Samstag, Oktober 5

Samirs Film «Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer» zeigt die schwierige Geschichte von italienischen Gastarbeitern in der Schweiz.

Der verspielte Titel liest sich bereits wie eine Anklage. Eine entscheidende Rolle in «Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer» spielt das Adjektiv «wundersam». Denn gemeint sind die Mechanismen der schweizerischen Gesellschaft im Umgang mit vor allem italienischen Migranten.

Regisseur Samir, selbst aus einer irakisch-schweizerischen Einwandererfamilie stammend und im Arbeiterort Dübendorf bei Zürich aufgewachsen, fördert in seinem dokumentarischen Film entlang seiner persönlichen Geschichte Unmengen an Archivmaterial zutage. Er berichtet aus der unterrepräsentierten Perspektive eines Arbeiters und Ausländers über das Leben in der Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg.

In essayistischen Bewegungen versucht Samir das nur anscheinend Wundersame aufzudröseln und scheut sich nicht, klare Meinungen auszusprechen. Es gebe keinen eindeutig zu identifizierenden Kipppunkt, argumentiert der Film, an dem die Arbeiterklasse zu Ausländern wurde, vielmehr gebe es verschiedene Entwicklungen, die sich erst im Rückblick verstehen lassen.

Chic der Italo-Pop-Stars

Eindrücklich wird etwa gezeigt, wie fliessend der Wechsel von abschätzigen Urteilen über in Armut lebende Menschen hin zum Chic italienischstämmiger Pop-Stars und der Jugendmode ablief. Es wird klar, dass der persönliche und gesellschaftliche Blick auf migrantische Arbeit immer auch an globalen Strömungen und Bewegungen hängt, etwa der 68er Bewegung, die ein emanzipatorisches Verlangen in der jüngeren Generation auslöste.

Neben den zahlreichen Archivbildern kommen ehemalige Protagonisten von Arbeitskämpfen zu Wort. Sie berichten aus ihrem Leben in der Schweiz, von den Ungerechtigkeiten und ihrem geleisteten Widerstand. Die Gesprächsausschnitte sind sehr kurz, man hätte gern mehr von diesen Menschen erfahren.

«Die Schweiz hat eine lange Tradition der Ausbeutung von Arbeitsmigranten», heisst es da, und gezeigt werden historische Wegmarken von Fremdenfeindlichkeit, Migrationsdebatten und Ereignissen, etwa die Schwarzenbach-Initiative, die Mattmark-Katastrophe, die Arbeit der Colonie Libere oder die SRF-Sendung «Un’ora per voi».

Leider wirkt der Umgang mit den faszinierenden Materialien nicht immer souverän. So werden Archivbilder zum Teil lieblos aufs Bild geklatscht, Drohnenflüge über Stadtteile und Häuser lenken vom eigentlich dringlichen Inhalt ab, und die Computeranimationen, anhand deren Samir aus dem eigenen Leben erzählt, wirken schlicht deplatziert. Es macht den Eindruck, als würde sich der Film zu sehr darum bemühen, die komplexe Geschichte auf der Bildebene aufzulockern.

Knallbunte Animationen

Die autobiografische Note geht ausserdem nur selten über die inzwischen herkömmliche Grammatik hinaus, die einen emotionalen oder glaubhaften Zugang zur Geschichte verspricht. Wenn man zunächst Aufnahmen aus den Baracken von Arbeitern in den 1960ern sieht und dann eine knallbunte Animation, in der sich liebliche Wolken in streitende Marxisten verwandeln, verliert die Dringlichkeit an Gewicht. Die aus dem Archiv geliehenen Film- und Fernsehaufnahmen sowie Zeitungsartikel und Musik aus den Archiven sind so stark, dass es dem Film gutgetan hätte, mehr darauf zu vertrauen.

Dem nachvollziehbar kritischen Ton zum Trotz bemüht sich Samir um positive Wendungen, zeigt Widerstandsbewegungen und Gewerkschaftskämpfe und schlägt Brücken in die Gegenwart, etwa zu Hausbesetzungen oder bis heute arbeitenden Kulturvereinen. Ganz nebenbei erzählt der Film auch eine kleine Filmgeschichte des Arbeiterkinos in der Schweiz, beschäftigt sich mit Werken von Alvaro Bizzarri, Peter Ammann oder Gertrud Pinkus. Samir begibt sich in die Tradition dieser Filmschaffenden, also auch eines Kinos, das nach der Vorführung fortgesetzt werden will. Sei es in politischen Debatten oder nur als Aufruf dazu, sich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen.

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