Das ehemalige Schlachtfeld zu einem Ort der regionalen Zusammenarbeit geworden. Doch jetzt streiten die Staatsoberhäupter Österreichs, Tschechiens und der Slowakei in Austerlitz über Trump und die Ukraine.
Es war die Sonne von Austerlitz, die Napoleon seinen grössten Sieg bescherte. Um 9 Uhr morgens brach sie am 2. Dezember 1805 durch den tschechischen Nebel, in dem sich die französische Armee versteckt hielt. Napoleon hatte auf diesen Moment, «le beau soleil d’Austerlitz», gewartet, um die Russen und die Österreicher mit einem Überraschungsangriff zu überrennen. Der Triumph in der sogenannten Dreikaiserschlacht machte den Franzosen zum Herrscher Europas.
Die Sonne scheint auch 220 Jahre später, als im heutigen Slavkov erneut drei Staatsoberhäupter aufeinandertreffen. Doch weil sich die Geschichte nicht wiederholt, sondern nur reimt, sind es keine Kaiser, sondern die Präsidenten Österreichs, Tschechiens und der Slowakei. Die Vertreter von Kleinstaaten aus der Erbmasse des Habsburgerreichs zelebrieren die Freundschaft. «Wie schön», sagt der Österreicher Alexander Van der Bellen, «dass Austerlitz nicht mehr für die Konfrontation europäischer Mächte steht, sondern für die Kooperation von Nachbarn.»
Der Krieg ist mehr als ein Zaungast
Es ist leicht, an diesem warmen Frühlingstag Krieg und Grossmächte zu vergessen. Das Schloss Austerlitz wirkt wie eine idyllische Insel des Friedens mit seinen barocken Prachtsälen und dem weitläufigen Garten. Hier schlug Napoleon nach der Schlacht sein Hauptquartier auf, um sich zu erholen. Daran erinnern Restaurants und Hotels im Ort mit seinem Namen und zwei Kanonen im Hof. Auch Soldaten sind für den Slavkov-Gipfel gekommen. Doch die Ehrengarde muss nur den Präsidenten salutieren und die Nationalhymnen spielen.
Dass am Ende dennoch fast nur von Trump und der Ukraine die Rede ist, liegt nicht nur an den turbulenten letzten Tagen, sondern auch an den Präsidenten. Diese beschränken sich nicht auf Gespräche über neue Autobahnen und Innovationen, sondern äussern sich erstaunlich pointiert über die Weltpolitik. Das liegt auch daran, dass die Nato-Staaten Tschechien und Slowakei für zwei Pole der Diskussion stehen: Petr Pavel, einst tschechischer Generalstabschef, unterstützt die Ukraine resolut. Sein Amtskollege Peter Pellegrini hingegen steht einer Regierung nahe, die jüngst grosse Schritte auf Moskau zuging.
Einig sind sie sich darin, dass Europa Verantwortung für seine Sicherheit übernehmen muss, aber militärisch zu schwach ist, um einen Ausfall der USA aufzufangen. Und während Pavel hofft, dass Washington die Militärhilfe bald wieder aufnimmt, fordert Pellegrini Dankbarkeit von Kiew. «Die Unterbrechung ist ein erhobener Zeigefinger Trumps gegenüber Selenski», sagt der Slowake. Die Ukraine müsse auch an Europa Zugeständnisse machen, etwa indem sie den Gastransit wieder erlaube.
Pellegrini glaubt, dass es in der Ukraine erst Frieden gibt, wenn Kiew Gebiete abtritt. «Ein ‹Frieden› zu den Bedingungen des Aggressors nennt sich Kapitulation», sagt hingegen Pavel. Die Diskussionen der drei Präsidenten finden passenderweise ausgerechnet in dem Schlosssaal statt, wo die Kaiser 1805 den Waffenstillstand unterzeichneten. Die österreichisch-russische Niederlage führte damals zu neuen Grenzen in Europa und zum Kollaps des Heiligen Römischen Reiches.
Europas Einheit und die Koalition der Willigen
Eine Spaltung Europas fürchtet auch Pellegrini: «Die EU darf keine Signale der Zersplitterung aussenden.» Als solche sieht er auch eine «Koalition der Willigen» für eine klare Unterstützung der Ukraine. Pavel hingegen hält solche Allianzen für unabdingbar, um die militärische und politische Lähmung der EU zu überwinden. Er fordert Sicherheitsgarantien für die Ukraine mit abschreckender Wirkung. Der ehemals höchste Nato-General des Kontinents ist aber Realpolitiker genug, um die mögliche Entsendung europäischer Sicherheitstruppen in die Ukraine skeptisch zu sehen. «Diese müssten alle Seiten akzeptieren», also auch Russland. Doch Moskau will davon nichts wissen.
Das Treffen in Slavkov zeigt, wie die Weltlage selbst enge Nachbarn und Nato-Mitglieder wie Tschechien und die Slowakei entzweit. Auf der zentraleuropäischen Friedensinsel, die erst nach den brutalen Schlachten der letzten zweihundert Jahre entstand, herrschen Schock und Ratlosigkeit. Die Akteure, die sich hier heute treffen, sind keine Treiber der Ereignisse mehr, sondern Getriebene.
Und doch gelingt es Alexander Van der Bellen, diesem bedächtig-philosophischen und manchmal etwas schläfrig wirkenden Staatsmann, Worte zu finden, die der Dramatik des Moments im geschichtsträchtigen Austerlitz gerecht werden. «Wir sind Zeuge einer historischen Eskalation», sagt der Präsident des neutralen Österreichs. Die Amerikaner seien dabei, sich von Europa abzuwenden, ein Bruch in den Beziehungen nicht mehr ausgeschlossen. «Die USA haben uns achtzig Jahre lang behütet, und wir haben uns darauf ausgeruht. Nun haben sich die Verhältnisse geändert.»