Sie musste vor den Franzosen in Sicherheit gebracht werden, im Zweiten Weltkrieg flehten Nazi-Soldaten bei ihr um Hilfe. Die bewegte Geschichte der Schwarzen Madonna von Einsiedeln.
Ruhig steht sie da, mit verklärtem Gesichtsausdruck, das Kind auf dem linken Arm, das Zepter in der Rechten. 117 Zentimeter ist sie gross und schlank, die Schwarze Madonna. Seit Jahrhunderten pilgern Menschen aus aller Welt zu ihr nach Einsiedeln.
Am Wochenende beschädigte ein junger Asylbewerber aus Afghanistan das Wahrzeichen des Klosters. Der junge Mann soll verwirrt gewirkt haben. Laut Medienberichten war er in psychiatrischer Behandlung. Vor den Augen der betenden Pilger entkleidete er die Figur, die unter einem Freskengewölbe in der Gnadenkapelle aus schwarzem Marmor steht. Dann setzte er sich selbst die Krone auf, wie in Videoaufnahmen zu sehen ist. «Wir bedauern diesen Vorfall zutiefst und denken an die vielen Menschen, die vor Ort in ihren religiösen Gefühlen verletzt worden sind», schreibt das Kloster.
Rauch und Russ dunkelten die Madonna ein
Die Madonna hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Irgendwann zwischen 1440 und 1464 wurde sie in Süddeutschland im spätgotischen Stil geschnitzt. Seit 1466 steht sie in der Heiligen Kapelle in Einsiedeln. Sie folgte auf ein älteres Madonnenbild, das im Vorjahr bei einem Brand zerstört worden war. Dabei waren sie und das Jesuskind ursprünglich wohl hell gefasst. Es waren der Rauch und der Russ der zahlreichen Kerzen, die die Madonna von Einsiedeln über die Jahrzehnte dunkel werden liessen, so dass man bereits im 17. Jahrhundert von der «Schwarzen Madonna von Einsiedeln» sprach.
Schwarze Madonnen in aller Welt werden als Gnadenbilder verehrt und gelten als besonders wundertätig. Die dunkelhäutige Gottesmutter mit dem Jesuskind tauchte im Mittelalter plötzlich auf. Einige der berühmtesten sind – neben jener in Einsiedeln – die Schwarze Madonna von Altötting und die Schwarze Madonna von Tschenstochau in Polen. Besonders viele schwarze Madonnen findet man in Frankreich. Auch die orthodoxe Kirche kennt die schwarze Muttergottes.
Einige, wie jene in Einsiedeln, sind aufgrund von Verfärbungen dunkel geworden. Viele wurden jedoch dunkel gestaltet, wobei es unterschiedliche Theorien für das Warum gibt. So führen es einige auf das Hohelied der Liebe im Alten Testament zurück, wo es heisst: «Ich bin schwarz, aber schön.» Andere bringen die Madonna mit heidnischen Kulten und Fruchtbarkeitsgöttinnen in Verbindung, die oft dunkel dargestellt wurden. So geht man beispielsweise bei der Madonna von Guadeloupe davon aus, dass ihre Hautfarbe derjenigen der lokalen Bevölkerung nachempfunden ist.
Dreissig Kleider und ein eigener Garderobier
Einsiedeln war bereits im Mittelalter ein Anziehungspunkt für Wallfahrer. 260 000 Besucher zählte das Kloster für das Jahr 1720. In den letzten Jahren waren es rund 800 000 Besucher jährlich.
Neben Katholiken pilgern auch andere Gläubige seit Jahrhunderten zur Schwarzen Madonna von Einsiedeln. 1605 reiste der Legende nach eine reformierte Mutter mit ihrem schwerkranken Sohn nach Einsiedeln und bat um die Heilung des Kindes. Sie setzte sich damit über das Wallfahrtsverbot für Reformierte hinweg.
1798 fielen die Franzosen in die Schweiz und auch in Einsiedeln ein. Die Mönche waren zuvor geflohen und hatten die Madonna mitgenommen. Sie versteckten sie an verschiedenen Orten, vergruben sie in der Erde. Dann kam die Figur in die Propstei St. Gerold, wo sie restauriert wurde.
Im Restaurationsbericht hiess es: «Nachdem ich von dem Angesichte alles abfällige und leicht auflösliche wegnahm, die festen Farbtheile aber, soviel möglich, ausglättete, so mahlte ich alsdann das ganze Angesicht sowohl der Mutter als des Kindes mit schwarzer, der vorigen, ähnlichen Farbe.»
Seit 1799 sind die Madonna und ihr Jesuskind also vollends schwarz angemalt. 1803 kehrten sie zurück nach Einsiedeln.
Über die Jahre hat die Schwarze Madonna eine beachtliche Garderobe ansammeln können. Seit dem 17. Jahrhundert trägt sie kegelförmige, bodenlange Kleider, die von der spanischen Hoftracht inspiriert waren. Einer der Mönche des Klosters waltet heute als Garderobier über die mittlerweile rund dreissig Gewänder. Viele davon waren Schenkungen von Fürsten, aber auch von gewöhnlichen Gläubigen.
Das Gewand der Madonna wird mehrmals im Jahr gewechselt, den liturgischen Farben des Kirchenjahrs entsprechend. Im Advent trägt sie ein violettes Kleid, ebenso in der Buss- und Fastenzeit. An Pfingsten ist es rot. An Hochfesten trägt sie ein weisses Gewand. Grün trägt sie im Alltag. Auch Armbänder, Ohrringe und Zepter werden gewechselt. In den letzten Jahren haben auch ein indischer Hindu und eine Zürcher Muslimin Kleider gespendet.
Wehrmachtssoldaten flehen die Madonna um Hilfe an
Die Schwarze Madonna von Einsiedeln erhielt immer wieder Post von Hilfesuchenden. Bereits im Ersten Weltkrieg waren Hilferufe von Soldaten und ihren Angehörigen an die Madonna eingegangen. Im Zweiten Weltkrieg flehten unter anderem Wehrmachtssoldaten, die vor Stalingrad feststeckten, die Madonna um Hilfe an. Das zeigen rund 600 Fotos, die 2014 in der Sakristei der Gnadenkapelle gefunden wurden. «Liebe Gottesmutter, beschütze mich!», heisst es da auf den Rückseiten der Fotos. Einer fleht die Gottesmutter an, für ihn zu beten, «damit ich mein Elternhaus wieder besuchen darf».