Sonntag, Oktober 6

Von Iran bis zum Bürgenstock: Simon Geissbühler war vier Jahre lang in die brisantesten Dossiers des Aussendepartements involviert. Eine baldige weitere Ukraine-Konferenz sieht er skeptisch.

Simon Geissbühler gehört im Aussendepartement (EDA) zu den spannendsten Figuren. Der Berner war Berater von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (SP), ist überzeugter Liberaler, parteilos und stammt aus einer SVP-Familie. Er ist Autor mehrerer Bücher, über Amerika, den Weg der Schweiz in die Mittelmässigkeit oder die jüdischen Friedhöfe der Bukowina. Vor allem aber ist der Karrierediplomat gewissermassen der Herr der Guten Dienste: Er leitet die Abteilung Frieden und Menschenrechte im Aussendepartement (EDA), im Rang eines Botschafters.

Geissbühlers Abteilung war stark in die Ukraine-Konferenz involviert. Die Hälfte seiner Mitarbeitenden war auf dem Bürgenstock. Es habe nur positive Rückmeldungen gegeben, sagt er im Gespräch mit der NZZ. Die Schweiz habe viel Wohlwollen geschaffen, etwa bei der EU. Tatsächlich hat sie die Rolle als Gaststaat mit Bravour gemeistert.

Eine andere Frage bleibt, was das Spitzentreffen inhaltlich gebracht hat. Die Staats- und Regierungschefs hätten bei wichtigen Themen Vorarbeiten geleistet, bei der Nuklear- und der Ernährungssicherheit sowie humanitären Fragen, sagt Geissbühler. Die Konferenz sei ungewöhnlich gewesen, weil mit Russland eine Partei früh klargemacht habe, dass sie nicht dabei sein wolle. Doch es wäre nicht nachvollziehbar gewesen, die Anfrage der Ukraine abzulehnen, wenn die Schweiz dauernd von den Guten Diensten spreche.

Die internationale Politik ist längst zu anderen Themen übergegangen. Das EDA aber hat das Dossier nicht ad acta gelegt. Es hofft, weiterhin eine Rolle zu spielen – auch wenn es im Moment kaum Raum für Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien gibt. Einige Kleinstaaten haben sich der Bürgenstock-Deklaration angeschlossen. Sie hatten nicht die Ressourcen, um in die Innerschweiz zu kommen. Vor kurzem reiste Botschafter Gabriel Lüchinger, der die Task-Force für die Konferenz leitete, für ein Debriefing nach Peking. Das sei von China positiv aufgenommen worden, sagt Geissbühler. Das Land glänzte auf dem Bürgenstock mit Abwesenheit.

Doch der erfahrene Diplomat ist ein Realist. Eine baldige weitere Konferenz, von der schon die Rede war, sieht Geissbühler skeptisch. «Wir müssen von der Idee Abstand nehmen, dass der Prozess darin besteht, Konferenzen zu organisieren.» Das könne sinnvoll sein, aber es brauche etwas dazwischen. «Wenn es nicht gelingt, einen Schritt weiterzukommen, bringt ein nächster Gipfel wenig.» Mit weiterer Vorarbeit könne es ein neues Spitzentreffen geben, vielleicht noch dieses Jahr, vielleicht erst in einigen Jahren.

Unabhängige und unparteiische Schweiz

Die Schweiz erhält immer wieder Anfragen für Gute Dienste. Es sind mehr, als Geissbühler erwartet hat, als er vor vier Jahren seinen Posten angetreten hat. Nicht immer sagt das EDA zu. «Wir überlegen, ob es im Interesse der Schweiz ist.» Wichtig sei auch, ob Bern einen Mehrwert bieten könne. Einmal sei eine Anfrage von einem Pazifikstaat gekommen. «Da musste ich Nein sagen. Der Konflikt war schlicht zu weit weg, und wir kannten den Kontext nicht.»

Ein Instrument der Guten Dienste stellen die Schutzmachtmandate dar, die mit der instabilen geopolitischen Lage wieder gefragt sind. Ende Juni hat die Schweiz ein neues Mandat übernommen, für Mexiko in Ecuador und umgekehrt – sieben Mandate sind es nun insgesamt.

