden.
Genau diese Kapitalflüsse haben in den vergangenen zwanzig Jahren zu massiven Verschiebungen innerhalb der Kapitalmärkte geführt. Die Wissenschafter Alex Chinco und Marco Sammon schätzen den Anteil marktgewichteter Strategien per Ende 2021 auf 35%, heute gehen wir von ca. 40% Anteil am US-Aktienmarkt aus. Somit beeinflussen passive Strategien das Marktgeschehen immer stärker.
Besonders die grössten Unternehmen profitieren überproportional stark von den Zuflüssen in marktgewichtete Strategien. Selbst wenn Fondsmanager nicht den Markt repräsentativ (passiv-nah) abbilden müssen, sind viele Strategien mandatiert, die Abweichungen zur Benchmark auf ein gewisses Mass zu reduzieren. Viele sind damit gezwungen, grosskapitalisierte Titel wie Apple, Microsoft oder Nvidia zu halten, ungeachtet der Bewertung. Dadurch sind de facto viel weniger Aktien im Umlauf, als die Anzahl der frei handelbaren Titel suggeriert.
Kommt es zu Zuflüssen bei marktgewichteten Strategien, werden proportional zur freien Marktkapitalisierung Aktien erworben, mit dem Effekt, dass der Preisdruck bei den grössten Aktien am stärksten ist. Valentin Haddad, Paul Huebner und Erik Loualiche haben das in einem Arbeitspapier dokumentiert. Diese marginalen Änderungen kumulieren sich über Zeit zu grossen Abweichungen, sind aber bei einer kurzfristigen Betrachtung kaum zu erkennen. Das relative Handelsvolumen nimmt mit der Unternehmensgrösse tendenziell ab.
Darüber hinaus muss man davon ausgehen, dass die Verschiebung weg von aktiv verwalteten hin zu marktgewichteten Produkten erheblichen Einfluss auf die Bewertung der Unternehmen hat. So müssen beispielsweise aktive Value-Manager bei einem Mittelabfluss Teile ihres Portfolios liquidieren und «günstige» Unternehmen verkaufen, was zusätzlich systematisch dazu führt, dass diese Unternehmen noch günstiger werden und die Rendite des Managers entsprechend schlechter. Dadurch nehmen die Verzerrungen zu und die Märkte werden in der Tendenz ineffizienter. Wie gross dieser Effekt genau ist, lässt sich nur schwer schätzen, aber angesichts der massiven Verschiebungen ist der Einfluss erheblich.
Kleine Unternehmen schaffen es nicht in den Index
Ein weiterer wichtiger Faktor in der Strategiezusammenstellung ist die Frage, wie viele Titel in ein marktgewichtetes Portfolio aufgenommen werden sollen. Grundsätzlich gibt es Tausende an der Börse gelistete Unternehmen, viele davon sind sehr klein. Grosse Indexanbieter wie S&P, MSCI und Nasdaq definieren fixe Grenzen. So sind zum Beispiel im S&P 500 rund die 500 grössten Unternehmen aufgeführt, und im MSCI World befinden sich derzeit ca. 1600 Aktien.
Das ist deshalb von Bedeutung, weil genau diese Indizes sehr weit verbreitet als passive Portfolios abgebildet werden. Kleinere Aktien werden systematisch von Mittelzuflüssen abgeschnitten. Das bietet eine Erklärung für die Small-Cap-Schwäche in den letzten fünfzehn Jahren, die insbesondere in den USA sehr stark ausgeprägt ist.
Weitläufig bekannt ist mittlerweile die Rekordhöhe der Konzentration: Die zehn schwersten Aktien machen mittlerweile 31,5% des US-Aktienmarktes aus. Bisher lief dies zum Vorteil der passiven Anleger, aber der Schweizer Markt hat beispielhaft in den letzten Jahren illustriert, was es bedeutet, wenn Schwergewichte ins Straucheln geraten. Roche, Nestlé und Novartis hatten einen erheblichen Anteil an der relativen Schwäche des Schweizer Marktes. Darüber hinaus sind marktgewichtete Strategien, getrieben von den grossen Schwergewichten, derzeit historisch gemessen sehr teuer, wodurch langfristig mit niedrigeren Renditen gerechnet werden muss.
Am Ende stellt sich die Frage, was das für Investoren bedeutet. Abhilfe innerhalb der Aktienmärkte schafft hier nur eine Abweichung von passiven Strategien. Hierbei bieten sich Satelliten-Strategien als Beimischung zum Portfolio an, die bewusst stark von der Marktkapitalisierung abweichen.
Gerade Aktien im Small-Cap-Bereich, aber auch ausserhalb der USA, scheinen historisch gemessen normal bis günstig bewertet zu sein. Daneben gibt es eine Vielzahl von Strategien, auch in kostengünstiger Form, die Konzentrationsrisiken vermeiden und den Fokus mehr auf den fundamentalen Wert eines Unternehmens legen.
«Passive» Anlagen sind langfristig kaum die beste Lösung
Allerdings darf dabei nicht ausgeblendet werden, dass marktgewichtete Strategien über die vergangenen Jahre sehr viel Wert für Investoren geschaffen haben. Viele überbezahlte und schlechte Fondsmanager wurden zu Recht mit Abflüssen bestraft. Der Markt macht eine Bereinigung durch, und heute gibt es eine viel bessere Produktlandschaft als in der Vergangenheit. Die Kosten dürften nachhaltig tief bleiben.
Wir sind allerdings skeptisch, ob «passive» Anlagen in der heutigen Form langfristig die beste Lösung innerhalb des Aktienmarktes darstellen. Der strategische Rückenwind kann noch einige Zeit, aber sicher nicht für immer anhalten. Dies bietet Chancen für aktive Manager, die die durch passive Anlagen geschaffenen Ineffizienzen auszunutzen wissen. Zwar stimmt das Bonmot, dass Abweichungen vom Gesamtmarkt am Ende ein Nullsummenspiel sind, allerdings verhalten sich auch passive Investoren in diesem Spiel nicht neutral.
Zu den Autoren
Marcial Messmer und Ulrich Carl
Dr. Marcial Messmer und Dr. Ulrich Carl sind Gründer der Boutique mu Capital Management, die sich auf das Thema Aktienselektion mit KI spezialisiert hat. Bereits in ihren Promotionen fokussierten sich beide auf dieses Thema und haben bei verschiedenen Boutiquen sowie zuletzt bei UBS Asset Management institutionelle Aktienstrategien betreut.
Quellen:
Chinco, A., & Sammon, M. (2024). The Passive-Ownership Share Is Double What You Think It Is. SSRN Electronic Journal. https://doi.org/10.2139/ssrn.4188052
Haddad, V., Huebner, P., & Loualiche, E. (2024) How Competitive is the Stock Market? Theory, Evidence from Portfolios, and Implications for the Rise of Passive Investing. SSRN Electronic Journal. https://doi.org/10.2139/ssrn.3821263
Ritholtz, B. (2024) Interview with David Einhorn. Masters in Business. https://www.bloomberg.com/news/audio/2024-02-08/masters-in-business-david-einhorn-podcast