Donnerstag, März 20

Das Parlament hat eine unabhängige Expertenkommission für historisch belastetes Kulturerbe mit zweiseitiger Anrufbarkeit gesetzlich festgeschrieben. Die Lösung ist besser als die vergleichbare Einrichtung in Deutschland. Einigen geht sie aber nicht weit genug.

Die Schweiz hat nun, was andere Länder schon lange haben: eine unabhängige Expertenkommission für historisch belastetes Kulturerbe. Das hat das Parlament am Mittwoch beschlossen. Die Kommission soll als Vermittlungsinstanz in Erscheinung treten, wenn zwei Parteien im Streit um Raubgut zu keiner einvernehmlichen Lösung finden.

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Damit die Kommission künftig tätig werden und die Herkunft eines potenziell historisch belasteten Kunstwerks oder Kulturguts überhaupt untersuchen kann, wird grundsätzlich die Zustimmung beider Parteien vorausgesetzt. Nur in einer Ausnahme kann sie auch einseitig angerufen werden: Das betrifft Kunst- und Kulturgüter im Kontext des Nationalsozialismus, die sich in staatlich finanzierten Museen und Sammlungen befinden.

Der Bundesrat, der den Umgang mit historisch belastetem Kulturgut als ein wichtiges Ziel seiner Kulturpolitik festschreibt, sah zuerst vor, dass das beratende Gremium auch dann aktiv wird, wenn nur eine Partei mit Forderungen in Erscheinung tritt. So sollte insbesondere dem rechtlich und ethisch verantwortungsvollen Umgang mit kulturellem Erbe in Bezug auf NS-Raubkunst bestmöglich Rechnung getragen werden.

Intensive Debatte

Die Schweiz liess sich über zwanzig Jahre Zeit mit der Einrichtung einer unabhängigen Expertenkommission in Sachen Raubkunst. Man konnte derweil beobachten, wie die sogenannte Limbach-Kommission in Deutschland mehr schlecht als recht ihre Aufgabe erfüllen konnte. Heute ist sie längst irrelevant geworden, weil das Konstrukt aufgrund der beidseitigen Anrufbarkeit kaum funktioniert. So verweigern sich etwa die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen seit Jahren einer Klärung in mehreren Fällen, in welchen Nachkommen jüdischer Vorbesitzer Anspruch auf die Rückgabe von Kunstwerken in Münchner Museen erheben.

Im Ständerat wurde die entscheidende Frage nach einer zweiseitigen oder einer einseitigen Anrufung der Kommission intensiv diskutiert. Es wurden Anhörungen sämtlicher involvierter Parteien in der Schweiz organisiert, auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) war eingeladen. Die Debatte verlief so offen und übergreifend, wie man es sich noch vor Jahren kaum hätte vorstellen können.

Bedenken im Ständerat gab es schliesslich vor allem, was Kulturgüter aus kolonialem Kontext betrifft. Der Bundesrat sah eine Ausdehnung des Wirkungsfelds der Kommission auch auf den Bereich von Kulturgut des kolonialen Erbes vor. Beim Ständerat befürchtete man Klagen von Drittstaaten. Schliesslich wurde dem Nationalrat mit der Expertenkommission mit zweiseitiger Anrufbarkeit ausser im Fall von NS-Kunst in Museen ein Kompromiss unterbreitet, mit dem sich der Ständerat nun durchgesetzt hat.

Museen in der Verantwortung

Nicht glücklich über den Entscheid ist der SIG. Durch eine generell zweiseitige Anrufbarkeit der unabhängigen Expertenkommission für historisch belastetes Kulturerbe schwäche das Parlament deren Wirksamkeit erheblich, lässt der SIG verlauten. Dass nur in Ausnahmefällen eine einseitige Anrufung möglich sei, erschwere faire und gerechte Lösungen. Für die Schweiz bedeute dies einen Rückschritt im Umgang mit historisch belasteten Kulturgütern.

«Dieser Entscheid vernachlässigt die Interessen der NS-Geschädigten», kommentiert der SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner den Entscheid des Parlaments mit Verweis auf allfällige Raubkunst in Privatsammlungen. Eine generell einseitige Anrufung hätte auch ein Zeichen gesetzt, dass es bei der Debatte um Gerechtigkeit für die Opfer geht. Nun würden Private auf jeden Fall geschützt, auch wenn sie vielleicht im Unrecht seien.

Nationalrat Jon Pult, der 2022 die Motion einer unabhängigen Kommission für Nazi-Raubkunst beim Parlament eingereicht hatte, sieht im Entscheid einen faulen Kompromiss. «Der Nationalrat hatte noch letzte Woche eine Lösung beschlossen, die die einseitige Anrufung bei allen Werken im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus ermöglicht hätte.» Das Parlament habe es verpasst, eine Regelung auf der Höhe der Zeit zu beschliessen.

Als eine «typisch schweizerisch pragmatische Lösung» erachtet hingegen der Zürcher Kunstexperte Andrea Raschèr den Entscheid. Die grossen öffentlichen Museen und insbesondere auch die grossen Privatsammlungen, die wie die Sammlung Bührle ihre Bestände in diese Institutionen gäben, stünden nun voll in der Verantwortung. Damit sei viel gewonnen für die Schweiz.

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