Mittwoch, Oktober 2

Ausländer aus Drittstaaten bekommen vom Schweizer Steuerzahler das Studium finanziert, doch nur jeder Siebte tritt hier eine Stelle an. Einer von ihnen ist der ETH-Doktorand Navin Kumar: Er würde gerne in der Schweiz bleiben, hat aber trotz Spitzennoten Schwierigkeiten bei der Stellensuche.

An den Schweizer Universitäten und Hochschulen hat diese Woche das Semester begonnen. An der ETH Zürich haben sich so viele Studenten wie noch nie eingeschrieben.

Einer von ihnen ist der 31-jährige Doktorand Navin Kumar. Kumar heisst eigentlich anders, will in der Zeitung aber anonym erscheinen – er fürchtet sich vor negativen Reaktionen.

Die Geschichte von Kumar ist eine, wie sie jedes Jahr Tausende Studenten aus sogenannten Drittstaaten erleben: Sie kommen aus einem Staat ausserhalb der EU und der Efta in die Schweiz, um hier zu studieren. Sie eignen sich Qualifikationen an, die am Arbeitsmarkt dringend gesucht sind. Doch nach dem Abschluss ihres Studiums verlassen sie das Land wieder. Manche freiwillig, andere aber nicht.

Topnoten – aber den falschen Pass

Kumar kam im Jahr 2018 in die Schweiz. Er studierte Technologie und Wirtschaft, schloss seinen Master mit einem Notenschnitt von 5,8 ab. Die ETH zeichnete seine Abschlussarbeit mit der Bestnote und einer Ehrenmedaille aus.

Im Anschluss begann Kumar an der ETH ein Doktorat, seine Dissertation schreibt er zu einem wirtschaftlich hoch relevanten Fachbereich: Er untersucht, wie Unternehmen die künstliche Intelligenz ideal einsetzen können. Es ist ein Bereich, in welchem viele Firmen gegenwärtig um die besten Talente ringen.

Kumar würde gerne hier eine Stelle finden, eine Familie gründen, ein Leben führen. Ob das funktioniert, ist jedoch ungewiss. Denn Kumar bekommt hierzulande keinen Job, weil er aus einem Drittstaat in Südasien kommt.

Will er in der Schweiz eine Stelle antreten, muss sein Arbeitgeber beim Kanton eine Arbeitsbewilligung beantragen – ein Umweg, den viele Firmen nicht gehen wollten, sagt Kumar: «Oft schauen sich die Personalabteilungen meine Unterlagen gar nicht an.»

Günstiges Studium, strenge Kontingente

Kumar ist mit diesem Schicksal nicht allein. 3500 Personen ohne Pass der Schweiz oder eines EU-Landes schlossen im vergangenen Jahr an einer Schweizer Universität ein Studium ab. Doch nur rund 500 Ausländern aus Drittstaaten mit Schweizer Hochschulabschluss gelang es laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) im vergangenen Jahr, eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Das ist gerade einmal jeder siebte Absolvent.

Gleichzeitig tragen Schweizer Steuerzahler einen erheblichen Teil der Kosten der Ausbildung der betreffenden Studenten. Diese zahlen zwar Studiengebühren. Doch diese sind weit entfernt davon, kostendeckend zu sein.

An der ETH beispielsweise lagen die Semestergebühren bis anhin bei 730 Franken, unabhängig von der Nationalität. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT), einer amerikanischen Hochschule mit ähnlichem Profil, kostet das Studium pro Jahr 62 000 Dollar. Selbst wenn sich die Studiengebühren für Ausländer ab nächstem Herbst verdreifachen, ist ein ETH-Studium im internationalen Vergleich günstig.

Dennoch setzt die Schweiz für diese Studenten bei ihrem Eintritt in den Arbeitsmarkt hohe Hürden.

Bürokratischer Zusatzaufwand schreckt ab

Pro Jahr dürfen Unternehmen schweizweit maximal 8500 Fachkräfte aus Drittstaaten anstellen: 4500 mit einer regulären Aufenthaltsbewilligung, 4000 mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung für maximal ein Jahr.

Die Kontingente sind nach Wirtschaftskraft auf die Kantone verteilt. Das Bewilligungsverfahren ist jedoch je nach Kanton unterschiedlich. Es dauert in der Regel einige Wochen, bis die Beteiligten Bescheid bekommen. Hat ein Kanton seine Kontingente erreicht, kann er beim Bund weitere beantragen.

Der antragstellende Arbeitgeber muss im Bewilligungsgesuch darlegen, wieso er die offene Stelle nicht mit einem Inländer oder einem Bürger eines EU- oder Efta-Landes besetzen kann. Dafür muss die Firma der Behörde etwa eine Liste mit Bewerbern vorlegen, sofern für die Branche nicht im Voraus ein ausgeprägter Fachkräftemangel angenommen werden kann. Das Amt soll damit nachvollziehen, was den Drittstaatler von allen anderen abhebt. Es ist ein bürokratischer Zusatzaufwand, der viele Unternehmen im Voraus abschreckt und dazu führt, dass Hochschulabsolventen aus Drittstaaten nur in wenigen Fällen eine Anstellung bekommen.

200 Bewerbungen, 3 Vorstellungsgespräche

Das hat in der Vergangenheit auch der ETH-Doktorand Navin Kumar zu spüren bekommen. Schon bevor er das Doktoratsstudium an der ETH 2021 begann, hatte er versucht, einen Job in der Privatwirtschaft zu finden. Kumar bewarb sich um über 200 Stellen, etwa bei Beratungs- oder Finanzunternehmen. Zum Bewerbungsgespräch wurde er nur drei Mal eingeladen.

