Montag, Februar 3

In Europa wird weniger oft mit Bargeld bezahlt. Dafür hortet die Bevölkerung es aber verstärkt und spricht sich klar gegen seine Abschaffung aus.

Das Bargeld ist in Europa weiter auf dem Rückzug. In Ländern wie Deutschland und Österreich nutzt die Bevölkerung Münzen und Scheine aber weiterhin sehr stark, wie eine Online-Umfrage der Marktforschungsfirma Yougov im Auftrag des Beratungsunternehmens Bearing Point zeigt. In Deutschland war Bargeld im vergangenen Jahr bei 69 Prozent der Befragten die am häufigsten genutzte Zahlungsmethode, in Österreich sogar bei 73 Prozent.

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In Schweden, Dänemark, Finnland und den Niederlanden liegt dieser Wert hingegen deutlich niedriger – und zwar bei zwischen 28 und 48 Prozent. Auch in der Schweiz, die traditionell den Ruf eines «Bargeldlandes» hat, ist die Nutzung von Münzen und Scheinen zurückgegangen. In der Untersuchung gaben noch 57 Prozent der Befragten an, Bargeld sei ihre am häufigsten genutzte Zahlungsmethode. Im Vorjahr waren es noch 63 Prozent gewesen.

Auch die im vergangenen Jahr publizierte Studie «Swiss Payment Monitor» der Hochschulen ZHAW und Universität St. Gallen belegt diesen Trend in der Schweiz. Mit rund einem Viertel der Transaktionen lag Bargeld hier noch auf dem zweiten Platz der Zahlungsmittel – hinter der Debitkarte (29,3 Prozent) und knapp vor mobilen Geräten wie Mobiltelefon, Tablet oder Smartwatch (23,3 Prozent).

Siegeszug von Apple Pay und Twint in der Schweiz

Die mobilen Geräte haben in den vergangenen Jahren bei der Anzahl der Zahlungen massiv aufgeholt. «Die Bevölkerung in der Schweiz zahlt immer häufiger mit dem Handy», sagt Tobias Trütsch, Leiter des Center for Financial Services Innovation an der Universität St. Gallen. «Wie in anderen Lebensbereichen steht das Mobiltelefon auch beim Zahlen immer mehr im Mittelpunkt.»

Zahlungen mit E-Wallets wie Apple Pay, Samsung Pay oder Google Pay seien in der Schweiz immer stärker verbreitet. Dasselbe gilt für die App Twint. Zusammen mit der Corona-Krise sei deren Siegeszug einer der wichtigsten Faktoren dafür gewesen, dass bargeldlose Zahlungen in der Schweiz so stark zugenommen hätten.

Dies sieht auch Marco Kundert, Partner bei Bearing Point so. «Twint bietet als Plattform für die Schweizer Bevölkerung in verschiedenen Nutzungsbereichen einen grossen Mehrwert und verbreitet sich dadurch schneller als andere Zahlungsdienstleister wie beispielsweise Paypal in Deutschland», sagt er. Er betont die hohe Abdeckung von 75 Prozent von Twint bei stationären Geschäften und in Online-Shops. Die App biete eine einfache und günstige Zahlungsmöglichkeit für kleine Geschäfte, Take-aways und Vereine. Zudem können Kunden weitere Services wie bargeldlos Parkieren oder Bargeld beziehen nutzen.

Mit der geringeren Bargeldnutzung hat auch die Dichte an Bancomaten in der Schweiz abgenommen. Für die Finanzhäuser sind diese ein Kostenfaktor, und wenn die Kundinnen und Kunden weniger Geld abheben, lässt sich hier ein Abbau rechtfertigen. Laut Trütsch könnte dies letztlich einen verstärkenden Effekt darauf haben, dass die Bargeldnutzung noch weiter abnimmt. Ein solcher sei in Schweden bereits zu beobachten gewesen. Dort wurden grössere Finanzinstitute ab 2021 sogar gesetzlich dazu gezwungen, der Bevölkerung Bancomaten zur Verfügung zu stellen.

Sorgen über Geopolitik und Finanzkrise

Trütsch geht trotzdem nicht davon aus, dass das Bargeld in der näheren Zukunft verschwindet. «Es gibt zwei Bargeldparadoxe», sagt er. Das erste beschreibt er folgendermassen: «Die Menschen nutzen Bargeld zwar seltener, aber der Bargeldumlauf hat trotzdem zugenommen.» Darin spiegelt sich das zunehmende Horten von Bargeld – schliesslich fungiert es nicht nur als Zahlungs-, sondern auch als Wertaufbewahrungsmittel. Diese Entwicklung dürfte mit den Sorgen der Bevölkerung über die geopolitische Lage sowie über den potenziellen Ausbruch einer erneuten Finanzkrise zusammenhängen.

Das zweite Paradox sei, dass die Menschen in der Schweiz Bargeld zwar weniger nutzten, sich aber gleichzeitig immer stärker gegen eine Abschaffung aussprächen, sagt Trütsch. Dies zeigt auch eine schweizweite Befragung der Bevölkerung durch das Institut für Marketing und Customer Insight der Universität St. Gallen im Auftrag des Edelmetallhändlers Philoro. Bei dieser Umfrage vom Juli bis zum September vergangenen Jahres sprachen sich 87,6 Prozent der Befragten gegen die Abschaffung von Bargeld aus, ein Jahr davor waren es noch 72 Prozent gewesen.

Anker des Geldsystems und Teil des Notvorrats

«Die Bevölkerung sieht Bargeld als möglichen ‹Back-up› in einer Krise», sagt Trütsch. «Bargeld gilt nach wie vor als Anker des Geldsystems.» So empfiehlt auch das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung, für den Notfall vorzusorgen und einen Notvorrat anzulegen – und dazu gehört unter anderem, immer etwas Bargeld zu Hause zu haben.

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