Mexiko hat die diplomatischen Beziehungen zu Quito im April abgebrochen, nachdem das ecuadorianische Militär in die mexikanische Botschaft eingedrungen war. Die Schweiz bringt mit ihrem langjährigen Mandat für die USA in Iran eine grosse Erfahrung mit. «Andere Länder nehmen wahr, dass wir zuverlässig arbeiten», sagt Geissbühler. Mit spielte auch, dass Bern in Lateinamerika aktiv bleiben will, obwohl sich die Entwicklungszusammenarbeit der Deza zurückgezogen hat.

Auch in Afrika hat die Schweiz zusätzliche Mandate für Gute Dienste erhalten. Wird sie immer noch als neutral wahrgenommen – aller Kritik von Russland und der SVP zum Trotz? Es hänge davon ab, mit wem man spreche, sagt Geissbühler. Viele Länder würden die Schweiz weiterhin als glaubwürdige Vermittlerin sehen. «Unter der Neutralität verstehen afrikanische Länder aber eher, dass die Schweiz unabhängig, unvoreingenommen und unparteiisch ist sowie keine Interessenpolitik verfolgt.» Neutralitätsrechtliche Debatten interessierten in Afrika kaum.

Geissbühler war schon direkt in das gewichtigste der Schutzmachtmandate, jenes für die USA in Iran, involviert. Bis 2020 war er stellvertretender Chef der Schweizer Botschaft in Washington. Einmal musste er am frühen Abend den Schweizer Botschafter in Teheran anrufen, wo es mitten in der Nacht war. Die USA hatten damals den iranischen General Kassem Soleimani getötet. Eine Eskalation drohte.

«In solchen Momenten hat man nicht gerade den Weltfrieden gerettet, aber einen wichtigen Beitrag geleistet, um eine Eskalation abzuwenden», sagt Geissbühler. Die involvierten Berner Diplomaten müssen ständig verfügbar sein, um Botschaften zu überbringen. Die Amerikaner und die Iraner bevorzugen den Schweizer Kanal bis heute, weil er am verlässlichsten ist. Er wird immer wieder gebraucht, vor allem wenn sich die Lage zuspitzt – zuletzt im Konflikt zwischen Iran und Israel im April.

Mehr und länger dauernde Konflikte

Geissbühlers Abteilung beschäftigt sich auch mit der Friedensförderung. Das EDA hat diese nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ausgebaut. Die Aufbruchstimmung ist längst verflogen. Die Anzahl der Konflikte hat zugenommen, von denen viele immer länger dauern und internationalisierter sind. Vermittlungen sind weniger erfolgreich. «Der Raum für Kompromisse ist kleiner geworden», sagt Geissbühler. Das führe dazu, dass sich die Vermittler auf sekundäre Probleme fokussierten, die sich aus einem Konflikt ergäben, etwa auf Gefangenenaustausche.

In den letzten Jahren sind in diesem Bereich weitere Akteure wie Katar, Saudiarabien oder China aufgetreten. Meistens gehe es diesen nicht um die übergeordnete Konfliktlösung, sagt Geissbühler. Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate etwa sind in die Rückführung von verschleppten ukrainischen Kindern aus Russland involviert.

Geissbühler sieht die neuen Akteure nicht als Konkurrenz. Was Katar, Saudiarabien oder auch die Türkei machten, sei komplementär zum Schweizer Engagement. «Es ist gut, dass sie aktiv werden. Leider gibt es mehr als genug zu tun.» Die neuen Akteure arbeiten anders. Sie setzen auf Diplomatie auf höchster Ebene, wo die Schweiz mit ihren sieben Bundesräten und rotierenden Bundespräsidenten nicht mithalten kann. Auch eine Checkbuchdiplomatie, etwa mit Investitionen in die Infrastruktur, kommt für Bern nicht infrage.

Dennoch sieht Geissbühler in einer engeren Zusammenarbeit Potenzial. «Wir haben die Chance, bei der Konfliktlösung wieder besser dazustehen, wenn wir die Akteure zusammenbringen.» Der Diplomat war deshalb in Peking, Doha und Riad.

Mit einigen Akteuren wird er auf seinem nächsten Posten zu tun haben. Im August wechselt er als Botschafter der Schweiz nach Israel – und wird einen der längsten Konflikte aus nächster Nähe verfolgen.

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