Wenn Kumar für eine offene Stellenausschreibung seine Unterlagen einreichte, bekam er jeweils eine automatisierte Bestätigung, dass diese nun geprüft würden. Meistens kam es danach aber zu keiner weiteren Kontaktaufnahme durch das Unternehmen. Für die Mehrheit seiner Bewerbungen erhielt Kumar nicht einmal eine offizielle Absage. Rückfragen wurden häufig ignoriert.

Ähnliche Erfahrungen haben Kumars Studienkollegen gemacht, die ebenfalls aus Drittstaaten kommen: «Manche reichten aus Frust über die häufige Ablehnung ihren Lebenslauf ohne Angabe der Nationalität ein. Personalabteilungen signalisierten dann mehr Interesse als zuvor, brachen den Kontakt aber jeweils ab, sobald die Staatszugehörigkeit bekanntwurde», sagt Kumar.

Dabei gäbe es auf dem Papier für die Unternehmen Spielraum bei den Arbeitsbewilligungen für Personen aus Drittstaaten: Sie haben in den letzten Jahren die landesweiten Kontingente nicht vollständig ausgeschöpft. 2023 nutzte die Wirtschaft rund 75 Prozent der Kurz- und 80 Prozent der Aufenthaltsbewilligungen.

Ein Student ist selten ein ausgewiesener Spezialist

Daniella Lützelschwab, Ressortleiterin Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht beim Arbeitgeberverband, kennt die Problematik. Sie sagt, bei Studenten sei es generell schwer, eine Arbeitsbewilligung zu bekommen. Wer frisch von der Universität komme, habe oftmals noch keinen glaubhaften Nachweis, der ihn von allen anderen Bewerbern abhebe und so das Erfordernis für Drittstaatenbewerbungen erfülle.

Das erkläre, wieso es viele Unternehmen oftmals gar nicht erst versuchten, einen Hochschulabsolventen aus einem Drittstaat einzustellen, sagt Lützelschwab: «Wenn ein Unternehmen bereits im Voraus auf ein Bewilligungsgesuch verzichtet, hat es in der Vergangenheit wahrscheinlich erkannt, dass ein solches hoffnungslos wäre.»

Dass die Unternehmen fast nur aussichtsreiche Gesuche einreichen, zeigen Zahlen des Zürcher Amts für Wirtschaft und Arbeit: Die Bewilligungsquote liegt bei rund 90 Prozent. Weniger als 5 Prozent werden abgelehnt. Bei den restlichen Fällen ist entweder keine Bewilligung nötig, oder das Gesuch wurde vom Gesuchsteller wieder zurückgezogen.

Bundesrat soll nachbessern

Die Politik wollte unlängst für hier ausgebildete Ausländer wie den ETH-Doktoranden Navin Kumar den Eintritt in den Arbeitsmarkt erleichtern: Der Bundesrat schlug im Oktober 2022 vor, ausländische Hochschulabsolventen von der Kontingentregelung auszunehmen, wenn sie ihre Fähigkeiten in Branchen mit ausgewiesenem Fachkräftemangel einbringen wollen.

Daraus wurde vorerst jedoch nichts. Das Parlament wies die Vorlage an den Bundesrat zurück, die Ausnahmeregelung für Studenten verstosse gegen verfassungsrechtliche Prinzipien. Der Bundesrat bessert die Gesetzesrevision gegenwärtig nach, sie könnte bald wieder dem Parlament vorgelegt werden.

Der Arbeitgeberverband fände eine erleichterte Einbindung ausländischer Hochschulabgänger in den Arbeitsmarkt wünschenswert, sagt Daniella Lützelschwab: «Gerade in Branchen mit Fachkräftemangel ist es widersprüchlich, wenn hier ausgebildete und bereits integrierte Hochschulabsolventen nicht in der Schweiz bleiben können.»

Selbst SVP-Vertreter fordern tiefere Hürden

Kürzere Bewilligungsphasen wären eine Möglichkeit, dass Unternehmen besser mit ausländischen Mitarbeitern planen könnten, sagt Lützelschwab vom Arbeitgeberverband: «Wenn sich die Entscheidungsphase lange hinauszögert, besteht aus Sicht des Unternehmens die Gefahr, dass der Bewerber von sich aus abspringt und eine Alternative im Ausland findet.»

Selbst Vertreter der SVP, die Erleichterungen bei der Einwanderung in der Regel kritisch sehen, wollen Erleichterungen für ausländische Studenten. Domenik Ledergerber, Präsident der SVP Kanton Zürich, sagt: «Absolventen einer Hochschule müssen im Rahmen unserer Kontingente einen unbürokratischen Zugang zu unserem Arbeitsmarkt erhalten. Die nationalen Kontingente könnten so noch besser ausgeschöpft werden.»

Navin Kumar hat dennoch wenig Hoffnung, dass er mit einer Bewerbung um eine ausgeschriebene Stelle Erfolg hat. Stattdessen will er vermehrt auf sein Netzwerk zurückgreifen: Er führt eine Liste mit den Personen, die er in den letzten Monaten an Veranstaltungen kennengelernt hat. «Bei ihnen ist es viel realistischer, dass sie sich ernsthaft mit meinen Fähigkeiten auseinandersetzen.» Hat er mit seinen Bewerbungen weiterhin keinen Erfolg, wird er die Schweiz wieder verlassen müssen.

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