Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin haben in Washington den Boden für ein Handelsabkommen mit den USA gelegt. Eine Rückkehr zur Ordnung vor Trump gibt es aber kaum.
Die Schweiz muss sich bis zu ihrem Zoll-Deal mit Donald Trump gedulden, aber immerhin befindet sie sich in der Warteschlange weit vorne. Das ist die wichtigste Erkenntnis, die eine grosse Verhandlungsdelegation um Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin diese Woche aus Washington in die Schweiz zurückbringt.
Die Delegation traf sich am Rande der traditionellen Frühlingskonferenz von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) mit hochrangigen amerikanischen Regierungsmitgliedern. Am Mittwoch tauschte sich Parmelin mit Jamieson Greer aus, dem amerikanischen Handelsbeauftragten; am Donnerstag folgte ein Treffen von Keller-Sutter und Parmelin mit Scott Bessent, Trumps einflussreichem Finanzminister. Ziel war es, die enormen «reziproken» Importzölle von 31 Prozent wegzuverhandeln, mit denen der amerikanische Präsident der Schweiz seit dem 2. April droht.
Productive exchange with US Treasury Secretary @SecScottBessent in Washington: We discussed key economic issues and opportunities for enhanced collaboration between our two countries. @ParmelinG pic.twitter.com/exV4oxpJrw
— Karin Keller-Sutter (@keller_sutter) April 24, 2025
Milliardenversprechen reichen nicht
Die Schweiz gehört, wie Keller-Sutter am Donnerstagabend vor Schweizer Medien betonte, zu den 15 wichtigen Handelspartnern, mit denen die USA als Erstes einen Deal zur Beilegung des Zollstreits aushandeln will.
Scott Bessent hat schon vor Wochenfrist gesagt, dass er die Verhandlungen mit den «Big 15» prioritär behandeln wolle. Nun hat die Schweiz Gewissheit, dazuzugehören. Es liegt aber noch viel Arbeit vor den Unterhändlern, denn bis jetzt ist nicht einmal fixiert, über welche Themen verhandelt wird. Die Bundesräte liessen sich diesbezüglich am Donnerstag denn auch nicht in die Karten blicken.
Klar scheint, dass sich die Amerikaner nicht mit ein paar Investitionszusagen der Schweizer Grossunternehmen zufriedengeben werden. Roche hat etwa angekündigt, 50 Milliarden Dollar in die Produktion in den USA zu investieren, Novartis versprach 23 Milliarden. Bei Trump kommen solche hohen Beträge gut an, wenn er sie als sein persönliches Verdienst verkaufen kann. Aber für den Abbau seiner «reziproken» Zölle will er wohl mehr herausschlagen.
Goodwill kann sich die Schweiz womöglich auch über eine engere Kooperation beim Aufbau des amerikanischen Lehrlingswesens sichern. Trump hat am Mittwoch eine Berufsbildungsinitiative angekündigt und versprochen, bald mehr als eine Million Lehrstellen im Land zu unterstützen. Parmelin hat sich am Donnerstag mit der amerikanischen Bildungsministerin Linda McMahon hierzu ausgetauscht und hat die frühere Chefin eines bekannten Wrestling-Vermarkters für weitere Gespräche in die Schweiz eingeladen.
«Nicht so kompliziert»
Investitionszusagen und das Lehrlingswesen taugen als Schmiermittel; verhandelt wird aber über Zölle, nichttarifäre Handelshemmnisse, Subventionen und Steuern, und vor allem: über den Handel mit Gütern. «Die Dienstleistungen waren kein Thema», stellte Keller-Sutter klar.
Das ist für die Schweiz ein Wermutstropfen; die Amerikaner halten also an ihrer eigenartigen Lesart fest, dass der Güterhandel wichtiger sein soll als der Austausch von Dienstleistungen. Für die Schweiz ist das von Nachteil, weil sie im Güterhandel mit den USA einen grossen Überschuss aufweist – was Trump nicht mag. Im Dienstleistungshandel verzeichnet sie dagegen ein Defizit, weil die Schweizer fleissige Nutzer von Google, Netflix oder Microsoft sind. Damit liesse sich ein Teil des Güterhandelsüberschusses kompensieren – wenn die Amerikaner diese Rechnung denn zuliessen.
Auch einen genauen Zeitplan gibt es gemäss Keller-Sutter und Parmelin noch nicht. Als Nächstes soll nun ein Letter of Intent, also eine Absichtserklärung, aufgesetzt werden. Darin wird genauer abgesteckt, welche Themenfelder Teil der Verhandlung sein sollen. Sobald diese Erklärung bestehe, könne es schnell gehen, sagt die Bundespräsidentin. «Es ist ja nicht so kompliziert, eigentlich.» Die Schweiz will aufs Tempo drücken, denn: Die Wirtschaft könne mit allem leben, auch mit schlechten Lösungen und Gesetzen – «aber nicht mit Unsicherheit».
Nach Trumps versöhnlicheren Aussagen während der letzten Tage gehen an den Finanzmärkten derzeit viele Akteure davon aus, dass er den «Basiszoll» von 10 Prozent auf alle Importe beibehalten will, aber ein grosser Teil der länderspezifischen «reziproken» Zölle nie zur Anwendung kommen wird. Keller-Sutter will diese 10 Prozent aber nicht als Fait accompli akzeptieren. «Die Absicht muss sein, auf null Prozent zu gehen»; die Schweiz erhebe ihrerseits ja keine Industriezölle.
