Donnerstag, Dezember 26

Corona, CS-Untergang, Finanzkrise: Geht die Schweiz tatsächlich besser mit ihren Krisen um, oder ist das nur ein Gefühl?

«Die Politik war nicht optimal, aber international gesehen hat es die Schweizer Regierung gut gemacht.» Diesen Satz hört man seit der Corona-Pandemie immer wieder. Auch nach der Finanzkrise von 2008 war er populär. Es scheint fast, als wären die Krisen im Ausland stets schlimmer als in der Schweiz – und dafür wäre die Politik verantwortlich.

Stimmt der Eindruck? Oder ist es nur ein Gefühl?

Zunächst gilt es festzuhalten: Dieses Gefühl ist alt. Es entstand jedoch nicht im ökonomischen Kontext, sondern beruht auf der langen Friedenserfahrung. Seit rund 500 Jahren ist die Eidgenossenschaft nicht angegriffen und besetzt worden – ausser im Zeitalter Napoleons, aber das liegt auch bereits 200 Jahre zurück.

Auch die inneren Konflikte waren weniger schlimm als in vielen europäischen Ländern. Den Schweizerinnen und Schweizern fehlt die verheerende Erfahrung eines Dreissigjährigen Kriegs (1618-48) oder der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts.

Der Bund verdiente an der UBS-Stabilisierung

Wer in der Schweiz lebt, rechnet selten mit dem Schlimmsten und ist sich gewohnt, von den grossen Katastrophen der Weltgeschichte nur gestreift zu werden.

Wenn also gesagt wird, bei uns sei es besser als anderswo, ist Misstrauen angesagt. Bei den jüngsten Krisen stimmen Gefühl und Fakten jedoch überein. Die Finanzkrise von 2008 hat die schweizerische Arbeitslosenquote kaum erhöht. Sie stieg im Jahr 2009 vorübergehend auf 3,7 Prozent und sank 2011 bereits wieder auf 2,8 Prozent, während die südeuropäischen Länder sich im Strudel der Euro-Krise befanden und Arbeitslosenraten von 20 Prozent zu beklagen hatten.

Ferner verdienten Bund und Nationalbank ganz ordentlich mit der UBS-Stabilisierung. Unter dem Strich resultierte ein Gewinn von rund sechs Milliarden Franken.

Die Corona-Krise richtete ebenfalls viel weniger ökonomischen Schaden an als in den meisten europäischen Ländern. Dank Kurzarbeitsentschädigung erhöhte sich die Arbeitslosenrate 2020 nur auf etwas mehr als drei Prozent, und als der Aufschwung nach dem Ende der Pandemie einsetzte, fiel sie bald auf zwei Prozent.

Das BIP der Schweiz liegt heute deutlich über dem Niveau von 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Krise. In anderen europäischen Ländern wie Deutschland und Frankreich ist die Erholung hingegen enttäuschend ausgefallen, und als Ganzes hat die EU gegenüber den USA seit 2020 stark an Terrain verloren.

Bei Corona stimmt das Gefühl

Aber liegt es tatsächlich an der Politik, dass die Ergebnisse so unterschiedlich ausgefallen sind? Auch diesbezüglich trifft zu, was oft behauptet wird. Dank Föderalismus, direkter Demokratie und Konkordanz war es in der Schweiz unmöglich, während der Corona-Krise von oben nach unten durchzuregieren.

Vielmehr musste der Bundesrat auf die Stimmung in der Bevölkerung Rücksicht nehmen, um die Unterstützung für ausserordentliche Massnahmen zu sichern. Daraus resultierte eine Politik, die deutlich liberaler war als in den meisten europäischen Ländern, und dies kam der Schweizer Wirtschaft in hohem Masse zugute.

Die schweizerische Corona-Politik hinterliess ein grosses Loch in der Bundeskasse, aber das Defizit ist angesichts der grossen Wirkung der Kurzarbeitsentschädigung zu verantworten.

Auch bei der Bewältigung der Finanzkrise von 2008 spielte die gewählte Politik eine entscheidende Rolle. Allerdings spielten Föderalismus, direkte Demokratie und Konkordanz diesmal keine Rolle.

Ganz im Gegenteil: Eine kleine Gruppe von Fachleuten der Nationalbank, der Bankenkommission und des Finanzdepartements entwickelten im Geheimen einen Plan, der vom Bundesrat abgesegnet und unter Anwendung von Notrecht angewendet wurde. Das Parlament konnte nur im Nachhinein noch Ja sagen.

Es war nicht immer so

Der ganze Vorgang wiederholte sich bei der CS-Krise. Ein paar wenige entschieden, Notrecht wurde bemüht, und das Parlament durfte erst im Nachgang der Krise Stellung nehmen. Wenn es darauf ankommt, sind die Schweizer Behörden also durchaus in der Lage, schnell zu reagieren.

Doch allen Fakten zum Trotz ist es trügerisch zu glauben, die Schweizer Politik mache es bei Krisen stets besser als das Ausland. Die schmeichelhafte Diagnose trifft nämlich nur auf die letzten beiden Episoden zu, nicht auf alle Rezessionen der jüngeren Zeit.

So verzeichnete die Schweiz 1975 den mit Abstand grössten wirtschaftlichen Einbruch im internationalen Vergleich, und für diese Malaise war die eigene Politik vollkommen verantwortlich. In den 1990er Jahren litt die Schweizer Wirtschaft unter einer aussergewöhnlich langen Stagnation, und wiederum lag die Schuld ganz bei den eigenen Behörden.

Ein solches Szenario ist durchaus wieder denkbar, und je stärker das Gefühl vorherrscht, es komme schon gut, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schweiz bei der nächsten Krise überfordert ist.

Tobias Straumann ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich.

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