Beschränkter Spielraum bei Agrarzöllen
Tempo ist für den Bundesrat nicht die einzige Richtschnur; rote Linien gibt es ebenfalls. Wirtschaftsminister Parmelin sagte, man habe die Gesprächspartner daran erinnert, dass für die Schweiz «die Landwirtschaft ein Synonym für die nationale Sicherheit ist», aus geografischen und historischen Gründen, und dass man die Abhängigkeit vom Ausland im Rahmen halten müsse. «Das haben sie verstanden.»
Ein radikaler Abbau der sehr hohen Schweizer Agrarzölle ist somit nicht zu erwarten. Der Handelsbeauftragte habe erwidert, so Parmelin, dass die USA keine Sonderbehandlung wünschten, aber nicht schlechter behandelt werden wollten als die EU und andere Handelspartner. Parmelin ergänzte, dass es bei den Einfuhrzöllen für Produkte wie Mandeln oder Avocados, die in der Schweiz nicht hergestellt werden, Verhandlungsspielraum gebe.
Ob dieser Spielraum ausreicht, bleibt abzuwarten. Ein Abkommen ganz ohne die Landwirtschaft zu zimmern, würde sicher schwierig werden. Das zeigt ein Bericht des US-Handelsbeauftragten über die Hürden, welche die Handelspartner amerikanischen Exporteuren in den Weg stellen. Die drei Seiten zur Schweiz drehen sich zu einem guten Teil um die Abschottung der Landwirtschaft: Direktzahlungen, Zölle, Mengenbeschränkungen für Importe sowie das Gentech-Moratorium werden im Dokument aufgeführt.
«Tödliche» 31 Prozent
Der Auftritt der Bundesräte in Washington macht deutlich, dass sich die offizielle Schweiz mit dem schwierigen und unberechenbaren Akteur Trump arrangiert hat. Sie hatte bis am 2. April auf eine vergleichsweise milde Behandlung gehofft – und wurde völlig auf dem falschen Fuss erwischt, als Trump seine Schautafel mit den «reziproken» Zöllen in die Kamera hielt.
Der auf die Schweiz angewandte Zollsatz von 31 Prozent ist nicht auf bestehende Handelsbarrieren zurückzuführen, sondern einzig auf das grosse amerikanische Defizit im bilateralen Güterhandel. Bundespräsidentin Keller-Sutter betonte am Donnerstag nochmals, dass 31 Prozent für die Schweizer Exportwirtschaft «tödlich» wären; die Uhrenhersteller oder Maschinenbauer könnten sich das nicht leisten.
Die Schweiz hat alle diplomatischen Kanäle aktiviert, um das Unheil noch abzuwenden. Auf untergeordneter Ebene sind ständig Gespräche in Gange; die Seco-Chefin und Staatssekretärin Helene Budliger Artieda ist bereits zum dritten Mal in wenigen Wochen nach Washington gereist. Bundespräsidentin Keller-Sutter telefonierte eine Woche nach Trumps «Tag der Befreiung» mit dem amerikanischen Präsidenten.
Ganz vorne in der Warteschlange ist die Schweiz trotz den Bemühungen nicht. Am Donnerstag sagte Scott Bessent, dass er bilaterale Verhandlungen mit Südkorea geführt habe. Diese würden sehr schnell und erfreulich voranschreiten. Man könne womöglich bereits nächste Woche ein Memorandum of Understanding präsentieren – also die Eckwerte einer möglichen Übereinkunft. Die Gespräche mit der Schweiz erwähnte Bessent da noch nicht.
Trump unter Zugzwang
Der Schweiz kommt jedoch zugute, dass sich Trump mit seiner radikalen Zollstrategie selbst unter Druck gesetzt hat. In Umfragen zeigt sich, dass der Handelsstreit in der amerikanischen Bevölkerung unpopulär ist, im Unterschied zu manchen anderen Massnahmen der Regierung. Die Menschen sorgen sich, dass die Preise ansteigen werden und die Wirtschaft Schaden nehmen könnte.
Auch die amerikanischen Finanzmärkte reagierten mit deutlichen Verlusten auf Trumps Zollhammer; sogar die Preise der im Normalfall träge reagierenden amerikanischen Staatsanleihen kamen unter Druck. Vor allem die Unruhe am Bondmarkt bewegte den amerikanischen Präsidenten dazu, seine «reziproken» Zölle für neunzig Tage zu pausieren.
Insbesondere die «moderate» Fraktion der Trump-Regierung, angeführt von Finanzminister Bessent, möchte vor diesem Hintergrund den Handelsstreit einschränken und zählbare Erfolge vorweisen. Das heisst natürlich nicht, dass die Schweiz aus dem Schneider ist und ihr ein Abkommen mit den Amerikanern in den Schoss fallen wird. Die Schweizer Volkswirtschaft ist rund ein Dreissigstel so gross wie die amerikanische; sie wird von den USA daher stets stärker abhängig sein als umgekehrt.
Dieses Amerika hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert, und jetzt verändert es auch die Weltwirtschaftsordnung, die es nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hatte. Der Prozess begann bereits unter Trumps erster Administration und setzte sich unter der Biden-Regierung fort. Diesen Wandel sprach auch Keller-Sutter in einem etwas nachdenklich gehaltenen Fazit an. Der Umbruch habe sich schon früher gezeigt und habe sich nun einfach stark beschleunigt. «Ich persönlich glaube nicht, dass wir zur alten Ordnung zurückkommen werden. Man muss sich innerhalb dieser neuen Spielregeln irgendwie arrangieren.»